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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

Wir dürfen an dieser Stelle nicht der Frage ausweichen, ob die römisch¬
griechische Bildung, welche die Frauen des sächsischen Königshauses mit so viel
Eifer fördern halfen, wirklich der unentbehrliche Unterbau unsrer nationalen
Geistesentwicklung war, wofür man sie so gern ausgiebt, oder wenigsteus das
Gradirwerk, durch welches die Seele des deutschen Geistes erst hindurchträufeln
mußte, ehe sie geklärt in den Sicdekcsscl unsers modern-christlichen Staates
hineinfließen durfte, oder ob sie nicht vielmehr ein Stillstand in der glücklich
begonnenen Gestaltung unsers Volkslebens war. Letzteres ist wahrscheinlicher
als das erstere. Die deutsche Literatur hatte in dem Zeitraume von Karl dem
Großen bis zu den Ottonen beträchtliche Fortschritte gemacht, Muspilli, Heliand,
Otfrieds Christ, das Ludwigslied sind schon mehr als bloße Anfänge; unter
den Ottonen verstummt die deutsche Zunge, wenn auch die deutsche Anschauungs¬
weise fortdauert, Walther von Aquitanien, Ruodlieb, die Gedichte aus der Tier¬
sage, alles ist lateinisch geschrieben. Dies ist zu bedauern, denn eine gewisse
Anschauung der Dinge läßt sich nicht dnrch eine tote Sprache, sondern voll¬
kommen nur dnrch die ihr gleichalterige, lebende Lautform der Gedanken aus¬
drücken. Und warum hätte sich die deutsche Nationalität nicht in der ihr
natürlichen Denk- und Ausdrucksform zu immer höhern Kulturstufen empor¬
arbeiten können? Wuchs nicht auch das Griechentum aus sich selbst heraus?
Allerdings erhielt es den Anstoß von Ägypten, Phönizien und Kleinasien her.
Aber nur den Anstoß, dann warf es die Windeln weg und ging den eignen
Weg. So hätte sich das Deutschtum auch auf eigne Füße stellen können,
nachdem es vom alten Rom aus und durch die ringsum wohnenden romanischen
Völker zur höher" Kultur angeregt worden war. Statt dessen wurde es immer
von neuem in die Wiege zurückgezwäugt.

Unter den fränkischen Kaisern trat im politischen Leben eine Reaktion gegen
die lateinischen Umtriebe ein, die deutsche Literatur verharrte in ihrer Erstarrung.
Aber schou unter Konrad II. beginnt sich die nationale Sagendichtung wieder
zu regen, seine Fehde mit dem Stiefsöhne Ernst von Schwaben gab hierzu die
Veranlassung. An sich war der Streit zwischen Vater und Sohn wenig er¬
baulich, aber die peinliche Lage, in welche die Mutter dadurch geriet, die
Freundschaft Werners von Khburg und der tragische Ausgang der Empörer
waren Momente, die dem sinnigen Ernste der Volksdichtung zusagten. Die
spätern Dichter, welche die Sage bearbeiteten, übertrugen den Gegenstand auf
Otto den Großen und Adelheid, gleichsam um auch dieser unfruchtbaren Zeit
zu Hilfe zu kommen. Heinrich III. war ein rechter Kaiser deutscher Nation, die
Päpste setzte er ein und ab wie seine Beamten, aber er starb zu früh, um tief¬
gehende Wirkungen seiner Kraft zu hinterlassen. Heinrich IV., der Vielbedrängte
und ewig Zähe, unterlag im Kampfe mit den Päpsten, obgleich er sich auf der
Oberfläche der Herrschaft erhielt. Die gewaltige Konsequenz eines Gregor VII.
erhob die Forderung, daß die geistliche Gewalt über der weltlichen, der Papst


Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

Wir dürfen an dieser Stelle nicht der Frage ausweichen, ob die römisch¬
griechische Bildung, welche die Frauen des sächsischen Königshauses mit so viel
Eifer fördern halfen, wirklich der unentbehrliche Unterbau unsrer nationalen
Geistesentwicklung war, wofür man sie so gern ausgiebt, oder wenigsteus das
Gradirwerk, durch welches die Seele des deutschen Geistes erst hindurchträufeln
mußte, ehe sie geklärt in den Sicdekcsscl unsers modern-christlichen Staates
hineinfließen durfte, oder ob sie nicht vielmehr ein Stillstand in der glücklich
begonnenen Gestaltung unsers Volkslebens war. Letzteres ist wahrscheinlicher
als das erstere. Die deutsche Literatur hatte in dem Zeitraume von Karl dem
Großen bis zu den Ottonen beträchtliche Fortschritte gemacht, Muspilli, Heliand,
Otfrieds Christ, das Ludwigslied sind schon mehr als bloße Anfänge; unter
den Ottonen verstummt die deutsche Zunge, wenn auch die deutsche Anschauungs¬
weise fortdauert, Walther von Aquitanien, Ruodlieb, die Gedichte aus der Tier¬
sage, alles ist lateinisch geschrieben. Dies ist zu bedauern, denn eine gewisse
Anschauung der Dinge läßt sich nicht dnrch eine tote Sprache, sondern voll¬
kommen nur dnrch die ihr gleichalterige, lebende Lautform der Gedanken aus¬
drücken. Und warum hätte sich die deutsche Nationalität nicht in der ihr
natürlichen Denk- und Ausdrucksform zu immer höhern Kulturstufen empor¬
arbeiten können? Wuchs nicht auch das Griechentum aus sich selbst heraus?
Allerdings erhielt es den Anstoß von Ägypten, Phönizien und Kleinasien her.
Aber nur den Anstoß, dann warf es die Windeln weg und ging den eignen
Weg. So hätte sich das Deutschtum auch auf eigne Füße stellen können,
nachdem es vom alten Rom aus und durch die ringsum wohnenden romanischen
Völker zur höher» Kultur angeregt worden war. Statt dessen wurde es immer
von neuem in die Wiege zurückgezwäugt.

Unter den fränkischen Kaisern trat im politischen Leben eine Reaktion gegen
die lateinischen Umtriebe ein, die deutsche Literatur verharrte in ihrer Erstarrung.
Aber schou unter Konrad II. beginnt sich die nationale Sagendichtung wieder
zu regen, seine Fehde mit dem Stiefsöhne Ernst von Schwaben gab hierzu die
Veranlassung. An sich war der Streit zwischen Vater und Sohn wenig er¬
baulich, aber die peinliche Lage, in welche die Mutter dadurch geriet, die
Freundschaft Werners von Khburg und der tragische Ausgang der Empörer
waren Momente, die dem sinnigen Ernste der Volksdichtung zusagten. Die
spätern Dichter, welche die Sage bearbeiteten, übertrugen den Gegenstand auf
Otto den Großen und Adelheid, gleichsam um auch dieser unfruchtbaren Zeit
zu Hilfe zu kommen. Heinrich III. war ein rechter Kaiser deutscher Nation, die
Päpste setzte er ein und ab wie seine Beamten, aber er starb zu früh, um tief¬
gehende Wirkungen seiner Kraft zu hinterlassen. Heinrich IV., der Vielbedrängte
und ewig Zähe, unterlag im Kampfe mit den Päpsten, obgleich er sich auf der
Oberfläche der Herrschaft erhielt. Die gewaltige Konsequenz eines Gregor VII.
erhob die Forderung, daß die geistliche Gewalt über der weltlichen, der Papst


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[0422] Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. Wir dürfen an dieser Stelle nicht der Frage ausweichen, ob die römisch¬ griechische Bildung, welche die Frauen des sächsischen Königshauses mit so viel Eifer fördern halfen, wirklich der unentbehrliche Unterbau unsrer nationalen Geistesentwicklung war, wofür man sie so gern ausgiebt, oder wenigsteus das Gradirwerk, durch welches die Seele des deutschen Geistes erst hindurchträufeln mußte, ehe sie geklärt in den Sicdekcsscl unsers modern-christlichen Staates hineinfließen durfte, oder ob sie nicht vielmehr ein Stillstand in der glücklich begonnenen Gestaltung unsers Volkslebens war. Letzteres ist wahrscheinlicher als das erstere. Die deutsche Literatur hatte in dem Zeitraume von Karl dem Großen bis zu den Ottonen beträchtliche Fortschritte gemacht, Muspilli, Heliand, Otfrieds Christ, das Ludwigslied sind schon mehr als bloße Anfänge; unter den Ottonen verstummt die deutsche Zunge, wenn auch die deutsche Anschauungs¬ weise fortdauert, Walther von Aquitanien, Ruodlieb, die Gedichte aus der Tier¬ sage, alles ist lateinisch geschrieben. Dies ist zu bedauern, denn eine gewisse Anschauung der Dinge läßt sich nicht dnrch eine tote Sprache, sondern voll¬ kommen nur dnrch die ihr gleichalterige, lebende Lautform der Gedanken aus¬ drücken. Und warum hätte sich die deutsche Nationalität nicht in der ihr natürlichen Denk- und Ausdrucksform zu immer höhern Kulturstufen empor¬ arbeiten können? Wuchs nicht auch das Griechentum aus sich selbst heraus? Allerdings erhielt es den Anstoß von Ägypten, Phönizien und Kleinasien her. Aber nur den Anstoß, dann warf es die Windeln weg und ging den eignen Weg. So hätte sich das Deutschtum auch auf eigne Füße stellen können, nachdem es vom alten Rom aus und durch die ringsum wohnenden romanischen Völker zur höher» Kultur angeregt worden war. Statt dessen wurde es immer von neuem in die Wiege zurückgezwäugt. Unter den fränkischen Kaisern trat im politischen Leben eine Reaktion gegen die lateinischen Umtriebe ein, die deutsche Literatur verharrte in ihrer Erstarrung. Aber schou unter Konrad II. beginnt sich die nationale Sagendichtung wieder zu regen, seine Fehde mit dem Stiefsöhne Ernst von Schwaben gab hierzu die Veranlassung. An sich war der Streit zwischen Vater und Sohn wenig er¬ baulich, aber die peinliche Lage, in welche die Mutter dadurch geriet, die Freundschaft Werners von Khburg und der tragische Ausgang der Empörer waren Momente, die dem sinnigen Ernste der Volksdichtung zusagten. Die spätern Dichter, welche die Sage bearbeiteten, übertrugen den Gegenstand auf Otto den Großen und Adelheid, gleichsam um auch dieser unfruchtbaren Zeit zu Hilfe zu kommen. Heinrich III. war ein rechter Kaiser deutscher Nation, die Päpste setzte er ein und ab wie seine Beamten, aber er starb zu früh, um tief¬ gehende Wirkungen seiner Kraft zu hinterlassen. Heinrich IV., der Vielbedrängte und ewig Zähe, unterlag im Kampfe mit den Päpsten, obgleich er sich auf der Oberfläche der Herrschaft erhielt. Die gewaltige Konsequenz eines Gregor VII. erhob die Forderung, daß die geistliche Gewalt über der weltlichen, der Papst

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/422>, abgerufen am 04.07.2024.