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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

nationalen Anfängen heraus etwas Besseres gestalten lassen müsse. Armin,
der tapfere Cheruskerfürst, war in Rom heimisch geworden, hatte dort das
Bürgertum und die Ritterwürde erworben, und doch haftete ihm vom römi¬
schen Wesen nur soviel an, daß er die politische Hinterlist, die er in der
Hauptstadt der Welt kennen gelernt, gegen die Römer selbst kehrte und die
nordgermanischen Stämme zu einem wohlvorbereiteten Aufstande gegen die fremde
Zwingherrschaft befähigte. Die Schlacht im Teutoburger Walde wird immer
eine der größten Thaten in der deutschen Geschichte bleiben, sie errettete das
Deutschtum vor dem sichern Untergange. Der Ostgotenkönig Theodorich der
Große, der "Dietrich von Bern" der Sage, wurde als achtjähriges Kind von
seinem Vater Theodemir als Geisel für den Frieden der Ostgvten mit den Ost¬
römern nach Konstantinopel gesandt und am dortigen Kaiserhofe mit aller
Sorgfalt erzogen. Aber geradezu wunderbar ist es, wie der junge Germane
sich dagegen sträubte, romanisirt zu werden. Die Wissenschaften und Fertigkeiten,
selbst die des Schreibens, verachtete er und übte seinen Leib im Gebrauche der
Waffen, im Schwimmen und Reiten. Als er durch die Besiegung und Er¬
mordung Odoakers König von Italien geworden war, verbot er seinen Goten
die Teilnahme am römischen Schulunterrichte, obgleich er um der Römer willen
die Schulen begünstigte und durch eine bessere Besoldung der Lehrer hob. Nicht als
ob er eine Berührung mit den Römern gefürchtet hätte, er bediente sich römischer
Ratgeber, behielt die Verfassung, die Verwaltung bei und ließ die Ämter den
Römern, nur leise ordnend und weise mäßigend griff er in das Nechtswesen,
das Steuerwesen, die öffentlichen Spiele ein, Gerechtigkeit, Menschlichkeit und
Hebung des Wohlstandes zur Richtschnur nehmend, aber seine Goten suchte er
vor der Verweichlichung, Entartung und Entnationalisirnng zu bewahren, welche
die römische Kultur mit sich führte. Die Römer haßten ihn, weniger aus Ab¬
neigung gegen die aufgedrängte fremde Herrschaft, als vielmehr weil sie in ihrem
hohlen Dünkel die Weisheit seiner Regierung nicht erkennen wollten. Auch
die lcmgobardischen Könige, welche wenige Jahrzehnte nach dem Untergänge der
Ostgoten Italien beherrschten, verhielten sich abwehrend gegen die römische Kultur,
bis die Königin Theudelinde, eine Prinzessin aus bairischen Stamme, die Ver¬
schmelzung der Nationalitäten anbahnte. Dies geschah hauptsächlich dadurch,
daß sie der katholischen Kirche zum Siege über den Arianismus der Langobarden
verhalf und den Hof römisch umgestaltete.

Bei der ungeheuern Zähigkeit des römischen Wesens kann es nicht auf¬
fallen, daß eine ganze Reihe germanischer Stämme im Kampfe mit der seit
einem Jahrtausend geschulten Kriegsmacht und Diplomatie aufgerieben wurde,
ehe nur der Ervberungs- und Kvlonisativnsdrang derselben zum Stehen ge¬
bracht werden konnte. Tiefes geschichtliches Dunkel deckt die Namen der Stämme,
die an den Rhein- und Donaufestungen verbluteten; nur um die letzten, die
in den südlichen Halbinseln zu Grunde gingen, um die Alanen, Rugier, Snevcu,


Grenzboten II. 1886. ö2
Der Kampf der deutschen Nationalität mit fremden Kulturen.

nationalen Anfängen heraus etwas Besseres gestalten lassen müsse. Armin,
der tapfere Cheruskerfürst, war in Rom heimisch geworden, hatte dort das
Bürgertum und die Ritterwürde erworben, und doch haftete ihm vom römi¬
schen Wesen nur soviel an, daß er die politische Hinterlist, die er in der
Hauptstadt der Welt kennen gelernt, gegen die Römer selbst kehrte und die
nordgermanischen Stämme zu einem wohlvorbereiteten Aufstande gegen die fremde
Zwingherrschaft befähigte. Die Schlacht im Teutoburger Walde wird immer
eine der größten Thaten in der deutschen Geschichte bleiben, sie errettete das
Deutschtum vor dem sichern Untergange. Der Ostgotenkönig Theodorich der
Große, der „Dietrich von Bern" der Sage, wurde als achtjähriges Kind von
seinem Vater Theodemir als Geisel für den Frieden der Ostgvten mit den Ost¬
römern nach Konstantinopel gesandt und am dortigen Kaiserhofe mit aller
Sorgfalt erzogen. Aber geradezu wunderbar ist es, wie der junge Germane
sich dagegen sträubte, romanisirt zu werden. Die Wissenschaften und Fertigkeiten,
selbst die des Schreibens, verachtete er und übte seinen Leib im Gebrauche der
Waffen, im Schwimmen und Reiten. Als er durch die Besiegung und Er¬
mordung Odoakers König von Italien geworden war, verbot er seinen Goten
die Teilnahme am römischen Schulunterrichte, obgleich er um der Römer willen
die Schulen begünstigte und durch eine bessere Besoldung der Lehrer hob. Nicht als
ob er eine Berührung mit den Römern gefürchtet hätte, er bediente sich römischer
Ratgeber, behielt die Verfassung, die Verwaltung bei und ließ die Ämter den
Römern, nur leise ordnend und weise mäßigend griff er in das Nechtswesen,
das Steuerwesen, die öffentlichen Spiele ein, Gerechtigkeit, Menschlichkeit und
Hebung des Wohlstandes zur Richtschnur nehmend, aber seine Goten suchte er
vor der Verweichlichung, Entartung und Entnationalisirnng zu bewahren, welche
die römische Kultur mit sich führte. Die Römer haßten ihn, weniger aus Ab¬
neigung gegen die aufgedrängte fremde Herrschaft, als vielmehr weil sie in ihrem
hohlen Dünkel die Weisheit seiner Regierung nicht erkennen wollten. Auch
die lcmgobardischen Könige, welche wenige Jahrzehnte nach dem Untergänge der
Ostgoten Italien beherrschten, verhielten sich abwehrend gegen die römische Kultur,
bis die Königin Theudelinde, eine Prinzessin aus bairischen Stamme, die Ver¬
schmelzung der Nationalitäten anbahnte. Dies geschah hauptsächlich dadurch,
daß sie der katholischen Kirche zum Siege über den Arianismus der Langobarden
verhalf und den Hof römisch umgestaltete.

Bei der ungeheuern Zähigkeit des römischen Wesens kann es nicht auf¬
fallen, daß eine ganze Reihe germanischer Stämme im Kampfe mit der seit
einem Jahrtausend geschulten Kriegsmacht und Diplomatie aufgerieben wurde,
ehe nur der Ervberungs- und Kvlonisativnsdrang derselben zum Stehen ge¬
bracht werden konnte. Tiefes geschichtliches Dunkel deckt die Namen der Stämme,
die an den Rhein- und Donaufestungen verbluteten; nur um die letzten, die
in den südlichen Halbinseln zu Grunde gingen, um die Alanen, Rugier, Snevcu,


Grenzboten II. 1886. ö2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/417>, abgerufen am 25.07.2024.