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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Aamxf der deutschen Nationalität mit fremden Uultnren.

französische Courtoisie, mit der sie allerdings eingefaßt war, stand mit der
ritterlichen Zeit so sehr im Einklange, daß sie kaum noch als etwas Fremdes
erschien. Da schlich sich das Römertum in einer andern Form abermals in
Deutschland ein: als Lorxus Mis, als Rechtsnorm.

Die Hohenstaufen haben die Herzen der Deutschen gewonnen durch ihre
Ritterlichkeit und ihre Vorliebe für den Minnegesang, noch mehr, sie sind in
ihren Kämpfen mit den Päpsten für die nationale Sache eingetreten, deshalb
stellten sich die protestantische und die nationale Geschichtschreibung so gern auf
ihre Seite. Allein man sollte nie vergessen, daß sie mit den Päpsten um Italien
gekämpft und dem deutschen Volke mit der, wenn auch nur indirekten Einschleppung
des römischen Rechtes einen schlechten Dienst erwiesen haben. Nicht weil das
germanische Recht viel besser gewesen wäre als das römische, sondern weil jedes
fremde Recht den Eigentümlichkeiten des Landes und Volkes, auf welche es
übertragen wird, nicht Rechnung trägt, nicht Rechnung tragen kann. Und in
welcher Gestalt kamen die römischen Rechtsbcstimmnngen auf uns? In der
Auswahl, welche die despotische Willkür des Kaisers Justinian getroffen hatte,
in der Gestalt des s'oäsx ^ustinlNiöus mit seinen Pandekten, Institutionen,
Konstitutionen und Novellen. Barbarossa war es, der in Oberitalien während
seines Kampfes gegen die widerspenstigen Stadtrepnbliken sich zuerst des Rates
römischer Rechtsgelehrten aus Bologna bediente, um die Regalien (die Königs¬
und Kaiserrechte) festzustellen. Jeder Kaiser nach ihm, und wenn es nur die
.Kaiser gethan hätten, jeder weltliche und geistliche Machthaber, welchen Titel
er auch immer führte, machte in der Folge das römische Recht zu seinem Hof¬
rechte. Warum nicht? So erst wurde es ihnen möglich, sich mit einer Fülle
von Majestät zu umgeben, die das deutsche Volksrecht nicht kannte und nie
genährt hätte, so erst konnten die feinen Unterschiede zwischen Freien und
Dienstleuten, zwischen Hörigen und Leibeignen in dem Unterthauenbegriffe ver¬
schmolzen werden. Die starre römische Rechtsanschauung hatte anfangs große
Härten im Gefolge, die erst allmählich in der neuern Zeit durch die wieder¬
kehrende Sonne christlicher und volkstümlicher Innerlichkeit ausgeglichen wurden.
In der Zeit, von der wir reden, ging man noch weiter. Gegen alle, Hoch und
Niedrig, Arm und Reich, wurde im peinlichen Gerichte die Tortur verfügt,
der in Rom nur die Sklaven unterworfen gewesen waren. Nur nach und nach
hat sich das römische Recht in Deutschland festgesetzt, aber es hat sich fest¬
gesetzt, und durch Karls V. peinliche Gerichtsordnung hat es im Strafverfahren
das Bürgerrecht erhalten. Wir wissen, mit welchem Ingrimm das deutsche
Volk dem römischen Rechte gegenübertrat, wie es die römischen Doktoren, die,
nachdem sie in Bologna studirt hatten, sich ihres deutschen Namens schämten,
mit Stockprügeln verfolgte. Der Olearius in Goethes Götz von Berlichingen
läßt uns heute noch und immer vou neuem bedauern, daß es nichts geholfen
hat. Der Zorn des Volkes war vergeblich. Die römischen Doktoren nisteten


Der Aamxf der deutschen Nationalität mit fremden Uultnren.

französische Courtoisie, mit der sie allerdings eingefaßt war, stand mit der
ritterlichen Zeit so sehr im Einklange, daß sie kaum noch als etwas Fremdes
erschien. Da schlich sich das Römertum in einer andern Form abermals in
Deutschland ein: als Lorxus Mis, als Rechtsnorm.

Die Hohenstaufen haben die Herzen der Deutschen gewonnen durch ihre
Ritterlichkeit und ihre Vorliebe für den Minnegesang, noch mehr, sie sind in
ihren Kämpfen mit den Päpsten für die nationale Sache eingetreten, deshalb
stellten sich die protestantische und die nationale Geschichtschreibung so gern auf
ihre Seite. Allein man sollte nie vergessen, daß sie mit den Päpsten um Italien
gekämpft und dem deutschen Volke mit der, wenn auch nur indirekten Einschleppung
des römischen Rechtes einen schlechten Dienst erwiesen haben. Nicht weil das
germanische Recht viel besser gewesen wäre als das römische, sondern weil jedes
fremde Recht den Eigentümlichkeiten des Landes und Volkes, auf welche es
übertragen wird, nicht Rechnung trägt, nicht Rechnung tragen kann. Und in
welcher Gestalt kamen die römischen Rechtsbcstimmnngen auf uns? In der
Auswahl, welche die despotische Willkür des Kaisers Justinian getroffen hatte,
in der Gestalt des s'oäsx ^ustinlNiöus mit seinen Pandekten, Institutionen,
Konstitutionen und Novellen. Barbarossa war es, der in Oberitalien während
seines Kampfes gegen die widerspenstigen Stadtrepnbliken sich zuerst des Rates
römischer Rechtsgelehrten aus Bologna bediente, um die Regalien (die Königs¬
und Kaiserrechte) festzustellen. Jeder Kaiser nach ihm, und wenn es nur die
.Kaiser gethan hätten, jeder weltliche und geistliche Machthaber, welchen Titel
er auch immer führte, machte in der Folge das römische Recht zu seinem Hof¬
rechte. Warum nicht? So erst wurde es ihnen möglich, sich mit einer Fülle
von Majestät zu umgeben, die das deutsche Volksrecht nicht kannte und nie
genährt hätte, so erst konnten die feinen Unterschiede zwischen Freien und
Dienstleuten, zwischen Hörigen und Leibeignen in dem Unterthauenbegriffe ver¬
schmolzen werden. Die starre römische Rechtsanschauung hatte anfangs große
Härten im Gefolge, die erst allmählich in der neuern Zeit durch die wieder¬
kehrende Sonne christlicher und volkstümlicher Innerlichkeit ausgeglichen wurden.
In der Zeit, von der wir reden, ging man noch weiter. Gegen alle, Hoch und
Niedrig, Arm und Reich, wurde im peinlichen Gerichte die Tortur verfügt,
der in Rom nur die Sklaven unterworfen gewesen waren. Nur nach und nach
hat sich das römische Recht in Deutschland festgesetzt, aber es hat sich fest¬
gesetzt, und durch Karls V. peinliche Gerichtsordnung hat es im Strafverfahren
das Bürgerrecht erhalten. Wir wissen, mit welchem Ingrimm das deutsche
Volk dem römischen Rechte gegenübertrat, wie es die römischen Doktoren, die,
nachdem sie in Bologna studirt hatten, sich ihres deutschen Namens schämten,
mit Stockprügeln verfolgte. Der Olearius in Goethes Götz von Berlichingen
läßt uns heute noch und immer vou neuem bedauern, daß es nichts geholfen
hat. Der Zorn des Volkes war vergeblich. Die römischen Doktoren nisteten


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[0424] Der Aamxf der deutschen Nationalität mit fremden Uultnren. französische Courtoisie, mit der sie allerdings eingefaßt war, stand mit der ritterlichen Zeit so sehr im Einklange, daß sie kaum noch als etwas Fremdes erschien. Da schlich sich das Römertum in einer andern Form abermals in Deutschland ein: als Lorxus Mis, als Rechtsnorm. Die Hohenstaufen haben die Herzen der Deutschen gewonnen durch ihre Ritterlichkeit und ihre Vorliebe für den Minnegesang, noch mehr, sie sind in ihren Kämpfen mit den Päpsten für die nationale Sache eingetreten, deshalb stellten sich die protestantische und die nationale Geschichtschreibung so gern auf ihre Seite. Allein man sollte nie vergessen, daß sie mit den Päpsten um Italien gekämpft und dem deutschen Volke mit der, wenn auch nur indirekten Einschleppung des römischen Rechtes einen schlechten Dienst erwiesen haben. Nicht weil das germanische Recht viel besser gewesen wäre als das römische, sondern weil jedes fremde Recht den Eigentümlichkeiten des Landes und Volkes, auf welche es übertragen wird, nicht Rechnung trägt, nicht Rechnung tragen kann. Und in welcher Gestalt kamen die römischen Rechtsbcstimmnngen auf uns? In der Auswahl, welche die despotische Willkür des Kaisers Justinian getroffen hatte, in der Gestalt des s'oäsx ^ustinlNiöus mit seinen Pandekten, Institutionen, Konstitutionen und Novellen. Barbarossa war es, der in Oberitalien während seines Kampfes gegen die widerspenstigen Stadtrepnbliken sich zuerst des Rates römischer Rechtsgelehrten aus Bologna bediente, um die Regalien (die Königs¬ und Kaiserrechte) festzustellen. Jeder Kaiser nach ihm, und wenn es nur die .Kaiser gethan hätten, jeder weltliche und geistliche Machthaber, welchen Titel er auch immer führte, machte in der Folge das römische Recht zu seinem Hof¬ rechte. Warum nicht? So erst wurde es ihnen möglich, sich mit einer Fülle von Majestät zu umgeben, die das deutsche Volksrecht nicht kannte und nie genährt hätte, so erst konnten die feinen Unterschiede zwischen Freien und Dienstleuten, zwischen Hörigen und Leibeignen in dem Unterthauenbegriffe ver¬ schmolzen werden. Die starre römische Rechtsanschauung hatte anfangs große Härten im Gefolge, die erst allmählich in der neuern Zeit durch die wieder¬ kehrende Sonne christlicher und volkstümlicher Innerlichkeit ausgeglichen wurden. In der Zeit, von der wir reden, ging man noch weiter. Gegen alle, Hoch und Niedrig, Arm und Reich, wurde im peinlichen Gerichte die Tortur verfügt, der in Rom nur die Sklaven unterworfen gewesen waren. Nur nach und nach hat sich das römische Recht in Deutschland festgesetzt, aber es hat sich fest¬ gesetzt, und durch Karls V. peinliche Gerichtsordnung hat es im Strafverfahren das Bürgerrecht erhalten. Wir wissen, mit welchem Ingrimm das deutsche Volk dem römischen Rechte gegenübertrat, wie es die römischen Doktoren, die, nachdem sie in Bologna studirt hatten, sich ihres deutschen Namens schämten, mit Stockprügeln verfolgte. Der Olearius in Goethes Götz von Berlichingen läßt uns heute noch und immer vou neuem bedauern, daß es nichts geholfen hat. Der Zorn des Volkes war vergeblich. Die römischen Doktoren nisteten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/424>, abgerufen am 02.07.2024.