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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

sind nicht auf uns gekommen, unter der Nömersucht der Ottonen sind sie ver¬
welkt, aber aus den uns überlieferten Sagen erkennt man, daß ein großer po¬
litischer Zug durch das ganze Volk ging. Man sang von Heinrichs Kampfe
mit König Konrad, seinem Vorgänger, von der goldnen Kette, mit der er
erwürgt werden sollte und deren Geheimnis ihm der Goldschmied verriet, von
seinem mit Hand und Mund schlagfertigen Heerführer Thietmar, von Konrad
Kurzbold, der die Äpfel und die Weiber nicht leiden konnte, und von vielem
andern, worin sich das planmäßige, echt deutsche Handeln des großen Königs
spiegelte.

Unter Otto dem Großen änderte sich dies. Die Empörungen seiner nächsten
Verwandten, seine Vermählung mit der Italienerin Adelheid, seine Kaiserkrönung,
die Vermählung seines Sohnes, des Erben seines Thrones, mit der griechischen
Kaiserstochter Theophcmia, alles trug den Stempel des Ausländischen, des
Römisch-Byzantinischen; nur die Ungarnschlacht auf dem Lechfelde war deutsch.

Die Frauen am Kaiserhofe schwärmten für lateinische und griechische Lite¬
ratur, übertrugen diese Vorliebe auf die Klöster und Schulen und verschütteten
die Anfänge der deutschen Literatur, die sich unter Heinrich und den Karolingern
zu regen angefangen hatte. Es gab keinen Rhabanus Maurus mehr, der die
deutsche Grammatik studirte, Roswitha besang den großen Otto in lateinischen
Versen und dichtete lateinische Dramen, der Se. Galler Mönch Ekkehard schrieb
das Walthariuslied trotz des urdeutschen Sagenstofses, den es behandelt, la¬
teinisch. Der zweite Otto drängte die nationale Wirkung seines glorreichen
Zuges nach Paris durch eiuen in jeder Beziehung unglücklichen Eroberungszug
nach Unteritalien in den Hintergrund. Im leeren Ringen mit der Heimtücke
der Sarazenen und Griechen vergeudete er viel deutsches Blut und sein eignes
Leben. In Rom, im Vorhofe der Peterskirche, liegt er begraben. Der dritte
Otto trieb es noch schlimmer. Bald spielte er den römischen Cäsaren auf dem
Kapitol, umgeben mit allem südlichen Prunke, umdrängt von Römern und
Sarazenen, bald deu ägyptischen Einsiedler, der in asketischen Übungen das
Heil seiner Seele suchte. Das war die Frucht der römisch-griechischen Erziehung,
die ihm Mutter und Großmutter hatten angedeihen lassen. Nach Deutschland
kam er nur, um das Grab Karls des Großen zu öffnen. Die Sage erzählt
mit einem vorwurfsvollen Seitenblicke auf den romanisirten deutscheu Kaiser,
er habe den großen Karl im Grabgewölbe auf marmornen Stuhle sitzend ge¬
funden, das Evangelienbuch und das Schwert auf dein Schoße, das Szepter
in der Hand, die Krone auf dem Haupte, und sei vor dem strafenden Blicke
des Toten auf den Stufen der Gruft zusammengesunken. Der kinderlose Heinrich
der Heilige, der letzte der sächsischen Kaiser, war Gönner und geistiger Vasall
der von Rom abhängigen Geistlichkeit, aber seine Kämpfe mit dem Vöhmen-
könige Boleslaw fielen doch mit den nationalen Interessen zusammen und sühuteu
einigermaßen die Irrfahrten seiner Vorgänger.


Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

sind nicht auf uns gekommen, unter der Nömersucht der Ottonen sind sie ver¬
welkt, aber aus den uns überlieferten Sagen erkennt man, daß ein großer po¬
litischer Zug durch das ganze Volk ging. Man sang von Heinrichs Kampfe
mit König Konrad, seinem Vorgänger, von der goldnen Kette, mit der er
erwürgt werden sollte und deren Geheimnis ihm der Goldschmied verriet, von
seinem mit Hand und Mund schlagfertigen Heerführer Thietmar, von Konrad
Kurzbold, der die Äpfel und die Weiber nicht leiden konnte, und von vielem
andern, worin sich das planmäßige, echt deutsche Handeln des großen Königs
spiegelte.

Unter Otto dem Großen änderte sich dies. Die Empörungen seiner nächsten
Verwandten, seine Vermählung mit der Italienerin Adelheid, seine Kaiserkrönung,
die Vermählung seines Sohnes, des Erben seines Thrones, mit der griechischen
Kaiserstochter Theophcmia, alles trug den Stempel des Ausländischen, des
Römisch-Byzantinischen; nur die Ungarnschlacht auf dem Lechfelde war deutsch.

Die Frauen am Kaiserhofe schwärmten für lateinische und griechische Lite¬
ratur, übertrugen diese Vorliebe auf die Klöster und Schulen und verschütteten
die Anfänge der deutschen Literatur, die sich unter Heinrich und den Karolingern
zu regen angefangen hatte. Es gab keinen Rhabanus Maurus mehr, der die
deutsche Grammatik studirte, Roswitha besang den großen Otto in lateinischen
Versen und dichtete lateinische Dramen, der Se. Galler Mönch Ekkehard schrieb
das Walthariuslied trotz des urdeutschen Sagenstofses, den es behandelt, la¬
teinisch. Der zweite Otto drängte die nationale Wirkung seines glorreichen
Zuges nach Paris durch eiuen in jeder Beziehung unglücklichen Eroberungszug
nach Unteritalien in den Hintergrund. Im leeren Ringen mit der Heimtücke
der Sarazenen und Griechen vergeudete er viel deutsches Blut und sein eignes
Leben. In Rom, im Vorhofe der Peterskirche, liegt er begraben. Der dritte
Otto trieb es noch schlimmer. Bald spielte er den römischen Cäsaren auf dem
Kapitol, umgeben mit allem südlichen Prunke, umdrängt von Römern und
Sarazenen, bald deu ägyptischen Einsiedler, der in asketischen Übungen das
Heil seiner Seele suchte. Das war die Frucht der römisch-griechischen Erziehung,
die ihm Mutter und Großmutter hatten angedeihen lassen. Nach Deutschland
kam er nur, um das Grab Karls des Großen zu öffnen. Die Sage erzählt
mit einem vorwurfsvollen Seitenblicke auf den romanisirten deutscheu Kaiser,
er habe den großen Karl im Grabgewölbe auf marmornen Stuhle sitzend ge¬
funden, das Evangelienbuch und das Schwert auf dein Schoße, das Szepter
in der Hand, die Krone auf dem Haupte, und sei vor dem strafenden Blicke
des Toten auf den Stufen der Gruft zusammengesunken. Der kinderlose Heinrich
der Heilige, der letzte der sächsischen Kaiser, war Gönner und geistiger Vasall
der von Rom abhängigen Geistlichkeit, aber seine Kämpfe mit dem Vöhmen-
könige Boleslaw fielen doch mit den nationalen Interessen zusammen und sühuteu
einigermaßen die Irrfahrten seiner Vorgänger.


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[0421] Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen. sind nicht auf uns gekommen, unter der Nömersucht der Ottonen sind sie ver¬ welkt, aber aus den uns überlieferten Sagen erkennt man, daß ein großer po¬ litischer Zug durch das ganze Volk ging. Man sang von Heinrichs Kampfe mit König Konrad, seinem Vorgänger, von der goldnen Kette, mit der er erwürgt werden sollte und deren Geheimnis ihm der Goldschmied verriet, von seinem mit Hand und Mund schlagfertigen Heerführer Thietmar, von Konrad Kurzbold, der die Äpfel und die Weiber nicht leiden konnte, und von vielem andern, worin sich das planmäßige, echt deutsche Handeln des großen Königs spiegelte. Unter Otto dem Großen änderte sich dies. Die Empörungen seiner nächsten Verwandten, seine Vermählung mit der Italienerin Adelheid, seine Kaiserkrönung, die Vermählung seines Sohnes, des Erben seines Thrones, mit der griechischen Kaiserstochter Theophcmia, alles trug den Stempel des Ausländischen, des Römisch-Byzantinischen; nur die Ungarnschlacht auf dem Lechfelde war deutsch. Die Frauen am Kaiserhofe schwärmten für lateinische und griechische Lite¬ ratur, übertrugen diese Vorliebe auf die Klöster und Schulen und verschütteten die Anfänge der deutschen Literatur, die sich unter Heinrich und den Karolingern zu regen angefangen hatte. Es gab keinen Rhabanus Maurus mehr, der die deutsche Grammatik studirte, Roswitha besang den großen Otto in lateinischen Versen und dichtete lateinische Dramen, der Se. Galler Mönch Ekkehard schrieb das Walthariuslied trotz des urdeutschen Sagenstofses, den es behandelt, la¬ teinisch. Der zweite Otto drängte die nationale Wirkung seines glorreichen Zuges nach Paris durch eiuen in jeder Beziehung unglücklichen Eroberungszug nach Unteritalien in den Hintergrund. Im leeren Ringen mit der Heimtücke der Sarazenen und Griechen vergeudete er viel deutsches Blut und sein eignes Leben. In Rom, im Vorhofe der Peterskirche, liegt er begraben. Der dritte Otto trieb es noch schlimmer. Bald spielte er den römischen Cäsaren auf dem Kapitol, umgeben mit allem südlichen Prunke, umdrängt von Römern und Sarazenen, bald deu ägyptischen Einsiedler, der in asketischen Übungen das Heil seiner Seele suchte. Das war die Frucht der römisch-griechischen Erziehung, die ihm Mutter und Großmutter hatten angedeihen lassen. Nach Deutschland kam er nur, um das Grab Karls des Großen zu öffnen. Die Sage erzählt mit einem vorwurfsvollen Seitenblicke auf den romanisirten deutscheu Kaiser, er habe den großen Karl im Grabgewölbe auf marmornen Stuhle sitzend ge¬ funden, das Evangelienbuch und das Schwert auf dein Schoße, das Szepter in der Hand, die Krone auf dem Haupte, und sei vor dem strafenden Blicke des Toten auf den Stufen der Gruft zusammengesunken. Der kinderlose Heinrich der Heilige, der letzte der sächsischen Kaiser, war Gönner und geistiger Vasall der von Rom abhängigen Geistlichkeit, aber seine Kämpfe mit dem Vöhmen- könige Boleslaw fielen doch mit den nationalen Interessen zusammen und sühuteu einigermaßen die Irrfahrten seiner Vorgänger.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/421>, abgerufen am 24.07.2024.