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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

über dem Kaiser stehen müsse, zu einem Grundgesetze der Kirche und riß die
deutsche Geistlichkeit durch das Cölibat unerbittlich vom nationalen Leben los;
sein hierarchisches Gebäude war, als er starb, mit eisernen Klammern an Rom
und nur an Rom gekettet. Aber gleichzeitig war auch der Kampf entbrannt
zwischen dem nationalen Königtum und dem fremdländischen Papsttum, zwischen
Staat und Kirche, zwischen Volkstum und Hierarchie, zwischen Deutsch und
Latein. Noch mehr, eine neue Macht, mit der fortan Papst und Kaiser
rechnen mussten, erstand in dem Bürgertum. Die deutschen Städte am Rhein
stellten ihre reichen Hilfsmittel dem bedrängten Kaiser bereitwillig zur Verfügung,
als wenn sie damit sagen wollten, daß die Nationalität in ihnen fortan den
energischsten Ausdruck finden würde. Die Gegensätze waren hervorgetreten, keine
Macht der Erde konnte sie wieder zurückdrängen, sie sind stehen geblieben bis
zum heutigen Tage, und der Bannfluch Gregors VII. traf weniger den Kaiser
als vielmehr die römische Bildung in Deutschland.

Unter den Hohenstaufen brach das deutsche Geistesleben als ein mächtiger
Strom der Wanderlust und Kampfesfreudigkeit aus der Tiefe des Volkes hervor.
Welche Fülle von Epen und lyrischen Ergüssen, der Spruchdichtung nicht zu
gedenken! Und merkwürdig, die Geistlichen gingen mit gutem Beispiel voran.
Wie war das möglich? Die Kreuzzüge lösten den römischen Baun wenigstens für
einige Zeit. Auf der Wanderschaft, unter den Abenteuern im Morgenlande kam
ihr deutsch-nationales Gepräge wieder zum Vorschein. Sie rafften die alten
Volkssagen auf, vom Herzog Ernst, vom König Rother, und verwebten damit
die Abenteuer des Morgenlandes, freilich in der naiven, wunderlichen Fassung,
welche diese in ihrer kindlichen Mönchsphantasie angenommen hatten. Wohl lief
auch manches Gelehrte mit unter, wie die Alexcmdersage oder auch die französische
Nolcmdsage, aber sie brachten alles, was ihren Kopf und ihr Herz erfüllte, in
deutsche Reimpaare und erweckten so die deutsche Literatur zu neuem Leben.
Kaum dreißig Jahre vergingen, dann nahmen ihnen die Ritter die Mühe, zu
dichten, ab, und das war gut, deun der erste Rausch der Kreuzfahrten dauerte
nicht lange; was geistlich war, mußte wieder unter das römische Joch schlüpfen.
Das Rittertum! Es war ein französisches Produkt, ans deutschen Boden verpflanzt.
Immer behielt es etwas Fremdländisches, in den zierlichen Kampfspielen sowohl
als in dem gekünstelter Minnedienste, und etwas Kosmopolitisches, denn der
Ritter hatte keine rechte Heimat. Auch die mittelalterliche Kunstdichtung entbehrt
der nationalen Kraft und Sicherheit. Die Stoffe selbst, die Artus- und die Gral¬
sage, waren ausländisch, die Verse waren gespickt mit französischen Brocken, der
Minnegesang holte sich seine Jeremiadcn über nicht erhörte Liebe, seine mono¬
tonen Winter- und Sommerbetrachtungen bei den Troubadours; aber das
Volksepos mit den echt germanischen Sagenstoffen, das Volkslied und die
Freidcmksche Spruchdichtung brachen mächtig durch. Eine deutsche Literatur war
geboren, wuchs lebenskräftig auf und konnte nicht wieder untergehen. Die


Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

über dem Kaiser stehen müsse, zu einem Grundgesetze der Kirche und riß die
deutsche Geistlichkeit durch das Cölibat unerbittlich vom nationalen Leben los;
sein hierarchisches Gebäude war, als er starb, mit eisernen Klammern an Rom
und nur an Rom gekettet. Aber gleichzeitig war auch der Kampf entbrannt
zwischen dem nationalen Königtum und dem fremdländischen Papsttum, zwischen
Staat und Kirche, zwischen Volkstum und Hierarchie, zwischen Deutsch und
Latein. Noch mehr, eine neue Macht, mit der fortan Papst und Kaiser
rechnen mussten, erstand in dem Bürgertum. Die deutschen Städte am Rhein
stellten ihre reichen Hilfsmittel dem bedrängten Kaiser bereitwillig zur Verfügung,
als wenn sie damit sagen wollten, daß die Nationalität in ihnen fortan den
energischsten Ausdruck finden würde. Die Gegensätze waren hervorgetreten, keine
Macht der Erde konnte sie wieder zurückdrängen, sie sind stehen geblieben bis
zum heutigen Tage, und der Bannfluch Gregors VII. traf weniger den Kaiser
als vielmehr die römische Bildung in Deutschland.

Unter den Hohenstaufen brach das deutsche Geistesleben als ein mächtiger
Strom der Wanderlust und Kampfesfreudigkeit aus der Tiefe des Volkes hervor.
Welche Fülle von Epen und lyrischen Ergüssen, der Spruchdichtung nicht zu
gedenken! Und merkwürdig, die Geistlichen gingen mit gutem Beispiel voran.
Wie war das möglich? Die Kreuzzüge lösten den römischen Baun wenigstens für
einige Zeit. Auf der Wanderschaft, unter den Abenteuern im Morgenlande kam
ihr deutsch-nationales Gepräge wieder zum Vorschein. Sie rafften die alten
Volkssagen auf, vom Herzog Ernst, vom König Rother, und verwebten damit
die Abenteuer des Morgenlandes, freilich in der naiven, wunderlichen Fassung,
welche diese in ihrer kindlichen Mönchsphantasie angenommen hatten. Wohl lief
auch manches Gelehrte mit unter, wie die Alexcmdersage oder auch die französische
Nolcmdsage, aber sie brachten alles, was ihren Kopf und ihr Herz erfüllte, in
deutsche Reimpaare und erweckten so die deutsche Literatur zu neuem Leben.
Kaum dreißig Jahre vergingen, dann nahmen ihnen die Ritter die Mühe, zu
dichten, ab, und das war gut, deun der erste Rausch der Kreuzfahrten dauerte
nicht lange; was geistlich war, mußte wieder unter das römische Joch schlüpfen.
Das Rittertum! Es war ein französisches Produkt, ans deutschen Boden verpflanzt.
Immer behielt es etwas Fremdländisches, in den zierlichen Kampfspielen sowohl
als in dem gekünstelter Minnedienste, und etwas Kosmopolitisches, denn der
Ritter hatte keine rechte Heimat. Auch die mittelalterliche Kunstdichtung entbehrt
der nationalen Kraft und Sicherheit. Die Stoffe selbst, die Artus- und die Gral¬
sage, waren ausländisch, die Verse waren gespickt mit französischen Brocken, der
Minnegesang holte sich seine Jeremiadcn über nicht erhörte Liebe, seine mono¬
tonen Winter- und Sommerbetrachtungen bei den Troubadours; aber das
Volksepos mit den echt germanischen Sagenstoffen, das Volkslied und die
Freidcmksche Spruchdichtung brachen mächtig durch. Eine deutsche Literatur war
geboren, wuchs lebenskräftig auf und konnte nicht wieder untergehen. Die


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[0423] Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. über dem Kaiser stehen müsse, zu einem Grundgesetze der Kirche und riß die deutsche Geistlichkeit durch das Cölibat unerbittlich vom nationalen Leben los; sein hierarchisches Gebäude war, als er starb, mit eisernen Klammern an Rom und nur an Rom gekettet. Aber gleichzeitig war auch der Kampf entbrannt zwischen dem nationalen Königtum und dem fremdländischen Papsttum, zwischen Staat und Kirche, zwischen Volkstum und Hierarchie, zwischen Deutsch und Latein. Noch mehr, eine neue Macht, mit der fortan Papst und Kaiser rechnen mussten, erstand in dem Bürgertum. Die deutschen Städte am Rhein stellten ihre reichen Hilfsmittel dem bedrängten Kaiser bereitwillig zur Verfügung, als wenn sie damit sagen wollten, daß die Nationalität in ihnen fortan den energischsten Ausdruck finden würde. Die Gegensätze waren hervorgetreten, keine Macht der Erde konnte sie wieder zurückdrängen, sie sind stehen geblieben bis zum heutigen Tage, und der Bannfluch Gregors VII. traf weniger den Kaiser als vielmehr die römische Bildung in Deutschland. Unter den Hohenstaufen brach das deutsche Geistesleben als ein mächtiger Strom der Wanderlust und Kampfesfreudigkeit aus der Tiefe des Volkes hervor. Welche Fülle von Epen und lyrischen Ergüssen, der Spruchdichtung nicht zu gedenken! Und merkwürdig, die Geistlichen gingen mit gutem Beispiel voran. Wie war das möglich? Die Kreuzzüge lösten den römischen Baun wenigstens für einige Zeit. Auf der Wanderschaft, unter den Abenteuern im Morgenlande kam ihr deutsch-nationales Gepräge wieder zum Vorschein. Sie rafften die alten Volkssagen auf, vom Herzog Ernst, vom König Rother, und verwebten damit die Abenteuer des Morgenlandes, freilich in der naiven, wunderlichen Fassung, welche diese in ihrer kindlichen Mönchsphantasie angenommen hatten. Wohl lief auch manches Gelehrte mit unter, wie die Alexcmdersage oder auch die französische Nolcmdsage, aber sie brachten alles, was ihren Kopf und ihr Herz erfüllte, in deutsche Reimpaare und erweckten so die deutsche Literatur zu neuem Leben. Kaum dreißig Jahre vergingen, dann nahmen ihnen die Ritter die Mühe, zu dichten, ab, und das war gut, deun der erste Rausch der Kreuzfahrten dauerte nicht lange; was geistlich war, mußte wieder unter das römische Joch schlüpfen. Das Rittertum! Es war ein französisches Produkt, ans deutschen Boden verpflanzt. Immer behielt es etwas Fremdländisches, in den zierlichen Kampfspielen sowohl als in dem gekünstelter Minnedienste, und etwas Kosmopolitisches, denn der Ritter hatte keine rechte Heimat. Auch die mittelalterliche Kunstdichtung entbehrt der nationalen Kraft und Sicherheit. Die Stoffe selbst, die Artus- und die Gral¬ sage, waren ausländisch, die Verse waren gespickt mit französischen Brocken, der Minnegesang holte sich seine Jeremiadcn über nicht erhörte Liebe, seine mono¬ tonen Winter- und Sommerbetrachtungen bei den Troubadours; aber das Volksepos mit den echt germanischen Sagenstoffen, das Volkslied und die Freidcmksche Spruchdichtung brachen mächtig durch. Eine deutsche Literatur war geboren, wuchs lebenskräftig auf und konnte nicht wieder untergehen. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/423>, abgerufen am 29.12.2024.