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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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und machten außerdem den Anspruch, allgemeine Bildungsanstalten zu sein.
Da sie das Latein im weitesten Umfange des Wissens und Könnens beibehielten
und Griechisch und Hebräisch mit nicht geringerer Gründlichkeit betrieben, so
drängten sich nun statt einer zwei (oder drei) fremde Kulturen dem Volke auf.
Was die humanistischen Rektoren Eobanns Hesse in Nürnberg, Michael Neander
zu Ilfeld am Harz, Hieronymus Wolf in Augsburg, Trotzendorf in Goldberg,
Sturm in Straßburg aus den armen deutschen Jungen machen wollten, ist
erschrecklich. Vom sechsten Jahre an Latein, vom neunten an Griechisch, und
Deutschsprechen ein Kriminalvergehen der Schulordnung! Und wozu? Damit
der Berg eine Maus gebäre! In den meisten Gymnasien gelangte man über
Cieero und Äsop nicht hinaus, die großen Klassiker wurden den Schülern kaum
dem Namen nach bekannt. Vor der Reformation hatte man in den Kloster-
schulen zwanzig- und dreißigjährige Schiller getroffen, die nicht über die An¬
fänge im Latein hinausgekommen waren, weil sie den Unterricht nicht regelmäßig
besuchten. Jetzt fing man in frühester Jugend an und bestrafte mit Schlägen
und Fasten die Kleinen, die in den Lauten ihrer Muttersprache stammelten,
um dem deutschen Volke zwei fremde Kulturen einzuimpfen, aber viel weiter
brachte man es auch nicht. Die deutsche Volksnatur sträubte sich gegen diese
Auspeitschuug des nationalen. An Bemühungen, jeden, der nur irgend ans
Bildung Anspruch machte, zu lateinisiren und zu gräzisiren, fehlte es nicht.
Die akademischen Gymnasien, denen von Rechtswegen allein die Pflege der alten
Sprache obgelegen hätte, waren nur ein kleiner Teil der auf den fremdsprach ¬
lichen Unterricht gegründeten Schulen, die Fürsten- oder Klosterschulen hatten
Latein und Griechisch, die Stadtschulen nur Latein. Kaum daß sich die niedere
Volksschule und die Mädchenschule davon frei erhalten konnte! Was die über¬
eifriger Rektoren in den untern Bildungsschichteu betrieben, die Ausrottung des
Lebendigen und Ungebornen zu Gunsten toter Kulturen, das übten ihre Meister,
die Universitätsprofessoren, im großen. Sie sprachen lateinisch, selbst griechisch,
sie schrieben einander -- lateinische Briefe, sie dichteten -- lateinische Verse, sie
übersetzten ihren ehrlichen deutschen Namen -- ins Lateinische oder Griechische,
wie schon Celtes (Pickel), Agricola (Hausmann), Melanchthon (Schwarzen) es
gethan hatten. Deutsch -- pfui! Deutsch war gemein, deutsche Dichtung ihnen
ein Greuel, der poetische Schuster Haus Sachs diente ihnen nur als Zielscheibe
des Spottes. Da versteinerte die deutsche Predigt zu dürrem Dogmenweseu,
da flutete der trübe Strom der Fremdwörter in die Rechts- und Kanzleisprache
herein, da verstummte die deutsche Poesie bis auf das einsam klagende Volks¬
lied. Ein Wunder, daß das deutsche Wesen überhaupt noch zusammenhielt!

Gegen Eude des sechzehnten Jahrhunderts schon sah man sich ernstlich
nach einem Retter in der Not um, natürlich wieder nach einer fremden Kultur,
die befreiend wirken sollte. Diesmal war es das Französische.

Erinnern wir uns, daß schon im Mittelalter die Ritter ihre Vorbilder


und machten außerdem den Anspruch, allgemeine Bildungsanstalten zu sein.
Da sie das Latein im weitesten Umfange des Wissens und Könnens beibehielten
und Griechisch und Hebräisch mit nicht geringerer Gründlichkeit betrieben, so
drängten sich nun statt einer zwei (oder drei) fremde Kulturen dem Volke auf.
Was die humanistischen Rektoren Eobanns Hesse in Nürnberg, Michael Neander
zu Ilfeld am Harz, Hieronymus Wolf in Augsburg, Trotzendorf in Goldberg,
Sturm in Straßburg aus den armen deutschen Jungen machen wollten, ist
erschrecklich. Vom sechsten Jahre an Latein, vom neunten an Griechisch, und
Deutschsprechen ein Kriminalvergehen der Schulordnung! Und wozu? Damit
der Berg eine Maus gebäre! In den meisten Gymnasien gelangte man über
Cieero und Äsop nicht hinaus, die großen Klassiker wurden den Schülern kaum
dem Namen nach bekannt. Vor der Reformation hatte man in den Kloster-
schulen zwanzig- und dreißigjährige Schiller getroffen, die nicht über die An¬
fänge im Latein hinausgekommen waren, weil sie den Unterricht nicht regelmäßig
besuchten. Jetzt fing man in frühester Jugend an und bestrafte mit Schlägen
und Fasten die Kleinen, die in den Lauten ihrer Muttersprache stammelten,
um dem deutschen Volke zwei fremde Kulturen einzuimpfen, aber viel weiter
brachte man es auch nicht. Die deutsche Volksnatur sträubte sich gegen diese
Auspeitschuug des nationalen. An Bemühungen, jeden, der nur irgend ans
Bildung Anspruch machte, zu lateinisiren und zu gräzisiren, fehlte es nicht.
Die akademischen Gymnasien, denen von Rechtswegen allein die Pflege der alten
Sprache obgelegen hätte, waren nur ein kleiner Teil der auf den fremdsprach ¬
lichen Unterricht gegründeten Schulen, die Fürsten- oder Klosterschulen hatten
Latein und Griechisch, die Stadtschulen nur Latein. Kaum daß sich die niedere
Volksschule und die Mädchenschule davon frei erhalten konnte! Was die über¬
eifriger Rektoren in den untern Bildungsschichteu betrieben, die Ausrottung des
Lebendigen und Ungebornen zu Gunsten toter Kulturen, das übten ihre Meister,
die Universitätsprofessoren, im großen. Sie sprachen lateinisch, selbst griechisch,
sie schrieben einander — lateinische Briefe, sie dichteten — lateinische Verse, sie
übersetzten ihren ehrlichen deutschen Namen — ins Lateinische oder Griechische,
wie schon Celtes (Pickel), Agricola (Hausmann), Melanchthon (Schwarzen) es
gethan hatten. Deutsch — pfui! Deutsch war gemein, deutsche Dichtung ihnen
ein Greuel, der poetische Schuster Haus Sachs diente ihnen nur als Zielscheibe
des Spottes. Da versteinerte die deutsche Predigt zu dürrem Dogmenweseu,
da flutete der trübe Strom der Fremdwörter in die Rechts- und Kanzleisprache
herein, da verstummte die deutsche Poesie bis auf das einsam klagende Volks¬
lied. Ein Wunder, daß das deutsche Wesen überhaupt noch zusammenhielt!

Gegen Eude des sechzehnten Jahrhunderts schon sah man sich ernstlich
nach einem Retter in der Not um, natürlich wieder nach einer fremden Kultur,
die befreiend wirken sollte. Diesmal war es das Französische.

Erinnern wir uns, daß schon im Mittelalter die Ritter ihre Vorbilder


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[0463] und machten außerdem den Anspruch, allgemeine Bildungsanstalten zu sein. Da sie das Latein im weitesten Umfange des Wissens und Könnens beibehielten und Griechisch und Hebräisch mit nicht geringerer Gründlichkeit betrieben, so drängten sich nun statt einer zwei (oder drei) fremde Kulturen dem Volke auf. Was die humanistischen Rektoren Eobanns Hesse in Nürnberg, Michael Neander zu Ilfeld am Harz, Hieronymus Wolf in Augsburg, Trotzendorf in Goldberg, Sturm in Straßburg aus den armen deutschen Jungen machen wollten, ist erschrecklich. Vom sechsten Jahre an Latein, vom neunten an Griechisch, und Deutschsprechen ein Kriminalvergehen der Schulordnung! Und wozu? Damit der Berg eine Maus gebäre! In den meisten Gymnasien gelangte man über Cieero und Äsop nicht hinaus, die großen Klassiker wurden den Schülern kaum dem Namen nach bekannt. Vor der Reformation hatte man in den Kloster- schulen zwanzig- und dreißigjährige Schiller getroffen, die nicht über die An¬ fänge im Latein hinausgekommen waren, weil sie den Unterricht nicht regelmäßig besuchten. Jetzt fing man in frühester Jugend an und bestrafte mit Schlägen und Fasten die Kleinen, die in den Lauten ihrer Muttersprache stammelten, um dem deutschen Volke zwei fremde Kulturen einzuimpfen, aber viel weiter brachte man es auch nicht. Die deutsche Volksnatur sträubte sich gegen diese Auspeitschuug des nationalen. An Bemühungen, jeden, der nur irgend ans Bildung Anspruch machte, zu lateinisiren und zu gräzisiren, fehlte es nicht. Die akademischen Gymnasien, denen von Rechtswegen allein die Pflege der alten Sprache obgelegen hätte, waren nur ein kleiner Teil der auf den fremdsprach ¬ lichen Unterricht gegründeten Schulen, die Fürsten- oder Klosterschulen hatten Latein und Griechisch, die Stadtschulen nur Latein. Kaum daß sich die niedere Volksschule und die Mädchenschule davon frei erhalten konnte! Was die über¬ eifriger Rektoren in den untern Bildungsschichteu betrieben, die Ausrottung des Lebendigen und Ungebornen zu Gunsten toter Kulturen, das übten ihre Meister, die Universitätsprofessoren, im großen. Sie sprachen lateinisch, selbst griechisch, sie schrieben einander — lateinische Briefe, sie dichteten — lateinische Verse, sie übersetzten ihren ehrlichen deutschen Namen — ins Lateinische oder Griechische, wie schon Celtes (Pickel), Agricola (Hausmann), Melanchthon (Schwarzen) es gethan hatten. Deutsch — pfui! Deutsch war gemein, deutsche Dichtung ihnen ein Greuel, der poetische Schuster Haus Sachs diente ihnen nur als Zielscheibe des Spottes. Da versteinerte die deutsche Predigt zu dürrem Dogmenweseu, da flutete der trübe Strom der Fremdwörter in die Rechts- und Kanzleisprache herein, da verstummte die deutsche Poesie bis auf das einsam klagende Volks¬ lied. Ein Wunder, daß das deutsche Wesen überhaupt noch zusammenhielt! Gegen Eude des sechzehnten Jahrhunderts schon sah man sich ernstlich nach einem Retter in der Not um, natürlich wieder nach einer fremden Kultur, die befreiend wirken sollte. Diesmal war es das Französische. Erinnern wir uns, daß schon im Mittelalter die Ritter ihre Vorbilder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/463>, abgerufen am 19.10.2024.