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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

äußerer Schwierigkeiten meist recht unregelmäßig erteilten konfessionellen Reli¬
gionsunterricht wird teilte ausreichende Gewähr geboten, daß die deutschen
Kinder ihrer Nationalität und Konfession erhalten bleiben.

Leider ging man von jenen bewährten Verwaltungsgrundsätzen in falscher
allgemeiner Anwendung eines für Mittel- und Großstädte richtigen schnltechnischen
Prinzips im Beginn der siebziger Jahre auf Veranlassung des Ministeriums
Falk ab. Es wurden evangelische Schulzirkel gegen den Willen der Beteiligten
aufgelöst und mit polnisch-katholischen Schulen zu einer Ortsschule verbunden;
wenn hierdurch mchrklassige Schulen entstanden, erhielt der anzustellende evan¬
gelische Lehrer häufig die letzte Lehrerstelle, Diesen evangelischen Lehrern, meist
jungen, unverheirateten Leuten, wurde ihre amtliche und wirtschaftliche Situation
in überwiegend polnischen Gegenden sehr bald so unheimlich, daß der Inhaber
der Stelle stetig wechselte und monatelange Vakanzen eintraten; die Unterrichts¬
erfolge der evangelischen Schulstelle wurden hierdurch völlig illusorisch.

Hierzu kam, daß die staatlichen Kreisschnlinspcktoren nur die Aufsicht über
die katholischen, aber nicht über die evangelischen Schulen erhielten. Diese berufs¬
mäßig angestellte" staatlichen Beamten suchten, soweit sie überhaupt ihren
Aufgabe" genügten, die katholischen Schulen technisch möglichst zu heben; sie
regten die Teilung der überfüllten Schulzirkel an, wiesen auf die dringend not¬
wendigen Neubauten hiu, veranlaßten die Vermehrung der Unterrichtsmittel
und sorgten auch in materieller Beziehung für das ihnen untergebene Lehrer¬
personal. Die natürliche Folge hiervon war, daß sie ihr Interesse und die
Mittel der Staatsregierung vorzugsweise der Entwicklung der polnisch-katholischen
Schulen zuwandten, umsomehr, als man sich einer ganz unbegreiflichen Über¬
schätzung der politischen Erfolge der Schule hingab. Man glaubte treuherzig,
daß man in polnisch-katholischen Schulen, unter der Leitung polnisch-katholischer
Lehrer, aus polnischen Kindern Freunde und Anhänger der preußischen Regierung
erziehen könnte, daß es möglich sei, durch die Schulen die Jugend deutschem
Wesen und deutscher Sitte zu gewinnen, und als Universalmittel hierfür be¬
trachtete man den Unterricht in der deutschen Sprache. Man vergas; leider
vollkommen, daß der polnisch-katholische Lehrerstand, der leider ebenfalls zahl¬
reiche urdcntsche Namen ausweist, durch Religion, Familieuverbinduugeu, Zeitungs-
lektüre und durch den Einfluß des polnischen Grundherrn und des zwar formell,
aber nicht thatsächlich ausgeschlossenen Geistlichen im Banne des Pvlonismns
steht, und daß mau durch häufig widerwillig erteilten schematischen Sprach¬
unterricht kein Kindesherz gewinnen kann, auf welches sich in Kirche und Familie
fortdauernde entgegengesetzte Einflüsse geltend machen. Gegenüber dieser äußern
rein schultechuischen, gutgemeinten, aber übereifriger Förderung des katholischen
Schulwesens blieb die evangelische Schule im Rückstände. Die geistlichen Schul-
inspektorcn, die ihr Amt als Ehrenamt versehen, die ihre zum Teil weit ent¬
fernten Schulen meist nnr einmal im Jahre, bei der Osterprüfnng, besuchen,


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

äußerer Schwierigkeiten meist recht unregelmäßig erteilten konfessionellen Reli¬
gionsunterricht wird teilte ausreichende Gewähr geboten, daß die deutschen
Kinder ihrer Nationalität und Konfession erhalten bleiben.

Leider ging man von jenen bewährten Verwaltungsgrundsätzen in falscher
allgemeiner Anwendung eines für Mittel- und Großstädte richtigen schnltechnischen
Prinzips im Beginn der siebziger Jahre auf Veranlassung des Ministeriums
Falk ab. Es wurden evangelische Schulzirkel gegen den Willen der Beteiligten
aufgelöst und mit polnisch-katholischen Schulen zu einer Ortsschule verbunden;
wenn hierdurch mchrklassige Schulen entstanden, erhielt der anzustellende evan¬
gelische Lehrer häufig die letzte Lehrerstelle, Diesen evangelischen Lehrern, meist
jungen, unverheirateten Leuten, wurde ihre amtliche und wirtschaftliche Situation
in überwiegend polnischen Gegenden sehr bald so unheimlich, daß der Inhaber
der Stelle stetig wechselte und monatelange Vakanzen eintraten; die Unterrichts¬
erfolge der evangelischen Schulstelle wurden hierdurch völlig illusorisch.

Hierzu kam, daß die staatlichen Kreisschnlinspcktoren nur die Aufsicht über
die katholischen, aber nicht über die evangelischen Schulen erhielten. Diese berufs¬
mäßig angestellte» staatlichen Beamten suchten, soweit sie überhaupt ihren
Aufgabe« genügten, die katholischen Schulen technisch möglichst zu heben; sie
regten die Teilung der überfüllten Schulzirkel an, wiesen auf die dringend not¬
wendigen Neubauten hiu, veranlaßten die Vermehrung der Unterrichtsmittel
und sorgten auch in materieller Beziehung für das ihnen untergebene Lehrer¬
personal. Die natürliche Folge hiervon war, daß sie ihr Interesse und die
Mittel der Staatsregierung vorzugsweise der Entwicklung der polnisch-katholischen
Schulen zuwandten, umsomehr, als man sich einer ganz unbegreiflichen Über¬
schätzung der politischen Erfolge der Schule hingab. Man glaubte treuherzig,
daß man in polnisch-katholischen Schulen, unter der Leitung polnisch-katholischer
Lehrer, aus polnischen Kindern Freunde und Anhänger der preußischen Regierung
erziehen könnte, daß es möglich sei, durch die Schulen die Jugend deutschem
Wesen und deutscher Sitte zu gewinnen, und als Universalmittel hierfür be¬
trachtete man den Unterricht in der deutschen Sprache. Man vergas; leider
vollkommen, daß der polnisch-katholische Lehrerstand, der leider ebenfalls zahl¬
reiche urdcntsche Namen ausweist, durch Religion, Familieuverbinduugeu, Zeitungs-
lektüre und durch den Einfluß des polnischen Grundherrn und des zwar formell,
aber nicht thatsächlich ausgeschlossenen Geistlichen im Banne des Pvlonismns
steht, und daß mau durch häufig widerwillig erteilten schematischen Sprach¬
unterricht kein Kindesherz gewinnen kann, auf welches sich in Kirche und Familie
fortdauernde entgegengesetzte Einflüsse geltend machen. Gegenüber dieser äußern
rein schultechuischen, gutgemeinten, aber übereifriger Förderung des katholischen
Schulwesens blieb die evangelische Schule im Rückstände. Die geistlichen Schul-
inspektorcn, die ihr Amt als Ehrenamt versehen, die ihre zum Teil weit ent¬
fernten Schulen meist nnr einmal im Jahre, bei der Osterprüfnng, besuchen,


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[0453] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. äußerer Schwierigkeiten meist recht unregelmäßig erteilten konfessionellen Reli¬ gionsunterricht wird teilte ausreichende Gewähr geboten, daß die deutschen Kinder ihrer Nationalität und Konfession erhalten bleiben. Leider ging man von jenen bewährten Verwaltungsgrundsätzen in falscher allgemeiner Anwendung eines für Mittel- und Großstädte richtigen schnltechnischen Prinzips im Beginn der siebziger Jahre auf Veranlassung des Ministeriums Falk ab. Es wurden evangelische Schulzirkel gegen den Willen der Beteiligten aufgelöst und mit polnisch-katholischen Schulen zu einer Ortsschule verbunden; wenn hierdurch mchrklassige Schulen entstanden, erhielt der anzustellende evan¬ gelische Lehrer häufig die letzte Lehrerstelle, Diesen evangelischen Lehrern, meist jungen, unverheirateten Leuten, wurde ihre amtliche und wirtschaftliche Situation in überwiegend polnischen Gegenden sehr bald so unheimlich, daß der Inhaber der Stelle stetig wechselte und monatelange Vakanzen eintraten; die Unterrichts¬ erfolge der evangelischen Schulstelle wurden hierdurch völlig illusorisch. Hierzu kam, daß die staatlichen Kreisschnlinspcktoren nur die Aufsicht über die katholischen, aber nicht über die evangelischen Schulen erhielten. Diese berufs¬ mäßig angestellte» staatlichen Beamten suchten, soweit sie überhaupt ihren Aufgabe« genügten, die katholischen Schulen technisch möglichst zu heben; sie regten die Teilung der überfüllten Schulzirkel an, wiesen auf die dringend not¬ wendigen Neubauten hiu, veranlaßten die Vermehrung der Unterrichtsmittel und sorgten auch in materieller Beziehung für das ihnen untergebene Lehrer¬ personal. Die natürliche Folge hiervon war, daß sie ihr Interesse und die Mittel der Staatsregierung vorzugsweise der Entwicklung der polnisch-katholischen Schulen zuwandten, umsomehr, als man sich einer ganz unbegreiflichen Über¬ schätzung der politischen Erfolge der Schule hingab. Man glaubte treuherzig, daß man in polnisch-katholischen Schulen, unter der Leitung polnisch-katholischer Lehrer, aus polnischen Kindern Freunde und Anhänger der preußischen Regierung erziehen könnte, daß es möglich sei, durch die Schulen die Jugend deutschem Wesen und deutscher Sitte zu gewinnen, und als Universalmittel hierfür be¬ trachtete man den Unterricht in der deutschen Sprache. Man vergas; leider vollkommen, daß der polnisch-katholische Lehrerstand, der leider ebenfalls zahl¬ reiche urdcntsche Namen ausweist, durch Religion, Familieuverbinduugeu, Zeitungs- lektüre und durch den Einfluß des polnischen Grundherrn und des zwar formell, aber nicht thatsächlich ausgeschlossenen Geistlichen im Banne des Pvlonismns steht, und daß mau durch häufig widerwillig erteilten schematischen Sprach¬ unterricht kein Kindesherz gewinnen kann, auf welches sich in Kirche und Familie fortdauernde entgegengesetzte Einflüsse geltend machen. Gegenüber dieser äußern rein schultechuischen, gutgemeinten, aber übereifriger Förderung des katholischen Schulwesens blieb die evangelische Schule im Rückstände. Die geistlichen Schul- inspektorcn, die ihr Amt als Ehrenamt versehen, die ihre zum Teil weit ent¬ fernten Schulen meist nnr einmal im Jahre, bei der Osterprüfnng, besuchen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/453>, abgerufen am 28.09.2024.