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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität init fremden Kulturen.

sich für ihre Person über die alten Schranken hinwegzusetzen. Hinter ihren Vor¬
bildern, dem französischen Adel, blieben die Deutschen glücklicherweise weit
zurück. Jene spielten mit Eiden, verhandelten mit Giftmischerinnen, betrachteten
jede moralische Niederträchtigkeit als noble Passion, schafften durch die löttro"
als viuz^le ihre Gegner in die Bastille und kokettirten daneben mit dem ameri¬
kanischen Freiheitshelden Benjamin Fmnklin; diese beschränkten sich in der Haupt¬
sache doch darauf, in ihren Zirkeln über witzige Einfälle zu lachen.

Was Klopstocks sentimentale Tugendschwürmerei und Lessings gediegene
Kritik nicht erreicht hatten, das gelang der französischen Revolution, sie fegte
zugleich mit der Pariser Adclswirtschaft die frivole Pariser Bildung aus Europa
hinweg. In Deutschland Vollzügen die Originalgenies der Sturm- und Drang-
Periode den Sprung aus den französirten Salons auf die derbe heimische
Erde. Als der Vlutgeruch und der Pulverdampf der französischen Revolution
sich verzogen hatten, erkannte man deutlich die veränderte Richtung, welche die
Knltnrströmung in Europa eingeschlagen hatte. An die Stelle des sarkastischen
UtilismuS war die wissenschaftliche Forschung und der Idealismus des Nein-
menschlichen getreten. Die Männer der Wissenschaft und die Girondisten, Bailly
und Madame Roland, zeichneten das neue Strombett vor, die astronomischen
Globen und das griechische Kostüm waren die ersten Fahrzeuge auf der rasch
anschwellenden Flut. Heute noch lassen wir uns von diesen Wogen treiben,
aber wir sind schou weit unten in der Niederung und können den zurückgelegten
Weg beurteilen. Der wissenschaftliche Zug ist hauptsächlich den exakten For¬
schungen zu Gute gekommen und hat in dieser Beziehung seine Schuldigkeit
gethan. Geschichte, Geographie, Naturkunde haben sich zu Riesenbäumen mit
unendlichem Astwerk entwickelt und tragen Früchte, deren voller Wert Wohl erst
in späterer Zeit wird gewürdigt werden können. Freilich ist damit anch das
Vielwisser, die encyklopädische Bildung, das Konversationslexikon Mode geworden
und schadet besonders in der Jugenderziehung mehr als Degen, Reifrock und
Haarbeutel im vorigen Jahrhundert. Die Menschenrechte haben im Neuhuma¬
nismus ihren salonfähigen Ausdruck gefunden.

Der Neuhumanismus ist die Wiederbelebung der altklassischer Studien
ans den Universitäten und Gymnasien. Während des dreißigjährigen Krieges und
der darauf folgenden Pcrückcnperiode waren die philologischen Studien ziemlich
verfallen. Die lateinischen Stadtschulen führten ein erbärmliches Dasein in
Schlendrian und Langerweile, von den Gymnasien waren es nur noch die
alten Fürsten- und Klosterschulen, in denen in althergebrachter Weise, fast ohne
Zuthun der Lehrer, sich die begabteren Schüler durch die alten Klassiker hin¬
durchwürgten, Klopstock und Lessing hatten auf Fürstenschulcn ihre Vorbildung
erhalten. Aber schou als Lessing die Universität bezog, um die Mitte des
Jahrhunderts, regte sich ein neuer Geist in der Philologie, ein Geist, der mit
dem Kampfe gegen die französische Suprematie Fühlung hatte. Gegen die


Der Kampf der deutschen Nationalität init fremden Kulturen.

sich für ihre Person über die alten Schranken hinwegzusetzen. Hinter ihren Vor¬
bildern, dem französischen Adel, blieben die Deutschen glücklicherweise weit
zurück. Jene spielten mit Eiden, verhandelten mit Giftmischerinnen, betrachteten
jede moralische Niederträchtigkeit als noble Passion, schafften durch die löttro«
als viuz^le ihre Gegner in die Bastille und kokettirten daneben mit dem ameri¬
kanischen Freiheitshelden Benjamin Fmnklin; diese beschränkten sich in der Haupt¬
sache doch darauf, in ihren Zirkeln über witzige Einfälle zu lachen.

Was Klopstocks sentimentale Tugendschwürmerei und Lessings gediegene
Kritik nicht erreicht hatten, das gelang der französischen Revolution, sie fegte
zugleich mit der Pariser Adclswirtschaft die frivole Pariser Bildung aus Europa
hinweg. In Deutschland Vollzügen die Originalgenies der Sturm- und Drang-
Periode den Sprung aus den französirten Salons auf die derbe heimische
Erde. Als der Vlutgeruch und der Pulverdampf der französischen Revolution
sich verzogen hatten, erkannte man deutlich die veränderte Richtung, welche die
Knltnrströmung in Europa eingeschlagen hatte. An die Stelle des sarkastischen
UtilismuS war die wissenschaftliche Forschung und der Idealismus des Nein-
menschlichen getreten. Die Männer der Wissenschaft und die Girondisten, Bailly
und Madame Roland, zeichneten das neue Strombett vor, die astronomischen
Globen und das griechische Kostüm waren die ersten Fahrzeuge auf der rasch
anschwellenden Flut. Heute noch lassen wir uns von diesen Wogen treiben,
aber wir sind schou weit unten in der Niederung und können den zurückgelegten
Weg beurteilen. Der wissenschaftliche Zug ist hauptsächlich den exakten For¬
schungen zu Gute gekommen und hat in dieser Beziehung seine Schuldigkeit
gethan. Geschichte, Geographie, Naturkunde haben sich zu Riesenbäumen mit
unendlichem Astwerk entwickelt und tragen Früchte, deren voller Wert Wohl erst
in späterer Zeit wird gewürdigt werden können. Freilich ist damit anch das
Vielwisser, die encyklopädische Bildung, das Konversationslexikon Mode geworden
und schadet besonders in der Jugenderziehung mehr als Degen, Reifrock und
Haarbeutel im vorigen Jahrhundert. Die Menschenrechte haben im Neuhuma¬
nismus ihren salonfähigen Ausdruck gefunden.

Der Neuhumanismus ist die Wiederbelebung der altklassischer Studien
ans den Universitäten und Gymnasien. Während des dreißigjährigen Krieges und
der darauf folgenden Pcrückcnperiode waren die philologischen Studien ziemlich
verfallen. Die lateinischen Stadtschulen führten ein erbärmliches Dasein in
Schlendrian und Langerweile, von den Gymnasien waren es nur noch die
alten Fürsten- und Klosterschulen, in denen in althergebrachter Weise, fast ohne
Zuthun der Lehrer, sich die begabteren Schüler durch die alten Klassiker hin¬
durchwürgten, Klopstock und Lessing hatten auf Fürstenschulcn ihre Vorbildung
erhalten. Aber schou als Lessing die Universität bezog, um die Mitte des
Jahrhunderts, regte sich ein neuer Geist in der Philologie, ein Geist, der mit
dem Kampfe gegen die französische Suprematie Fühlung hatte. Gegen die


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[0466] Der Kampf der deutschen Nationalität init fremden Kulturen. sich für ihre Person über die alten Schranken hinwegzusetzen. Hinter ihren Vor¬ bildern, dem französischen Adel, blieben die Deutschen glücklicherweise weit zurück. Jene spielten mit Eiden, verhandelten mit Giftmischerinnen, betrachteten jede moralische Niederträchtigkeit als noble Passion, schafften durch die löttro« als viuz^le ihre Gegner in die Bastille und kokettirten daneben mit dem ameri¬ kanischen Freiheitshelden Benjamin Fmnklin; diese beschränkten sich in der Haupt¬ sache doch darauf, in ihren Zirkeln über witzige Einfälle zu lachen. Was Klopstocks sentimentale Tugendschwürmerei und Lessings gediegene Kritik nicht erreicht hatten, das gelang der französischen Revolution, sie fegte zugleich mit der Pariser Adclswirtschaft die frivole Pariser Bildung aus Europa hinweg. In Deutschland Vollzügen die Originalgenies der Sturm- und Drang- Periode den Sprung aus den französirten Salons auf die derbe heimische Erde. Als der Vlutgeruch und der Pulverdampf der französischen Revolution sich verzogen hatten, erkannte man deutlich die veränderte Richtung, welche die Knltnrströmung in Europa eingeschlagen hatte. An die Stelle des sarkastischen UtilismuS war die wissenschaftliche Forschung und der Idealismus des Nein- menschlichen getreten. Die Männer der Wissenschaft und die Girondisten, Bailly und Madame Roland, zeichneten das neue Strombett vor, die astronomischen Globen und das griechische Kostüm waren die ersten Fahrzeuge auf der rasch anschwellenden Flut. Heute noch lassen wir uns von diesen Wogen treiben, aber wir sind schou weit unten in der Niederung und können den zurückgelegten Weg beurteilen. Der wissenschaftliche Zug ist hauptsächlich den exakten For¬ schungen zu Gute gekommen und hat in dieser Beziehung seine Schuldigkeit gethan. Geschichte, Geographie, Naturkunde haben sich zu Riesenbäumen mit unendlichem Astwerk entwickelt und tragen Früchte, deren voller Wert Wohl erst in späterer Zeit wird gewürdigt werden können. Freilich ist damit anch das Vielwisser, die encyklopädische Bildung, das Konversationslexikon Mode geworden und schadet besonders in der Jugenderziehung mehr als Degen, Reifrock und Haarbeutel im vorigen Jahrhundert. Die Menschenrechte haben im Neuhuma¬ nismus ihren salonfähigen Ausdruck gefunden. Der Neuhumanismus ist die Wiederbelebung der altklassischer Studien ans den Universitäten und Gymnasien. Während des dreißigjährigen Krieges und der darauf folgenden Pcrückcnperiode waren die philologischen Studien ziemlich verfallen. Die lateinischen Stadtschulen führten ein erbärmliches Dasein in Schlendrian und Langerweile, von den Gymnasien waren es nur noch die alten Fürsten- und Klosterschulen, in denen in althergebrachter Weise, fast ohne Zuthun der Lehrer, sich die begabteren Schüler durch die alten Klassiker hin¬ durchwürgten, Klopstock und Lessing hatten auf Fürstenschulcn ihre Vorbildung erhalten. Aber schou als Lessing die Universität bezog, um die Mitte des Jahrhunderts, regte sich ein neuer Geist in der Philologie, ein Geist, der mit dem Kampfe gegen die französische Suprematie Fühlung hatte. Gegen die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/466>, abgerufen am 25.07.2024.