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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

polnischen Anwälten, Ärzten und Technikern anderseits erwuchs ein polnischer
Mittelstand, der sich zwar die Freiheit gestattet, liberale Ideen gegenüber dein
Polnischen Adel und Klerus in der Presse und in öffentliche" Versammlungen
platonisch zu vertreten, aber überall da, wo es gilt, Front zu machen gegen
die preußische Staatsregierung und die deutsche Bevölkerung der Provinz, ein
festes und zuverlässiges Zentrum zwischen den beiden Flügeln der polnischen
Schlachtordnung, dem meist ultramvntnnen blau-Weißen Adel und dem den
Priestern der römisch-tntholischeu Kirche blind ergebner polnischen Bauernstande
bildet.

Diese so gegliederte politische Gesellschaft, die sich erst allmählich entwickelt hat
unter dem Schutze bürgerlicher Freiheit preußischer Gesetzgebung, ist noch fester zu¬
sammengeschweißt worden durch den vierzehnjährigen Kulturkampf, deu der polnische
Klerus von den ersten leisen Anfängen seines Entstehens an als polnisch-nationale
Angelegenheit behandelte, und so zu einem Compclle auch für diejenigen Lands-
leute benutzte, die entweder der katholischen Kirche nicht angehören oder doch
den ultramontanen Bestrebungen bisher entschieden feindlich gegenüberstanden.
Die polnische Gesellschaft und die katholische Kirche, sie sind innerhalb der
Provinz Posen eine solidarische Gemeinschaft geworden, eine Gemeinschaft von
einer Assimilativnskraft, die nicht nur die Reste des protestantischen polnischen
Adels, durch Erschwerung des Kvnnubiums mit den römisch-katholischen Mit¬
gliedern desselben, in den Schoß der katholischen Kirche zurückführt, sondern
auch fortgesetzt katholische Einwandrer deutschesten Ursprungs dem Polvnismus
als neue eifrige Rekruten zuführt. Die Durchsicht amtlicher Namenötabellen
ergiebt die traurige Gewißheit, daß in vielen Gegenden der Provinz die
Mehrzahl derer, die sich im besten Glauben für Bollblutpolen halten, Nach¬
kommen deutscher Einwandrer sind, wobei noch zahlreiche Polonisirungen, die
nicht nur durch Anhänguug einer polnischen Endsilbe oder polnische Schreibweise,
sondern durch vollständige Übersetzung des Namens bewirkt worden find, außer
Rechnung bleiben müssen. Als Ursachen und Folgen endlich der fortschreitenden
geistigen Belebung des Polentums entstanden eine Flut polnischer Zeitungen
und Zeitschriften, Volksbibliotheken, wissenschaftliche und wirtschaftliche, Gcsellig-
teits- und Vergnügungsvcreinc, deren Vereinstage als Volksfeste gefeiert werden,
umherziehende polnische Bühnengcsellschaften, eine national-polnische uniformirte
Kapelle und als letzte Erscheinung auf diesem Gebiete sogar eine Art polnischer
Studcntenverein, der den Geist der Solidarität unter deu nkademischeit Bürgern
der ehemals polnischen Landesteile Pflegen soll und kürzlich in Gnesen feierlich
tagte, um den Dom des heiligen Adalbert zu besichtigen. Alle diese Ver¬
einigungen sind rein polnisch und thatsächlich politisch; sie haben nur einen
stillen, unausgesprochen Zweck: Erhaltung der nationalen Erinnerungen und
Vorbereitung der Auferstehung der alten polnischen Herrlichkeit, die sich der
polnischen Phantasie immer verklärter zeigt, je mehr sie sich von ihrer trüben


Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen.

polnischen Anwälten, Ärzten und Technikern anderseits erwuchs ein polnischer
Mittelstand, der sich zwar die Freiheit gestattet, liberale Ideen gegenüber dein
Polnischen Adel und Klerus in der Presse und in öffentliche» Versammlungen
platonisch zu vertreten, aber überall da, wo es gilt, Front zu machen gegen
die preußische Staatsregierung und die deutsche Bevölkerung der Provinz, ein
festes und zuverlässiges Zentrum zwischen den beiden Flügeln der polnischen
Schlachtordnung, dem meist ultramvntnnen blau-Weißen Adel und dem den
Priestern der römisch-tntholischeu Kirche blind ergebner polnischen Bauernstande
bildet.

Diese so gegliederte politische Gesellschaft, die sich erst allmählich entwickelt hat
unter dem Schutze bürgerlicher Freiheit preußischer Gesetzgebung, ist noch fester zu¬
sammengeschweißt worden durch den vierzehnjährigen Kulturkampf, deu der polnische
Klerus von den ersten leisen Anfängen seines Entstehens an als polnisch-nationale
Angelegenheit behandelte, und so zu einem Compclle auch für diejenigen Lands-
leute benutzte, die entweder der katholischen Kirche nicht angehören oder doch
den ultramontanen Bestrebungen bisher entschieden feindlich gegenüberstanden.
Die polnische Gesellschaft und die katholische Kirche, sie sind innerhalb der
Provinz Posen eine solidarische Gemeinschaft geworden, eine Gemeinschaft von
einer Assimilativnskraft, die nicht nur die Reste des protestantischen polnischen
Adels, durch Erschwerung des Kvnnubiums mit den römisch-katholischen Mit¬
gliedern desselben, in den Schoß der katholischen Kirche zurückführt, sondern
auch fortgesetzt katholische Einwandrer deutschesten Ursprungs dem Polvnismus
als neue eifrige Rekruten zuführt. Die Durchsicht amtlicher Namenötabellen
ergiebt die traurige Gewißheit, daß in vielen Gegenden der Provinz die
Mehrzahl derer, die sich im besten Glauben für Bollblutpolen halten, Nach¬
kommen deutscher Einwandrer sind, wobei noch zahlreiche Polonisirungen, die
nicht nur durch Anhänguug einer polnischen Endsilbe oder polnische Schreibweise,
sondern durch vollständige Übersetzung des Namens bewirkt worden find, außer
Rechnung bleiben müssen. Als Ursachen und Folgen endlich der fortschreitenden
geistigen Belebung des Polentums entstanden eine Flut polnischer Zeitungen
und Zeitschriften, Volksbibliotheken, wissenschaftliche und wirtschaftliche, Gcsellig-
teits- und Vergnügungsvcreinc, deren Vereinstage als Volksfeste gefeiert werden,
umherziehende polnische Bühnengcsellschaften, eine national-polnische uniformirte
Kapelle und als letzte Erscheinung auf diesem Gebiete sogar eine Art polnischer
Studcntenverein, der den Geist der Solidarität unter deu nkademischeit Bürgern
der ehemals polnischen Landesteile Pflegen soll und kürzlich in Gnesen feierlich
tagte, um den Dom des heiligen Adalbert zu besichtigen. Alle diese Ver¬
einigungen sind rein polnisch und thatsächlich politisch; sie haben nur einen
stillen, unausgesprochen Zweck: Erhaltung der nationalen Erinnerungen und
Vorbereitung der Auferstehung der alten polnischen Herrlichkeit, die sich der
polnischen Phantasie immer verklärter zeigt, je mehr sie sich von ihrer trüben


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[0404] Polentum und Deutschtum in der Provinz Posen. polnischen Anwälten, Ärzten und Technikern anderseits erwuchs ein polnischer Mittelstand, der sich zwar die Freiheit gestattet, liberale Ideen gegenüber dein Polnischen Adel und Klerus in der Presse und in öffentliche» Versammlungen platonisch zu vertreten, aber überall da, wo es gilt, Front zu machen gegen die preußische Staatsregierung und die deutsche Bevölkerung der Provinz, ein festes und zuverlässiges Zentrum zwischen den beiden Flügeln der polnischen Schlachtordnung, dem meist ultramvntnnen blau-Weißen Adel und dem den Priestern der römisch-tntholischeu Kirche blind ergebner polnischen Bauernstande bildet. Diese so gegliederte politische Gesellschaft, die sich erst allmählich entwickelt hat unter dem Schutze bürgerlicher Freiheit preußischer Gesetzgebung, ist noch fester zu¬ sammengeschweißt worden durch den vierzehnjährigen Kulturkampf, deu der polnische Klerus von den ersten leisen Anfängen seines Entstehens an als polnisch-nationale Angelegenheit behandelte, und so zu einem Compclle auch für diejenigen Lands- leute benutzte, die entweder der katholischen Kirche nicht angehören oder doch den ultramontanen Bestrebungen bisher entschieden feindlich gegenüberstanden. Die polnische Gesellschaft und die katholische Kirche, sie sind innerhalb der Provinz Posen eine solidarische Gemeinschaft geworden, eine Gemeinschaft von einer Assimilativnskraft, die nicht nur die Reste des protestantischen polnischen Adels, durch Erschwerung des Kvnnubiums mit den römisch-katholischen Mit¬ gliedern desselben, in den Schoß der katholischen Kirche zurückführt, sondern auch fortgesetzt katholische Einwandrer deutschesten Ursprungs dem Polvnismus als neue eifrige Rekruten zuführt. Die Durchsicht amtlicher Namenötabellen ergiebt die traurige Gewißheit, daß in vielen Gegenden der Provinz die Mehrzahl derer, die sich im besten Glauben für Bollblutpolen halten, Nach¬ kommen deutscher Einwandrer sind, wobei noch zahlreiche Polonisirungen, die nicht nur durch Anhänguug einer polnischen Endsilbe oder polnische Schreibweise, sondern durch vollständige Übersetzung des Namens bewirkt worden find, außer Rechnung bleiben müssen. Als Ursachen und Folgen endlich der fortschreitenden geistigen Belebung des Polentums entstanden eine Flut polnischer Zeitungen und Zeitschriften, Volksbibliotheken, wissenschaftliche und wirtschaftliche, Gcsellig- teits- und Vergnügungsvcreinc, deren Vereinstage als Volksfeste gefeiert werden, umherziehende polnische Bühnengcsellschaften, eine national-polnische uniformirte Kapelle und als letzte Erscheinung auf diesem Gebiete sogar eine Art polnischer Studcntenverein, der den Geist der Solidarität unter deu nkademischeit Bürgern der ehemals polnischen Landesteile Pflegen soll und kürzlich in Gnesen feierlich tagte, um den Dom des heiligen Adalbert zu besichtigen. Alle diese Ver¬ einigungen sind rein polnisch und thatsächlich politisch; sie haben nur einen stillen, unausgesprochen Zweck: Erhaltung der nationalen Erinnerungen und Vorbereitung der Auferstehung der alten polnischen Herrlichkeit, die sich der polnischen Phantasie immer verklärter zeigt, je mehr sie sich von ihrer trüben

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/404>, abgerufen am 04.07.2024.