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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Rulturen.

Vandalen und Goten, woben Sage und Geschichte den Trauerflor. Ebenso¬
wenig ist es zu verwundern, daß viele Stämme, die sich in den Römergebieten
ansiedelten, der Romanisirung verfielen, die Burgunder, die Langobarden, die
Westgoten, die westlichen Franken. Dem Verfalle des Germanentums ging
gewöhnlich ein widerlicher Zwischenzustand voraus. Mit der Gewaltthätigkeit
und Empfänglichkeit der halbwilden Germanen mischte sich in Grauen erregender
Weise die Schwelgerei, die Heimtücke und die Herrschsucht der Römer. Die
Deutschen wurden räuberisch, mordlustig, erst die Könige, dann die Edeln, dann
das Volk. Die Greuel in dem westfränkischen Hause der Merovinger, in den
langobardischcn und westgotischen Herrscherfcunilicn erinnern an die blutigen
Intriguen des oströmischen Hofes in Konstantinopel. Erstaunlich ist nur, daß
noch immer eine kompakte germanische Volksmasse übrig blieb, die das Römer¬
inn bewältigen und ihre Nationalität bewahren konnte. Diese Volksmasse er¬
gänzte sich immer von neuem in Großgermanien, dem Heimatslande der Ger¬
manen, dem heutigen Deutschland.

Karl der Große beherrschte so ziemlich das ganze Ausbreitungsgebiet der
Germanen, soweit es sich damals noch erstreckte; sein Szepter umfaßte die
romanisirten und die nationalen Stämme, mit den romanisirten zugleich hatte
er die ganze Masse der Römer, unter denen sie lebten und sich veränderten,
seinem Reiche einverleibt. In ihm selbst spiegelte sich die Doppelstellung, die
er einnahm, getreulich wieder. Den Römern gegenüber ist er der fleißige
Schüler, immer lernend, im Sprechen, selbst mit ungelenker Hand im Schreiben
sich übend. Lateinisch spricht er fließend, auch das Griechische versteht er
wenigstens, ein gelehrter Römer, Petrus von Pisa, unterrichtet ihn in Rhe¬
torik, Metrik und Grammatik. In seinem Gclehrteukränzchen, der Akademie,
spielt er den König David, und die auf Atoms Rat an seinem Hofe gegründete
Schule wurde die Pflanzstätte gelehrter Geistlichen, die Musterschule, der viele
ähnliche Gründungen an den Bischofssitzen und in den Abteien nacheiferte".
Als König und Kaiser war Karl Römer und Germane zugleich, aber mehr
Germane als Römer, und Römer nnr im bessern Sinne, als Hausvater blieb
er, wie Gustav Freytag in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit sagt,
der "deutsche Bauer," der stolz darauf war, daß er Kleider tragen konnte, zu
denen Frau und Töchter das Garn gesponnen und das Zeug gewebt hatten,
der an der Bewirtschaftung seiner Güter regen Anteil nahm und gern mit
Söhnen und Töchtern jagend im Walde umherstreifte, wenn er Erholung suchte.
Freilich sein patriarchalisches Familienleben war stellenweise etwas erzvätcrlich
angehaucht; mehr als eine Hagar hätte von seinem Hofe vertrieben werden
können, und seine Töchter erfreuten sich einer fast mythologischen Selbständig¬
keit. Merkwürdig war sein Verhältnis zur Kirche. Diese hatte, seit der Aria-
nismus unterlegen war, ein ganz römisches Gepräge. Nachdem den Römern
die Waffen entfallen waren, blieb ihnen nur das Kolvnisntionstalent, das sie


Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Rulturen.

Vandalen und Goten, woben Sage und Geschichte den Trauerflor. Ebenso¬
wenig ist es zu verwundern, daß viele Stämme, die sich in den Römergebieten
ansiedelten, der Romanisirung verfielen, die Burgunder, die Langobarden, die
Westgoten, die westlichen Franken. Dem Verfalle des Germanentums ging
gewöhnlich ein widerlicher Zwischenzustand voraus. Mit der Gewaltthätigkeit
und Empfänglichkeit der halbwilden Germanen mischte sich in Grauen erregender
Weise die Schwelgerei, die Heimtücke und die Herrschsucht der Römer. Die
Deutschen wurden räuberisch, mordlustig, erst die Könige, dann die Edeln, dann
das Volk. Die Greuel in dem westfränkischen Hause der Merovinger, in den
langobardischcn und westgotischen Herrscherfcunilicn erinnern an die blutigen
Intriguen des oströmischen Hofes in Konstantinopel. Erstaunlich ist nur, daß
noch immer eine kompakte germanische Volksmasse übrig blieb, die das Römer¬
inn bewältigen und ihre Nationalität bewahren konnte. Diese Volksmasse er¬
gänzte sich immer von neuem in Großgermanien, dem Heimatslande der Ger¬
manen, dem heutigen Deutschland.

Karl der Große beherrschte so ziemlich das ganze Ausbreitungsgebiet der
Germanen, soweit es sich damals noch erstreckte; sein Szepter umfaßte die
romanisirten und die nationalen Stämme, mit den romanisirten zugleich hatte
er die ganze Masse der Römer, unter denen sie lebten und sich veränderten,
seinem Reiche einverleibt. In ihm selbst spiegelte sich die Doppelstellung, die
er einnahm, getreulich wieder. Den Römern gegenüber ist er der fleißige
Schüler, immer lernend, im Sprechen, selbst mit ungelenker Hand im Schreiben
sich übend. Lateinisch spricht er fließend, auch das Griechische versteht er
wenigstens, ein gelehrter Römer, Petrus von Pisa, unterrichtet ihn in Rhe¬
torik, Metrik und Grammatik. In seinem Gclehrteukränzchen, der Akademie,
spielt er den König David, und die auf Atoms Rat an seinem Hofe gegründete
Schule wurde die Pflanzstätte gelehrter Geistlichen, die Musterschule, der viele
ähnliche Gründungen an den Bischofssitzen und in den Abteien nacheiferte».
Als König und Kaiser war Karl Römer und Germane zugleich, aber mehr
Germane als Römer, und Römer nnr im bessern Sinne, als Hausvater blieb
er, wie Gustav Freytag in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit sagt,
der „deutsche Bauer," der stolz darauf war, daß er Kleider tragen konnte, zu
denen Frau und Töchter das Garn gesponnen und das Zeug gewebt hatten,
der an der Bewirtschaftung seiner Güter regen Anteil nahm und gern mit
Söhnen und Töchtern jagend im Walde umherstreifte, wenn er Erholung suchte.
Freilich sein patriarchalisches Familienleben war stellenweise etwas erzvätcrlich
angehaucht; mehr als eine Hagar hätte von seinem Hofe vertrieben werden
können, und seine Töchter erfreuten sich einer fast mythologischen Selbständig¬
keit. Merkwürdig war sein Verhältnis zur Kirche. Diese hatte, seit der Aria-
nismus unterlegen war, ein ganz römisches Gepräge. Nachdem den Römern
die Waffen entfallen waren, blieb ihnen nur das Kolvnisntionstalent, das sie


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[0418] Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Rulturen. Vandalen und Goten, woben Sage und Geschichte den Trauerflor. Ebenso¬ wenig ist es zu verwundern, daß viele Stämme, die sich in den Römergebieten ansiedelten, der Romanisirung verfielen, die Burgunder, die Langobarden, die Westgoten, die westlichen Franken. Dem Verfalle des Germanentums ging gewöhnlich ein widerlicher Zwischenzustand voraus. Mit der Gewaltthätigkeit und Empfänglichkeit der halbwilden Germanen mischte sich in Grauen erregender Weise die Schwelgerei, die Heimtücke und die Herrschsucht der Römer. Die Deutschen wurden räuberisch, mordlustig, erst die Könige, dann die Edeln, dann das Volk. Die Greuel in dem westfränkischen Hause der Merovinger, in den langobardischcn und westgotischen Herrscherfcunilicn erinnern an die blutigen Intriguen des oströmischen Hofes in Konstantinopel. Erstaunlich ist nur, daß noch immer eine kompakte germanische Volksmasse übrig blieb, die das Römer¬ inn bewältigen und ihre Nationalität bewahren konnte. Diese Volksmasse er¬ gänzte sich immer von neuem in Großgermanien, dem Heimatslande der Ger¬ manen, dem heutigen Deutschland. Karl der Große beherrschte so ziemlich das ganze Ausbreitungsgebiet der Germanen, soweit es sich damals noch erstreckte; sein Szepter umfaßte die romanisirten und die nationalen Stämme, mit den romanisirten zugleich hatte er die ganze Masse der Römer, unter denen sie lebten und sich veränderten, seinem Reiche einverleibt. In ihm selbst spiegelte sich die Doppelstellung, die er einnahm, getreulich wieder. Den Römern gegenüber ist er der fleißige Schüler, immer lernend, im Sprechen, selbst mit ungelenker Hand im Schreiben sich übend. Lateinisch spricht er fließend, auch das Griechische versteht er wenigstens, ein gelehrter Römer, Petrus von Pisa, unterrichtet ihn in Rhe¬ torik, Metrik und Grammatik. In seinem Gclehrteukränzchen, der Akademie, spielt er den König David, und die auf Atoms Rat an seinem Hofe gegründete Schule wurde die Pflanzstätte gelehrter Geistlichen, die Musterschule, der viele ähnliche Gründungen an den Bischofssitzen und in den Abteien nacheiferte». Als König und Kaiser war Karl Römer und Germane zugleich, aber mehr Germane als Römer, und Römer nnr im bessern Sinne, als Hausvater blieb er, wie Gustav Freytag in seinen Bildern aus der deutschen Vergangenheit sagt, der „deutsche Bauer," der stolz darauf war, daß er Kleider tragen konnte, zu denen Frau und Töchter das Garn gesponnen und das Zeug gewebt hatten, der an der Bewirtschaftung seiner Güter regen Anteil nahm und gern mit Söhnen und Töchtern jagend im Walde umherstreifte, wenn er Erholung suchte. Freilich sein patriarchalisches Familienleben war stellenweise etwas erzvätcrlich angehaucht; mehr als eine Hagar hätte von seinem Hofe vertrieben werden können, und seine Töchter erfreuten sich einer fast mythologischen Selbständig¬ keit. Merkwürdig war sein Verhältnis zur Kirche. Diese hatte, seit der Aria- nismus unterlegen war, ein ganz römisches Gepräge. Nachdem den Römern die Waffen entfallen waren, blieb ihnen nur das Kolvnisntionstalent, das sie

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/418>, abgerufen am 24.07.2024.