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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Ludwig Wieso und seine Amtserfahrungen.

Sache, die Beschützung des altkatholischcn Neligionslehrers in Ermelcmd, auch
die Aufhebung der katholischen Abteilung im Ministerium, freilich mit etwas
andrer Motivierung, als sie nachher üblich wurde. Am 18. Januar 1872
zeigte er deu Räten an, daß der König ihn ans seinem Amt entlassen habe,
und seine Empfindungen für die Schule gehen aus den Worten hervor, die er
in jenen Tagen an Dr. Wiese richtete: "Thut man nun mit der Schule, wozu
die Hand zu bieten ich mich um des Gewissens willen geweigert habe, so werden
in zwanzig Jahren die Güter verwüstet sein, die Preußens Stärke waren lind
ihm auch zu seinen letzten Siegen verholfen haben." Die Beziehung dieser me¬
lancholischen Worte sind dunkel, auf das Schulaufsichtsgesetz gehen sie schwerlich,
Wohl aber auf den ganzen konfessionellen historischen Charakter unsrer evange¬
lischen Schulanstalten.

Vier Jahre lang blieb Wiese noch unter Dr. Falk im Amte. Er nennt
ihn den konsequentesten und durchgreifendsten Minister unter den vier Chefs,
die er gekannt habe. Zuerst wurde ihm durch den Jnbel, den der Liberalismus
ihm entgegenbrachte, sein Wirken erleichtert. An die Bräunsberger Angelegen¬
heit, die gänzlich verfahren war, knüpfte sich seine Verfügung, daß vom Religions¬
unterricht dispensirt werden könne (29. Februar 1872). "Verwunderung, daß
er nicht weiter gehe (und den Religionsunterricht überhaupt fakultativ mache),
hatte der Minister von vielen zu hören." Wiese selbst, der die genannte
Verfügung abgefaßt hatte, bemerkte Dr. Falk gegenüber, daß jene Dispeusatiou
weiter führen könne, und Falk gestand zu, daß die Aufhebung des Religions¬
unterrichts einmal in der Folgezeit daraus hervorgehen könne, er selber beab¬
sichtige dies keineswegs. Die folgenden Kultusminister haben dies noch weniger
beabsichtigt, und es würde ein völliger Zerfall des Volksbewußtseins voraus¬
gehen müssen, wenn eine solche Maßregel, insbesondre bei dem protestantischen
Volke, nicht bei einigen aufgeklärten judaifirenden Parlamentariern, Anklang
finden sollte.

Wir folgen Dr. Wiese nicht in die Einzelheiten, die Falk auf dem Gebiete
des Schulwesens durchführte, obgleich sie dem Fachmanne lehrreich sind. Auf
S. 30 des zweiten Bandes erwähnt Wiese zum erstenmal, daß er an das Auf¬
geben seines Amts gedacht habe, da er es, nicht mehr so vom Vertrauen seines
Chefs getragen, auch nicht mit der frühern Befriedigung verwaltete. Die neuen
Kollegen und Ministerialdirektoren zeigten mehr ein juristisches Gepräge, päda¬
gogische und ethische Gesichtspunkte waren bei der Beratung schwerer zur Geltung
zu bringen. "Es heißt wohl, der Jurist kann alles, aber für mein Gebiet
wollte mir das bisweilen nicht einleuchten." Hieran knüpft Wiese um eine
umfassende Darstellung der Entwicklung der höhern Schule, wie, möchte ich
sagen, nur Wiese so aus eignen Erfahrungen sie geben konnte (II, S. 33--62).

Es ist eine psychologisch wohl zu erklärende Schwäche, wenn die schrift¬
stellerischen Rückblicke der höhern Beamten, die durch einen Systemwechsel sich


Ludwig Wieso und seine Amtserfahrungen.

Sache, die Beschützung des altkatholischcn Neligionslehrers in Ermelcmd, auch
die Aufhebung der katholischen Abteilung im Ministerium, freilich mit etwas
andrer Motivierung, als sie nachher üblich wurde. Am 18. Januar 1872
zeigte er deu Räten an, daß der König ihn ans seinem Amt entlassen habe,
und seine Empfindungen für die Schule gehen aus den Worten hervor, die er
in jenen Tagen an Dr. Wiese richtete: „Thut man nun mit der Schule, wozu
die Hand zu bieten ich mich um des Gewissens willen geweigert habe, so werden
in zwanzig Jahren die Güter verwüstet sein, die Preußens Stärke waren lind
ihm auch zu seinen letzten Siegen verholfen haben." Die Beziehung dieser me¬
lancholischen Worte sind dunkel, auf das Schulaufsichtsgesetz gehen sie schwerlich,
Wohl aber auf den ganzen konfessionellen historischen Charakter unsrer evange¬
lischen Schulanstalten.

Vier Jahre lang blieb Wiese noch unter Dr. Falk im Amte. Er nennt
ihn den konsequentesten und durchgreifendsten Minister unter den vier Chefs,
die er gekannt habe. Zuerst wurde ihm durch den Jnbel, den der Liberalismus
ihm entgegenbrachte, sein Wirken erleichtert. An die Bräunsberger Angelegen¬
heit, die gänzlich verfahren war, knüpfte sich seine Verfügung, daß vom Religions¬
unterricht dispensirt werden könne (29. Februar 1872). „Verwunderung, daß
er nicht weiter gehe (und den Religionsunterricht überhaupt fakultativ mache),
hatte der Minister von vielen zu hören." Wiese selbst, der die genannte
Verfügung abgefaßt hatte, bemerkte Dr. Falk gegenüber, daß jene Dispeusatiou
weiter führen könne, und Falk gestand zu, daß die Aufhebung des Religions¬
unterrichts einmal in der Folgezeit daraus hervorgehen könne, er selber beab¬
sichtige dies keineswegs. Die folgenden Kultusminister haben dies noch weniger
beabsichtigt, und es würde ein völliger Zerfall des Volksbewußtseins voraus¬
gehen müssen, wenn eine solche Maßregel, insbesondre bei dem protestantischen
Volke, nicht bei einigen aufgeklärten judaifirenden Parlamentariern, Anklang
finden sollte.

Wir folgen Dr. Wiese nicht in die Einzelheiten, die Falk auf dem Gebiete
des Schulwesens durchführte, obgleich sie dem Fachmanne lehrreich sind. Auf
S. 30 des zweiten Bandes erwähnt Wiese zum erstenmal, daß er an das Auf¬
geben seines Amts gedacht habe, da er es, nicht mehr so vom Vertrauen seines
Chefs getragen, auch nicht mit der frühern Befriedigung verwaltete. Die neuen
Kollegen und Ministerialdirektoren zeigten mehr ein juristisches Gepräge, päda¬
gogische und ethische Gesichtspunkte waren bei der Beratung schwerer zur Geltung
zu bringen. „Es heißt wohl, der Jurist kann alles, aber für mein Gebiet
wollte mir das bisweilen nicht einleuchten." Hieran knüpft Wiese um eine
umfassende Darstellung der Entwicklung der höhern Schule, wie, möchte ich
sagen, nur Wiese so aus eignen Erfahrungen sie geben konnte (II, S. 33—62).

Es ist eine psychologisch wohl zu erklärende Schwäche, wenn die schrift¬
stellerischen Rückblicke der höhern Beamten, die durch einen Systemwechsel sich


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[0387] Ludwig Wieso und seine Amtserfahrungen. Sache, die Beschützung des altkatholischcn Neligionslehrers in Ermelcmd, auch die Aufhebung der katholischen Abteilung im Ministerium, freilich mit etwas andrer Motivierung, als sie nachher üblich wurde. Am 18. Januar 1872 zeigte er deu Räten an, daß der König ihn ans seinem Amt entlassen habe, und seine Empfindungen für die Schule gehen aus den Worten hervor, die er in jenen Tagen an Dr. Wiese richtete: „Thut man nun mit der Schule, wozu die Hand zu bieten ich mich um des Gewissens willen geweigert habe, so werden in zwanzig Jahren die Güter verwüstet sein, die Preußens Stärke waren lind ihm auch zu seinen letzten Siegen verholfen haben." Die Beziehung dieser me¬ lancholischen Worte sind dunkel, auf das Schulaufsichtsgesetz gehen sie schwerlich, Wohl aber auf den ganzen konfessionellen historischen Charakter unsrer evange¬ lischen Schulanstalten. Vier Jahre lang blieb Wiese noch unter Dr. Falk im Amte. Er nennt ihn den konsequentesten und durchgreifendsten Minister unter den vier Chefs, die er gekannt habe. Zuerst wurde ihm durch den Jnbel, den der Liberalismus ihm entgegenbrachte, sein Wirken erleichtert. An die Bräunsberger Angelegen¬ heit, die gänzlich verfahren war, knüpfte sich seine Verfügung, daß vom Religions¬ unterricht dispensirt werden könne (29. Februar 1872). „Verwunderung, daß er nicht weiter gehe (und den Religionsunterricht überhaupt fakultativ mache), hatte der Minister von vielen zu hören." Wiese selbst, der die genannte Verfügung abgefaßt hatte, bemerkte Dr. Falk gegenüber, daß jene Dispeusatiou weiter führen könne, und Falk gestand zu, daß die Aufhebung des Religions¬ unterrichts einmal in der Folgezeit daraus hervorgehen könne, er selber beab¬ sichtige dies keineswegs. Die folgenden Kultusminister haben dies noch weniger beabsichtigt, und es würde ein völliger Zerfall des Volksbewußtseins voraus¬ gehen müssen, wenn eine solche Maßregel, insbesondre bei dem protestantischen Volke, nicht bei einigen aufgeklärten judaifirenden Parlamentariern, Anklang finden sollte. Wir folgen Dr. Wiese nicht in die Einzelheiten, die Falk auf dem Gebiete des Schulwesens durchführte, obgleich sie dem Fachmanne lehrreich sind. Auf S. 30 des zweiten Bandes erwähnt Wiese zum erstenmal, daß er an das Auf¬ geben seines Amts gedacht habe, da er es, nicht mehr so vom Vertrauen seines Chefs getragen, auch nicht mit der frühern Befriedigung verwaltete. Die neuen Kollegen und Ministerialdirektoren zeigten mehr ein juristisches Gepräge, päda¬ gogische und ethische Gesichtspunkte waren bei der Beratung schwerer zur Geltung zu bringen. „Es heißt wohl, der Jurist kann alles, aber für mein Gebiet wollte mir das bisweilen nicht einleuchten." Hieran knüpft Wiese um eine umfassende Darstellung der Entwicklung der höhern Schule, wie, möchte ich sagen, nur Wiese so aus eignen Erfahrungen sie geben konnte (II, S. 33—62). Es ist eine psychologisch wohl zu erklärende Schwäche, wenn die schrift¬ stellerischen Rückblicke der höhern Beamten, die durch einen Systemwechsel sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/387>, abgerufen am 24.07.2024.