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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

den deutschen Einwanderern und den polnischen Einfassen ein durchaus freund¬
liches Verhältnis; die neuen Unterthanen erkannten die Segnungen der preußischen
Verwaltung dankbar und unverhohlen an. Eigentümlicherweise verschlechterte sich
aber dieser Zustand allmählich in demselben Verhältnisse, in dem sich das Land
und damit auch die polnische Gesellschaft durch die Thätigkeit der preußischen
Verwaltung und die Intelligenz der deutschen Einwandrer erholte und hob.
Es ging den adlichen polnischen Grundbesitzern ähnlich wie den Banstellcn-
besitzern großer, sich rapid entwickelnder Städte, die ihr vvrstädtischcs Land
brach und wüst liegen lassen, ohne Saat und ohne Ernte, eines Tages indes
durch Verkauf der wüsten Stelle" als reiche Leute erstehen, weil eine umsichtige
Verwaltung neue Straßen und Wege gebaut hat, und kluge, spekulative Nach¬
barn Fabriken und Häuser an ihren Grenzen errichtet haben.

Wie der unthätige Baustcllenbesitzer, so wurde auch der materiell erschöpfte
polnische Grundbesitz ohne eigne Anstrengung und Thätigkeit wohlhabend, ja
reich, weil die Arbeit der Staatsbehörden und seiner deutschen Nachbarn
den allgemeinen Bodenwert der Provinz hob. Mit dieser Verbesserung der
materiellen Verhältnisse des polnischen Adels erwachte in ihm aber auch die
schlummernde nationale Idee, seine wachsende Abneigung gegen die deutsche Ver¬
waltung und deutsches Wesen ging hiermit Hand in Hand, er fing an, sich
hermetisch abzuschließen gegen allen deutschen Verkehr; durch absolute Jsolirung
hoffte die polnische Gesellschaft die "nationale Idee" gegenüber dem zunehmenden
Einflüsse des Deutschtums zu retten.

In den Jahren 1846, 1848 und 1863 verdichteten sich die polnischen
Hoffnungen zu revolutionären Thaten, die für das Polentum zunächst nur den
einen Erfolg hatten, daß zahlreiche adliche Familien durch die enormen natio¬
nalen Opfer Haus und Hof verloren und in ihre Stelle neue deutsche Ein¬
wandrer einrückten. Die polnischen Erhebungen zogen thatsächlich eine Förderung
des Deutschtums nach sich. Gleichzeitig beginnt aber auch von der verfehlten
Erhebung des Jahres 1863 ab eine vollständige innere Wandlung der polnischen
Gesellschaft; um die wirtschaftlichen Wunden zu heilen, legte sich dieselbe ans
gesellschaftlichen Gebiete ein Maß der Beschränkung auf, welches von ihren bis¬
herigen Lebensgewohnheiten aufs schärfste abstach. Man zog sich aus den
europäischen Großstädten und den luxuriösen Bädern zurück, man wurde sparsam
und häuslich oorckni, imwram göuvris. Die polnischen Gutsbesitzer nahmen mit
Vorliebe Deutsche als Wirtschaftsbccimte und Pächter, und wetteiferten mit ihren
deutschen Nachbarn in der rationellen Bewirtschaftung ihres Besitzes, wobei
thuen zu statten kam, daß sie den genügsamen und im allgemeinen ausgezeich¬
neten polnischen Arbeiter billiger zu gewinnen und besser auszunutzen wußten,
als der ihnen innerlich fremd bleibende deutsche Gutsherr. Der Verkauf pol¬
nischer Güter wurde immer seltener, man klammerte sich an die Scholle an, um
das Vaterland nicht mvrgenweise zu verlieren. Die starke deutsche Einwanderung,


polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

den deutschen Einwanderern und den polnischen Einfassen ein durchaus freund¬
liches Verhältnis; die neuen Unterthanen erkannten die Segnungen der preußischen
Verwaltung dankbar und unverhohlen an. Eigentümlicherweise verschlechterte sich
aber dieser Zustand allmählich in demselben Verhältnisse, in dem sich das Land
und damit auch die polnische Gesellschaft durch die Thätigkeit der preußischen
Verwaltung und die Intelligenz der deutschen Einwandrer erholte und hob.
Es ging den adlichen polnischen Grundbesitzern ähnlich wie den Banstellcn-
besitzern großer, sich rapid entwickelnder Städte, die ihr vvrstädtischcs Land
brach und wüst liegen lassen, ohne Saat und ohne Ernte, eines Tages indes
durch Verkauf der wüsten Stelle» als reiche Leute erstehen, weil eine umsichtige
Verwaltung neue Straßen und Wege gebaut hat, und kluge, spekulative Nach¬
barn Fabriken und Häuser an ihren Grenzen errichtet haben.

Wie der unthätige Baustcllenbesitzer, so wurde auch der materiell erschöpfte
polnische Grundbesitz ohne eigne Anstrengung und Thätigkeit wohlhabend, ja
reich, weil die Arbeit der Staatsbehörden und seiner deutschen Nachbarn
den allgemeinen Bodenwert der Provinz hob. Mit dieser Verbesserung der
materiellen Verhältnisse des polnischen Adels erwachte in ihm aber auch die
schlummernde nationale Idee, seine wachsende Abneigung gegen die deutsche Ver¬
waltung und deutsches Wesen ging hiermit Hand in Hand, er fing an, sich
hermetisch abzuschließen gegen allen deutschen Verkehr; durch absolute Jsolirung
hoffte die polnische Gesellschaft die „nationale Idee" gegenüber dem zunehmenden
Einflüsse des Deutschtums zu retten.

In den Jahren 1846, 1848 und 1863 verdichteten sich die polnischen
Hoffnungen zu revolutionären Thaten, die für das Polentum zunächst nur den
einen Erfolg hatten, daß zahlreiche adliche Familien durch die enormen natio¬
nalen Opfer Haus und Hof verloren und in ihre Stelle neue deutsche Ein¬
wandrer einrückten. Die polnischen Erhebungen zogen thatsächlich eine Förderung
des Deutschtums nach sich. Gleichzeitig beginnt aber auch von der verfehlten
Erhebung des Jahres 1863 ab eine vollständige innere Wandlung der polnischen
Gesellschaft; um die wirtschaftlichen Wunden zu heilen, legte sich dieselbe ans
gesellschaftlichen Gebiete ein Maß der Beschränkung auf, welches von ihren bis¬
herigen Lebensgewohnheiten aufs schärfste abstach. Man zog sich aus den
europäischen Großstädten und den luxuriösen Bädern zurück, man wurde sparsam
und häuslich oorckni, imwram göuvris. Die polnischen Gutsbesitzer nahmen mit
Vorliebe Deutsche als Wirtschaftsbccimte und Pächter, und wetteiferten mit ihren
deutschen Nachbarn in der rationellen Bewirtschaftung ihres Besitzes, wobei
thuen zu statten kam, daß sie den genügsamen und im allgemeinen ausgezeich¬
neten polnischen Arbeiter billiger zu gewinnen und besser auszunutzen wußten,
als der ihnen innerlich fremd bleibende deutsche Gutsherr. Der Verkauf pol¬
nischer Güter wurde immer seltener, man klammerte sich an die Scholle an, um
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[0402] polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. den deutschen Einwanderern und den polnischen Einfassen ein durchaus freund¬ liches Verhältnis; die neuen Unterthanen erkannten die Segnungen der preußischen Verwaltung dankbar und unverhohlen an. Eigentümlicherweise verschlechterte sich aber dieser Zustand allmählich in demselben Verhältnisse, in dem sich das Land und damit auch die polnische Gesellschaft durch die Thätigkeit der preußischen Verwaltung und die Intelligenz der deutschen Einwandrer erholte und hob. Es ging den adlichen polnischen Grundbesitzern ähnlich wie den Banstellcn- besitzern großer, sich rapid entwickelnder Städte, die ihr vvrstädtischcs Land brach und wüst liegen lassen, ohne Saat und ohne Ernte, eines Tages indes durch Verkauf der wüsten Stelle» als reiche Leute erstehen, weil eine umsichtige Verwaltung neue Straßen und Wege gebaut hat, und kluge, spekulative Nach¬ barn Fabriken und Häuser an ihren Grenzen errichtet haben. Wie der unthätige Baustcllenbesitzer, so wurde auch der materiell erschöpfte polnische Grundbesitz ohne eigne Anstrengung und Thätigkeit wohlhabend, ja reich, weil die Arbeit der Staatsbehörden und seiner deutschen Nachbarn den allgemeinen Bodenwert der Provinz hob. Mit dieser Verbesserung der materiellen Verhältnisse des polnischen Adels erwachte in ihm aber auch die schlummernde nationale Idee, seine wachsende Abneigung gegen die deutsche Ver¬ waltung und deutsches Wesen ging hiermit Hand in Hand, er fing an, sich hermetisch abzuschließen gegen allen deutschen Verkehr; durch absolute Jsolirung hoffte die polnische Gesellschaft die „nationale Idee" gegenüber dem zunehmenden Einflüsse des Deutschtums zu retten. In den Jahren 1846, 1848 und 1863 verdichteten sich die polnischen Hoffnungen zu revolutionären Thaten, die für das Polentum zunächst nur den einen Erfolg hatten, daß zahlreiche adliche Familien durch die enormen natio¬ nalen Opfer Haus und Hof verloren und in ihre Stelle neue deutsche Ein¬ wandrer einrückten. Die polnischen Erhebungen zogen thatsächlich eine Förderung des Deutschtums nach sich. Gleichzeitig beginnt aber auch von der verfehlten Erhebung des Jahres 1863 ab eine vollständige innere Wandlung der polnischen Gesellschaft; um die wirtschaftlichen Wunden zu heilen, legte sich dieselbe ans gesellschaftlichen Gebiete ein Maß der Beschränkung auf, welches von ihren bis¬ herigen Lebensgewohnheiten aufs schärfste abstach. Man zog sich aus den europäischen Großstädten und den luxuriösen Bädern zurück, man wurde sparsam und häuslich oorckni, imwram göuvris. Die polnischen Gutsbesitzer nahmen mit Vorliebe Deutsche als Wirtschaftsbccimte und Pächter, und wetteiferten mit ihren deutschen Nachbarn in der rationellen Bewirtschaftung ihres Besitzes, wobei thuen zu statten kam, daß sie den genügsamen und im allgemeinen ausgezeich¬ neten polnischen Arbeiter billiger zu gewinnen und besser auszunutzen wußten, als der ihnen innerlich fremd bleibende deutsche Gutsherr. Der Verkauf pol¬ nischer Güter wurde immer seltener, man klammerte sich an die Scholle an, um das Vaterland nicht mvrgenweise zu verlieren. Die starke deutsche Einwanderung,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/402>, abgerufen am 30.06.2024.