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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

Besonders wichtig für die Aufgaben der Staatsregierung ist eine kräftige,
die persönliche Einwirkung auf die Bevölkerung ermöglichende Verwaltung der
Landräte. Man verringere deshalb den Umfang der Kreise derartig, daß der
Landrat wirklich Lokalbeamter ist; jede Kreisstadt wird überdies durch ihren
Bccimtenapparat und ihre bessern Vcrkehrsverbindnngen allmählich ein Krh-
stallisationspnnkt für die deutsche Ansiedlung.

Der Versuch, die Beamten der Provinz an dieselbe durch höhere Gehalts-
bczttge zu fesseln, mag besser unterbleiben. Zunächst könnten hierdurch auch
gleiche Ansprüche in andern Landesteilen hervorgerufen werden, die vielleicht dem
Lokalbeamten noch weniger persönliche Annehmlichkeiten bieten; wir erinnern
nur an einzelne Teile Ostpreußens und Oberschlesiens. Es erscheint aber auch
aus sittlichen Gründen ausgeschlossen, einen preußischen Beamten durch erhöhte
Gehaltsbezüge gegenüber den Beamten der gleichen Kategorie in andern Landes¬
teilen um sein Amt fesseln zu wollen. Glaubt man in der That, durch äußere
Mittel einen stabileren Beamtenstand für die Provinz zu gewinnen, so möchte
es uns würdiger erscheinen, die Beamten, die sich durch taktvolle und erfolg¬
reiche Verwaltung unter den schwierigen provinziellen Verhältnissen ausgezeichnet
haben, mit schnellerer Beförderung und den mancherlei sonst der höchsten Staats¬
gewalt zur Verfügung stehenden Auszeichnungen zu belohnen.

Der Hauptschwcrpunkt der Stärkung des Deutschtums in der Provinz liegt
indes auf dem Gebiete von Kirche und Schule. Wenn man jetzt noch in der
Provinz deutsche Bauerngemeinden auch in den polnischen Kreisen findet, so
verdankt man dies, wie gesagt, der guten altpreußischen Verwaltung in dem
Konsistorium der Provinz und den Ncgierungsschulabtcilnngen, die zwar langsam,
aber stetig für die Ansammlung der Mittel sorgten, um das Deutschtum in
evangelischen Pfarrsystemen und evangelischen Schulgemeinden zu sammeln.

Zu einer Pfarrgemeinde von dreihundert bis vierhundert Seelen gehören
oft zehn und mehr Ortschaften, aber die zerstreut wohnenden deutschen Bauern
dieser Gemeinden haben und behalten einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt für
ihre Nationalität und ihre" Glauben. Sie fühlen sich im Gegensatze zu dem
Polentum als Deutsche und bleiben ihrer Nationalität erhalten.

Ganz ebenso liegt es mit der deutsche evangelischen Schule. Wenngleich
die evangelischen Schulkinder oft Entfernungen von einer halben Meile und
weiter nach ihrem Schnlorte zurückzulegen hatten, so bot doch die evangelische
Konfessionsschule die Garantie, daß die deutschen Kinder in völliger Jsolirung
von dem Polentum heranwuchsen, daß damit in ihnen das Gefühl ihrer natio¬
nalen Sonderheit gepflegt wurde, daß sie eiuen geordneten konfessionellen Re¬
ligionsunterricht genossen, und wenn auch vielleicht zuweilen mit geringen
positiven Kenntnissen, wie sie die weiten Schulwege und die hiermit zusammen-
hängenden vielfachen Versäumnisse mit sich brachte", so doch als sichere Deutsche
die Schule verließen. Durch den in den Simultanschulen nebenbei und infolge


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

Besonders wichtig für die Aufgaben der Staatsregierung ist eine kräftige,
die persönliche Einwirkung auf die Bevölkerung ermöglichende Verwaltung der
Landräte. Man verringere deshalb den Umfang der Kreise derartig, daß der
Landrat wirklich Lokalbeamter ist; jede Kreisstadt wird überdies durch ihren
Bccimtenapparat und ihre bessern Vcrkehrsverbindnngen allmählich ein Krh-
stallisationspnnkt für die deutsche Ansiedlung.

Der Versuch, die Beamten der Provinz an dieselbe durch höhere Gehalts-
bczttge zu fesseln, mag besser unterbleiben. Zunächst könnten hierdurch auch
gleiche Ansprüche in andern Landesteilen hervorgerufen werden, die vielleicht dem
Lokalbeamten noch weniger persönliche Annehmlichkeiten bieten; wir erinnern
nur an einzelne Teile Ostpreußens und Oberschlesiens. Es erscheint aber auch
aus sittlichen Gründen ausgeschlossen, einen preußischen Beamten durch erhöhte
Gehaltsbezüge gegenüber den Beamten der gleichen Kategorie in andern Landes¬
teilen um sein Amt fesseln zu wollen. Glaubt man in der That, durch äußere
Mittel einen stabileren Beamtenstand für die Provinz zu gewinnen, so möchte
es uns würdiger erscheinen, die Beamten, die sich durch taktvolle und erfolg¬
reiche Verwaltung unter den schwierigen provinziellen Verhältnissen ausgezeichnet
haben, mit schnellerer Beförderung und den mancherlei sonst der höchsten Staats¬
gewalt zur Verfügung stehenden Auszeichnungen zu belohnen.

Der Hauptschwcrpunkt der Stärkung des Deutschtums in der Provinz liegt
indes auf dem Gebiete von Kirche und Schule. Wenn man jetzt noch in der
Provinz deutsche Bauerngemeinden auch in den polnischen Kreisen findet, so
verdankt man dies, wie gesagt, der guten altpreußischen Verwaltung in dem
Konsistorium der Provinz und den Ncgierungsschulabtcilnngen, die zwar langsam,
aber stetig für die Ansammlung der Mittel sorgten, um das Deutschtum in
evangelischen Pfarrsystemen und evangelischen Schulgemeinden zu sammeln.

Zu einer Pfarrgemeinde von dreihundert bis vierhundert Seelen gehören
oft zehn und mehr Ortschaften, aber die zerstreut wohnenden deutschen Bauern
dieser Gemeinden haben und behalten einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt für
ihre Nationalität und ihre» Glauben. Sie fühlen sich im Gegensatze zu dem
Polentum als Deutsche und bleiben ihrer Nationalität erhalten.

Ganz ebenso liegt es mit der deutsche evangelischen Schule. Wenngleich
die evangelischen Schulkinder oft Entfernungen von einer halben Meile und
weiter nach ihrem Schnlorte zurückzulegen hatten, so bot doch die evangelische
Konfessionsschule die Garantie, daß die deutschen Kinder in völliger Jsolirung
von dem Polentum heranwuchsen, daß damit in ihnen das Gefühl ihrer natio¬
nalen Sonderheit gepflegt wurde, daß sie eiuen geordneten konfessionellen Re¬
ligionsunterricht genossen, und wenn auch vielleicht zuweilen mit geringen
positiven Kenntnissen, wie sie die weiten Schulwege und die hiermit zusammen-
hängenden vielfachen Versäumnisse mit sich brachte», so doch als sichere Deutsche
die Schule verließen. Durch den in den Simultanschulen nebenbei und infolge


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[0452] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. Besonders wichtig für die Aufgaben der Staatsregierung ist eine kräftige, die persönliche Einwirkung auf die Bevölkerung ermöglichende Verwaltung der Landräte. Man verringere deshalb den Umfang der Kreise derartig, daß der Landrat wirklich Lokalbeamter ist; jede Kreisstadt wird überdies durch ihren Bccimtenapparat und ihre bessern Vcrkehrsverbindnngen allmählich ein Krh- stallisationspnnkt für die deutsche Ansiedlung. Der Versuch, die Beamten der Provinz an dieselbe durch höhere Gehalts- bczttge zu fesseln, mag besser unterbleiben. Zunächst könnten hierdurch auch gleiche Ansprüche in andern Landesteilen hervorgerufen werden, die vielleicht dem Lokalbeamten noch weniger persönliche Annehmlichkeiten bieten; wir erinnern nur an einzelne Teile Ostpreußens und Oberschlesiens. Es erscheint aber auch aus sittlichen Gründen ausgeschlossen, einen preußischen Beamten durch erhöhte Gehaltsbezüge gegenüber den Beamten der gleichen Kategorie in andern Landes¬ teilen um sein Amt fesseln zu wollen. Glaubt man in der That, durch äußere Mittel einen stabileren Beamtenstand für die Provinz zu gewinnen, so möchte es uns würdiger erscheinen, die Beamten, die sich durch taktvolle und erfolg¬ reiche Verwaltung unter den schwierigen provinziellen Verhältnissen ausgezeichnet haben, mit schnellerer Beförderung und den mancherlei sonst der höchsten Staats¬ gewalt zur Verfügung stehenden Auszeichnungen zu belohnen. Der Hauptschwcrpunkt der Stärkung des Deutschtums in der Provinz liegt indes auf dem Gebiete von Kirche und Schule. Wenn man jetzt noch in der Provinz deutsche Bauerngemeinden auch in den polnischen Kreisen findet, so verdankt man dies, wie gesagt, der guten altpreußischen Verwaltung in dem Konsistorium der Provinz und den Ncgierungsschulabtcilnngen, die zwar langsam, aber stetig für die Ansammlung der Mittel sorgten, um das Deutschtum in evangelischen Pfarrsystemen und evangelischen Schulgemeinden zu sammeln. Zu einer Pfarrgemeinde von dreihundert bis vierhundert Seelen gehören oft zehn und mehr Ortschaften, aber die zerstreut wohnenden deutschen Bauern dieser Gemeinden haben und behalten einen gemeinschaftlichen Mittelpunkt für ihre Nationalität und ihre» Glauben. Sie fühlen sich im Gegensatze zu dem Polentum als Deutsche und bleiben ihrer Nationalität erhalten. Ganz ebenso liegt es mit der deutsche evangelischen Schule. Wenngleich die evangelischen Schulkinder oft Entfernungen von einer halben Meile und weiter nach ihrem Schnlorte zurückzulegen hatten, so bot doch die evangelische Konfessionsschule die Garantie, daß die deutschen Kinder in völliger Jsolirung von dem Polentum heranwuchsen, daß damit in ihnen das Gefühl ihrer natio¬ nalen Sonderheit gepflegt wurde, daß sie eiuen geordneten konfessionellen Re¬ ligionsunterricht genossen, und wenn auch vielleicht zuweilen mit geringen positiven Kenntnissen, wie sie die weiten Schulwege und die hiermit zusammen- hängenden vielfachen Versäumnisse mit sich brachte», so doch als sichere Deutsche die Schule verließen. Durch den in den Simultanschulen nebenbei und infolge

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/452>, abgerufen am 21.06.2024.