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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturell,

in Frankreich suchten, daß schon damals französische Sprache und französischer
feiner Anstand (eourtoi8i"z) als Merkmal der Bildung galt. Jetzt knüpften zu¬
nächst die kalvinistischen Höfe, Kurpfalz, Anhalt, einen innigern Verkehr mit
Frankreich an. In der Verwirrung des dreißigjährigen Krieges, als die wilde
fremdländische Soldateska mit dem Wohlstande zugleich alles geistige Leben der
deutschen Nation mit Füßen trat, als die Kirchen und Schulen leer standen,
suchten einige wenige Fürstenhäuser an dem französischen Wesen einen Halt und
einen Trost. Daß diese Zuflucht bei Frankreich sich in der That mit dem Inter¬
esse für das Nationale verflocht, sieht man deutlich an dem Palmcnorden oder
der Fruchtbringenden Gesellschaft. Das Haupt dieser auf die Reinigung und
Förderung der deutschen Sprache gerichteten Gesellschaft war in der ersten und
besten Zeit derselben, während des großen Krieges, Ludwig von Anhalt-Köthen.
Es ist freilich, einige sprachwissenschaftliche Werke abgerechnet, nicht viel dabei
herausgekommen, aber gleichzeitig ging aus den gelehrten humanistischen Kreisen
die deutsche Kunstdichtung hervor, als deren Vater Martin Opitz von Boberfeld
gilt, Opitz und seine Schule, die erste schlesische, wurden durch die Vorgänge
in der französischen Literatur zu der Ruck- und Einkehr in das Nationale hin¬
gelenkt, Pierre Ronsards Versuche, die humanistischen Studien für die Weiter¬
bildung der französischen Sprache zu verwenden, begeisterten Opitz zu gleichen
Bestrebungen im vaterländischen Interesse. In Paris schaute er das Erwachen
der französischen Dichtkunst in nächster Nähe an.

Nach dem dreißigjährigen Kriege stürzte sich das heruntergekommene Deutsch¬
land ganz in die Arme Frankreichs. Die französische Sprache wurde die Sprache
der Gebildeten, die französische Literatur blieb ein Jahrhundert lang fast die
einzige Geistesnahrung der Deutschen. In den vornehmen Familien wurde den
Kleinen das Dentschsprcchcn um des Französischen willen verboten, wie die alten
Rektoren es um des Lateinsprecheus willen untersagt hatten. Staunend stand das
Volk, welches einen Armin und Luther zu deu Seinen zählte, vor den klassischen
Dichtern Ludwigs XIV., die Fürsten wetteiferten, den großen König wenigstens
in Kleidung, Dienerschaft, Gärten und Palästen nachzuäffen. Selbst Preußens
Friedrich II., der die Heere Ludwigs XV. schlug, saß noch zu den Füßen
Voltaires und schrieb seine Werke in französischer Sprache. Welche Seltsam¬
keiten müßte man aufzählen, um diese Zeit nur einigermaßen genügend zu schil¬
dern! Kein Wunder, daß uns die Franzosen verachteten, uns allen Geist,
allen Geschmack absprachen, uns ein Volk von Narren und Dummköpfen schalten!
Freilich waren uns die Franzosen überlegen, freilich war ihre Literatur der
unsern weit voraus, denn der unselige Krieg hatte uns nicht bloß aufgehalten,
sondern zurückgeworfen, aber Bewundern, Sichhingeben ist nicht Wetteifer und
Weitcrstreben.

Schon zu Gottscheds Zeiten fing man an, sich der Abhängigkeit von den
Franzosen ernstlich zu schämen. Bodmer veröffentlichte die vernichtenden Urteile


Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturell,

in Frankreich suchten, daß schon damals französische Sprache und französischer
feiner Anstand (eourtoi8i«z) als Merkmal der Bildung galt. Jetzt knüpften zu¬
nächst die kalvinistischen Höfe, Kurpfalz, Anhalt, einen innigern Verkehr mit
Frankreich an. In der Verwirrung des dreißigjährigen Krieges, als die wilde
fremdländische Soldateska mit dem Wohlstande zugleich alles geistige Leben der
deutschen Nation mit Füßen trat, als die Kirchen und Schulen leer standen,
suchten einige wenige Fürstenhäuser an dem französischen Wesen einen Halt und
einen Trost. Daß diese Zuflucht bei Frankreich sich in der That mit dem Inter¬
esse für das Nationale verflocht, sieht man deutlich an dem Palmcnorden oder
der Fruchtbringenden Gesellschaft. Das Haupt dieser auf die Reinigung und
Förderung der deutschen Sprache gerichteten Gesellschaft war in der ersten und
besten Zeit derselben, während des großen Krieges, Ludwig von Anhalt-Köthen.
Es ist freilich, einige sprachwissenschaftliche Werke abgerechnet, nicht viel dabei
herausgekommen, aber gleichzeitig ging aus den gelehrten humanistischen Kreisen
die deutsche Kunstdichtung hervor, als deren Vater Martin Opitz von Boberfeld
gilt, Opitz und seine Schule, die erste schlesische, wurden durch die Vorgänge
in der französischen Literatur zu der Ruck- und Einkehr in das Nationale hin¬
gelenkt, Pierre Ronsards Versuche, die humanistischen Studien für die Weiter¬
bildung der französischen Sprache zu verwenden, begeisterten Opitz zu gleichen
Bestrebungen im vaterländischen Interesse. In Paris schaute er das Erwachen
der französischen Dichtkunst in nächster Nähe an.

Nach dem dreißigjährigen Kriege stürzte sich das heruntergekommene Deutsch¬
land ganz in die Arme Frankreichs. Die französische Sprache wurde die Sprache
der Gebildeten, die französische Literatur blieb ein Jahrhundert lang fast die
einzige Geistesnahrung der Deutschen. In den vornehmen Familien wurde den
Kleinen das Dentschsprcchcn um des Französischen willen verboten, wie die alten
Rektoren es um des Lateinsprecheus willen untersagt hatten. Staunend stand das
Volk, welches einen Armin und Luther zu deu Seinen zählte, vor den klassischen
Dichtern Ludwigs XIV., die Fürsten wetteiferten, den großen König wenigstens
in Kleidung, Dienerschaft, Gärten und Palästen nachzuäffen. Selbst Preußens
Friedrich II., der die Heere Ludwigs XV. schlug, saß noch zu den Füßen
Voltaires und schrieb seine Werke in französischer Sprache. Welche Seltsam¬
keiten müßte man aufzählen, um diese Zeit nur einigermaßen genügend zu schil¬
dern! Kein Wunder, daß uns die Franzosen verachteten, uns allen Geist,
allen Geschmack absprachen, uns ein Volk von Narren und Dummköpfen schalten!
Freilich waren uns die Franzosen überlegen, freilich war ihre Literatur der
unsern weit voraus, denn der unselige Krieg hatte uns nicht bloß aufgehalten,
sondern zurückgeworfen, aber Bewundern, Sichhingeben ist nicht Wetteifer und
Weitcrstreben.

Schon zu Gottscheds Zeiten fing man an, sich der Abhängigkeit von den
Franzosen ernstlich zu schämen. Bodmer veröffentlichte die vernichtenden Urteile


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[0464] Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturell, in Frankreich suchten, daß schon damals französische Sprache und französischer feiner Anstand (eourtoi8i«z) als Merkmal der Bildung galt. Jetzt knüpften zu¬ nächst die kalvinistischen Höfe, Kurpfalz, Anhalt, einen innigern Verkehr mit Frankreich an. In der Verwirrung des dreißigjährigen Krieges, als die wilde fremdländische Soldateska mit dem Wohlstande zugleich alles geistige Leben der deutschen Nation mit Füßen trat, als die Kirchen und Schulen leer standen, suchten einige wenige Fürstenhäuser an dem französischen Wesen einen Halt und einen Trost. Daß diese Zuflucht bei Frankreich sich in der That mit dem Inter¬ esse für das Nationale verflocht, sieht man deutlich an dem Palmcnorden oder der Fruchtbringenden Gesellschaft. Das Haupt dieser auf die Reinigung und Förderung der deutschen Sprache gerichteten Gesellschaft war in der ersten und besten Zeit derselben, während des großen Krieges, Ludwig von Anhalt-Köthen. Es ist freilich, einige sprachwissenschaftliche Werke abgerechnet, nicht viel dabei herausgekommen, aber gleichzeitig ging aus den gelehrten humanistischen Kreisen die deutsche Kunstdichtung hervor, als deren Vater Martin Opitz von Boberfeld gilt, Opitz und seine Schule, die erste schlesische, wurden durch die Vorgänge in der französischen Literatur zu der Ruck- und Einkehr in das Nationale hin¬ gelenkt, Pierre Ronsards Versuche, die humanistischen Studien für die Weiter¬ bildung der französischen Sprache zu verwenden, begeisterten Opitz zu gleichen Bestrebungen im vaterländischen Interesse. In Paris schaute er das Erwachen der französischen Dichtkunst in nächster Nähe an. Nach dem dreißigjährigen Kriege stürzte sich das heruntergekommene Deutsch¬ land ganz in die Arme Frankreichs. Die französische Sprache wurde die Sprache der Gebildeten, die französische Literatur blieb ein Jahrhundert lang fast die einzige Geistesnahrung der Deutschen. In den vornehmen Familien wurde den Kleinen das Dentschsprcchcn um des Französischen willen verboten, wie die alten Rektoren es um des Lateinsprecheus willen untersagt hatten. Staunend stand das Volk, welches einen Armin und Luther zu deu Seinen zählte, vor den klassischen Dichtern Ludwigs XIV., die Fürsten wetteiferten, den großen König wenigstens in Kleidung, Dienerschaft, Gärten und Palästen nachzuäffen. Selbst Preußens Friedrich II., der die Heere Ludwigs XV. schlug, saß noch zu den Füßen Voltaires und schrieb seine Werke in französischer Sprache. Welche Seltsam¬ keiten müßte man aufzählen, um diese Zeit nur einigermaßen genügend zu schil¬ dern! Kein Wunder, daß uns die Franzosen verachteten, uns allen Geist, allen Geschmack absprachen, uns ein Volk von Narren und Dummköpfen schalten! Freilich waren uns die Franzosen überlegen, freilich war ihre Literatur der unsern weit voraus, denn der unselige Krieg hatte uns nicht bloß aufgehalten, sondern zurückgeworfen, aber Bewundern, Sichhingeben ist nicht Wetteifer und Weitcrstreben. Schon zu Gottscheds Zeiten fing man an, sich der Abhängigkeit von den Franzosen ernstlich zu schämen. Bodmer veröffentlichte die vernichtenden Urteile

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/464>, abgerufen am 26.09.2024.