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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

Welche bisher durch günstige Kaufgelegenheiten, namentlich von Waldgütern, an¬
gelockt worden war, wurde schwächer.

Angeregt durch deu gewerblichen Aufschwung der zweiten Hälfte der
sechziger Jahre richtete die politische Leitung des Polentums anch ihr Augen¬
merk ans die Entwicklung polnischer Industrie mit polnischen Handels, es ent¬
standen zahlreiche polnische Firmen, nicht nur in der Provinzialhanptstadt Posen,
sondern auch in den übrigen Städten der Provinz; die Leiter derselben waren
zum Teil Söhne verarmter Grundbesitzer. Je mehr sich Industrie und Handel
in polnischen Händen entwickelte, desto mehr lösten sich auch die Geschäftsver¬
bindungen des polnischen Publikums mit den deutschen Firmen. Es galt als
nationale Pflicht, den polnischen Landsmann geschäftlich zu unterstützen; in letzter
Zeit hat sich in Galizien sogar ein von den polnischen Zeitungen der Provinz
Posen lebhaft empfohlener sogenannter Staszhc-Verein gebildet, dessen aus¬
gesprochenes Ziel es ist, alle Lebensbedürfnisse nur bei Polen zu kaufen. Durch
diese Unterstützung bildete sich in der That in auffallend kurzer Zeit ein leistungs¬
fähiger polnischer Handelsstand aus. In gleichem Verhältnis erlitten die deutschen
Firmen Schaden, angesehene deutsche Kaufleute und Genierbetreibende, die ihre
polnischen Geschäftsverbindungen sich erhalten wollten, gingen in ihrer Rücksicht
soweit, auf die Ausübung ihres politischen Wahlrechts stillschweigend zu ver¬
zichten; die Listen der deutschen Wahlmänner pflegen deshalb noch jetzt vorzugs¬
weise die Namen von Beamten aufzuweisen.

Dank der Hebung des polnischen Bauern- und Kleinbürgerstandes auf
wirtschaftlichem Gebiete und Dank den verbesserten Schuleinrichtungen der
preußischen Verwaltung stieg aber auch die Intelligenz und Wohlhabenheit dieser
untern Klassen; es bildete sich aus ihnen, wieder unterstützt durch die gesamte
polnische Gesellschaft, ein Handwerkerstand aus, der die deutschen Handwerker,
die geschichtlich schon von polnischen Zeiten her den Arbeitsmarkt in den Städten
beherrschten, allmählich zurückdrängten; es siel hierbei die außerordentliche Hand-
geschicklichkeit ins Gewicht, die den Polen der niedern Stände eigen ist, und die sie
zu hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete des Handwerks befähigen würde,
wenn sie im gleichen Maße sorgfältig, fleißig und zuverlüssiig wären. Mit der
steigenden Wohlhabenheit und Intelligenz wurden jene Klassen aber anch für
die polnische Idee allmählich gewonnen.

Endlich wandten sich die Mitglieder des verarmten Adels und des heraus-
gekommenen Bürger- und Bauernstandes, versehen mit den reichen Mitteln des
"Vereins zur Unterstützung der lernenden Jngend," anch den wissenschaftlichen
Berufszweigen zu; die zahlreiche Begründung höherer Unterrichtsanstalten durch
den Staat leistete diesem Streben Vorschub. So bildeten sich polnische Anwälte,
Ärzte und Techniker, welche ihre praktische Thätigkeit stets mit dem Monopol
der polnischen Kundschaft begannen.

Aus den polnischen Kaufleuten und Gewerbetreibenden einerseits, den


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

Welche bisher durch günstige Kaufgelegenheiten, namentlich von Waldgütern, an¬
gelockt worden war, wurde schwächer.

Angeregt durch deu gewerblichen Aufschwung der zweiten Hälfte der
sechziger Jahre richtete die politische Leitung des Polentums anch ihr Augen¬
merk ans die Entwicklung polnischer Industrie mit polnischen Handels, es ent¬
standen zahlreiche polnische Firmen, nicht nur in der Provinzialhanptstadt Posen,
sondern auch in den übrigen Städten der Provinz; die Leiter derselben waren
zum Teil Söhne verarmter Grundbesitzer. Je mehr sich Industrie und Handel
in polnischen Händen entwickelte, desto mehr lösten sich auch die Geschäftsver¬
bindungen des polnischen Publikums mit den deutschen Firmen. Es galt als
nationale Pflicht, den polnischen Landsmann geschäftlich zu unterstützen; in letzter
Zeit hat sich in Galizien sogar ein von den polnischen Zeitungen der Provinz
Posen lebhaft empfohlener sogenannter Staszhc-Verein gebildet, dessen aus¬
gesprochenes Ziel es ist, alle Lebensbedürfnisse nur bei Polen zu kaufen. Durch
diese Unterstützung bildete sich in der That in auffallend kurzer Zeit ein leistungs¬
fähiger polnischer Handelsstand aus. In gleichem Verhältnis erlitten die deutschen
Firmen Schaden, angesehene deutsche Kaufleute und Genierbetreibende, die ihre
polnischen Geschäftsverbindungen sich erhalten wollten, gingen in ihrer Rücksicht
soweit, auf die Ausübung ihres politischen Wahlrechts stillschweigend zu ver¬
zichten; die Listen der deutschen Wahlmänner pflegen deshalb noch jetzt vorzugs¬
weise die Namen von Beamten aufzuweisen.

Dank der Hebung des polnischen Bauern- und Kleinbürgerstandes auf
wirtschaftlichem Gebiete und Dank den verbesserten Schuleinrichtungen der
preußischen Verwaltung stieg aber auch die Intelligenz und Wohlhabenheit dieser
untern Klassen; es bildete sich aus ihnen, wieder unterstützt durch die gesamte
polnische Gesellschaft, ein Handwerkerstand aus, der die deutschen Handwerker,
die geschichtlich schon von polnischen Zeiten her den Arbeitsmarkt in den Städten
beherrschten, allmählich zurückdrängten; es siel hierbei die außerordentliche Hand-
geschicklichkeit ins Gewicht, die den Polen der niedern Stände eigen ist, und die sie
zu hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete des Handwerks befähigen würde,
wenn sie im gleichen Maße sorgfältig, fleißig und zuverlüssiig wären. Mit der
steigenden Wohlhabenheit und Intelligenz wurden jene Klassen aber anch für
die polnische Idee allmählich gewonnen.

Endlich wandten sich die Mitglieder des verarmten Adels und des heraus-
gekommenen Bürger- und Bauernstandes, versehen mit den reichen Mitteln des
„Vereins zur Unterstützung der lernenden Jngend," anch den wissenschaftlichen
Berufszweigen zu; die zahlreiche Begründung höherer Unterrichtsanstalten durch
den Staat leistete diesem Streben Vorschub. So bildeten sich polnische Anwälte,
Ärzte und Techniker, welche ihre praktische Thätigkeit stets mit dem Monopol
der polnischen Kundschaft begannen.

Aus den polnischen Kaufleuten und Gewerbetreibenden einerseits, den


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[0403] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. Welche bisher durch günstige Kaufgelegenheiten, namentlich von Waldgütern, an¬ gelockt worden war, wurde schwächer. Angeregt durch deu gewerblichen Aufschwung der zweiten Hälfte der sechziger Jahre richtete die politische Leitung des Polentums anch ihr Augen¬ merk ans die Entwicklung polnischer Industrie mit polnischen Handels, es ent¬ standen zahlreiche polnische Firmen, nicht nur in der Provinzialhanptstadt Posen, sondern auch in den übrigen Städten der Provinz; die Leiter derselben waren zum Teil Söhne verarmter Grundbesitzer. Je mehr sich Industrie und Handel in polnischen Händen entwickelte, desto mehr lösten sich auch die Geschäftsver¬ bindungen des polnischen Publikums mit den deutschen Firmen. Es galt als nationale Pflicht, den polnischen Landsmann geschäftlich zu unterstützen; in letzter Zeit hat sich in Galizien sogar ein von den polnischen Zeitungen der Provinz Posen lebhaft empfohlener sogenannter Staszhc-Verein gebildet, dessen aus¬ gesprochenes Ziel es ist, alle Lebensbedürfnisse nur bei Polen zu kaufen. Durch diese Unterstützung bildete sich in der That in auffallend kurzer Zeit ein leistungs¬ fähiger polnischer Handelsstand aus. In gleichem Verhältnis erlitten die deutschen Firmen Schaden, angesehene deutsche Kaufleute und Genierbetreibende, die ihre polnischen Geschäftsverbindungen sich erhalten wollten, gingen in ihrer Rücksicht soweit, auf die Ausübung ihres politischen Wahlrechts stillschweigend zu ver¬ zichten; die Listen der deutschen Wahlmänner pflegen deshalb noch jetzt vorzugs¬ weise die Namen von Beamten aufzuweisen. Dank der Hebung des polnischen Bauern- und Kleinbürgerstandes auf wirtschaftlichem Gebiete und Dank den verbesserten Schuleinrichtungen der preußischen Verwaltung stieg aber auch die Intelligenz und Wohlhabenheit dieser untern Klassen; es bildete sich aus ihnen, wieder unterstützt durch die gesamte polnische Gesellschaft, ein Handwerkerstand aus, der die deutschen Handwerker, die geschichtlich schon von polnischen Zeiten her den Arbeitsmarkt in den Städten beherrschten, allmählich zurückdrängten; es siel hierbei die außerordentliche Hand- geschicklichkeit ins Gewicht, die den Polen der niedern Stände eigen ist, und die sie zu hervorragenden Leistungen auf dem Gebiete des Handwerks befähigen würde, wenn sie im gleichen Maße sorgfältig, fleißig und zuverlüssiig wären. Mit der steigenden Wohlhabenheit und Intelligenz wurden jene Klassen aber anch für die polnische Idee allmählich gewonnen. Endlich wandten sich die Mitglieder des verarmten Adels und des heraus- gekommenen Bürger- und Bauernstandes, versehen mit den reichen Mitteln des „Vereins zur Unterstützung der lernenden Jngend," anch den wissenschaftlichen Berufszweigen zu; die zahlreiche Begründung höherer Unterrichtsanstalten durch den Staat leistete diesem Streben Vorschub. So bildeten sich polnische Anwälte, Ärzte und Techniker, welche ihre praktische Thätigkeit stets mit dem Monopol der polnischen Kundschaft begannen. Aus den polnischen Kaufleuten und Gewerbetreibenden einerseits, den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/403>, abgerufen am 02.07.2024.