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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Ludwig Wiese und seine Amtserfahrungen.

Bemerkung, er habe "an des Gewissens willen" den König um seine Entlassung
bitten müssen. Sein Nachfolger, Dr. von Muster, war ein langjähriger Freund
Wieses (I, 239). "Ich kaun nur mit Wehmut an die zehn Jahre 'seines Mi¬
nisteriums . . . zurückdenken. Er war einer der lautersten und liebenswürdigsten
Menschen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, von Hause aus im
Grunde eine umve Natur, heitern Gemüts, das sich auch leicht und gern in
poetischen Ergüssen aufthat, dabei ein Manu von klarem Verstände, geschäftlich
erscchren und gewandt. Die schweren Kämpfe, die seiner alsbald wartete" und
in denen das grobe Geschütz des aufgeklärten Liberalismus unausgesetzt seine
Positionen angriff, machte ihm el" ruhiges Einarbeiten in die neuen Amts¬
pflichten unmöglich. Er verlor allmählich seinen Gleichmut; ... er erschien oft
geistig und körperlich gedrückt, reizbar und abhängig von wechselnden Stim¬
mungen." Alles dies ist uns noch in frischer Erinnerung, Es ist sehr an¬
zuerkennen und ein Beweis sittlicher Gediegenheit, daß seine Reden in den
Kammern gegenüber diesen parlamentarisch oft sehr zugespitzte" Reden stets
sachlich und würdig blieben, nicht bloß, weil Muster kein bedeutender Redner
war, sondern auch, weil er ein andres Verfahren nicht billigte. Den heftigste"
Kampf mußte er ans dem Gebiete der konfessionellen Schule bestehen, eine"
Kampf, de" allerdings die verwickelte konstitutionelle moderne Ansicht der Dinge
gegen die historische Geltung der Bekenntnisse auf dem Staatsschulgebiete, nicht
die Laune einiger Radikalen herbeiführte, Und doch fand sich neben diesem un¬
erquicklichen Kampfe noch Gelegenheit zu heilsame" Verordnungen über deutscheu
Unterricht, Propädeutik, Verminderung des Schreibwerkes in de" Prvvinzial-
tollegien, Regelung des Schulwesens in den 1866 cmnektirte" Gebieten u. ni.
Hierbei war Wiese überall persönlich beteiligt, "ud ganz besonders interessant
ist der Bericht, wie er die han"ovcrisch-adelsstolze Klvsterschiilc zu Ilfeld zurecht¬
setzte (I, 277).

Über die Anfänge der jetzigen Reichsschnlkommissio" in den damaligen
Dclegirtenkouferenzeu deutscher Schulbeamte" erhalte" wir aus unsern: Buche,
soviel ich weiß, zum erstenmale frische, konkrete Mitteilungen. Das Jahr 1870
brachte dem Verfasser wieder eigentümliche Aufgaben. Ans Anregung des Reichs¬
kanzlers erhielt Wiese im Mai 1871 de" Auftrag, über die Neuordnung des
elsüssisch-lothringischen Schulwesens durch persönliche Bereisung des Landes sich
zu iiiformircn und seine Vorschläge zu machen. Das Wesentliche seiner Be¬
obachtungen ist im Buche erzählt und bildet einen hervorragend wertvollen
Bestandteil desselben. Wer ihn gelesen hat und die Fortsetzung im zweiten
Bande (S. 11), den muß Trauer darüber beschleichen, daß es dem ultramontane"
Drucke unter orthodvxistifcher Verwaltung nachher gelungen ist, vieles wieder zu
zerstören und den Schulrat Dr. Baumeister aus Amt und Land zu vertreiben.

Mittlerweile kam die Periode des sogenannte" Kulturkampfes. Muster
"nichte die ersten Maßregeln in treuer staatlicher Gesinnung zu seiner eignen


Ludwig Wiese und seine Amtserfahrungen.

Bemerkung, er habe „an des Gewissens willen" den König um seine Entlassung
bitten müssen. Sein Nachfolger, Dr. von Muster, war ein langjähriger Freund
Wieses (I, 239). „Ich kaun nur mit Wehmut an die zehn Jahre 'seines Mi¬
nisteriums . . . zurückdenken. Er war einer der lautersten und liebenswürdigsten
Menschen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, von Hause aus im
Grunde eine umve Natur, heitern Gemüts, das sich auch leicht und gern in
poetischen Ergüssen aufthat, dabei ein Manu von klarem Verstände, geschäftlich
erscchren und gewandt. Die schweren Kämpfe, die seiner alsbald wartete» und
in denen das grobe Geschütz des aufgeklärten Liberalismus unausgesetzt seine
Positionen angriff, machte ihm el» ruhiges Einarbeiten in die neuen Amts¬
pflichten unmöglich. Er verlor allmählich seinen Gleichmut; ... er erschien oft
geistig und körperlich gedrückt, reizbar und abhängig von wechselnden Stim¬
mungen." Alles dies ist uns noch in frischer Erinnerung, Es ist sehr an¬
zuerkennen und ein Beweis sittlicher Gediegenheit, daß seine Reden in den
Kammern gegenüber diesen parlamentarisch oft sehr zugespitzte» Reden stets
sachlich und würdig blieben, nicht bloß, weil Muster kein bedeutender Redner
war, sondern auch, weil er ein andres Verfahren nicht billigte. Den heftigste»
Kampf mußte er ans dem Gebiete der konfessionellen Schule bestehen, eine»
Kampf, de» allerdings die verwickelte konstitutionelle moderne Ansicht der Dinge
gegen die historische Geltung der Bekenntnisse auf dem Staatsschulgebiete, nicht
die Laune einiger Radikalen herbeiführte, Und doch fand sich neben diesem un¬
erquicklichen Kampfe noch Gelegenheit zu heilsame» Verordnungen über deutscheu
Unterricht, Propädeutik, Verminderung des Schreibwerkes in de» Prvvinzial-
tollegien, Regelung des Schulwesens in den 1866 cmnektirte» Gebieten u. ni.
Hierbei war Wiese überall persönlich beteiligt, »ud ganz besonders interessant
ist der Bericht, wie er die han»ovcrisch-adelsstolze Klvsterschiilc zu Ilfeld zurecht¬
setzte (I, 277).

Über die Anfänge der jetzigen Reichsschnlkommissio» in den damaligen
Dclegirtenkouferenzeu deutscher Schulbeamte» erhalte» wir aus unsern: Buche,
soviel ich weiß, zum erstenmale frische, konkrete Mitteilungen. Das Jahr 1870
brachte dem Verfasser wieder eigentümliche Aufgaben. Ans Anregung des Reichs¬
kanzlers erhielt Wiese im Mai 1871 de» Auftrag, über die Neuordnung des
elsüssisch-lothringischen Schulwesens durch persönliche Bereisung des Landes sich
zu iiiformircn und seine Vorschläge zu machen. Das Wesentliche seiner Be¬
obachtungen ist im Buche erzählt und bildet einen hervorragend wertvollen
Bestandteil desselben. Wer ihn gelesen hat und die Fortsetzung im zweiten
Bande (S. 11), den muß Trauer darüber beschleichen, daß es dem ultramontane»
Drucke unter orthodvxistifcher Verwaltung nachher gelungen ist, vieles wieder zu
zerstören und den Schulrat Dr. Baumeister aus Amt und Land zu vertreiben.

Mittlerweile kam die Periode des sogenannte» Kulturkampfes. Muster
»nichte die ersten Maßregeln in treuer staatlicher Gesinnung zu seiner eignen


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[0386] Ludwig Wiese und seine Amtserfahrungen. Bemerkung, er habe „an des Gewissens willen" den König um seine Entlassung bitten müssen. Sein Nachfolger, Dr. von Muster, war ein langjähriger Freund Wieses (I, 239). „Ich kaun nur mit Wehmut an die zehn Jahre 'seines Mi¬ nisteriums . . . zurückdenken. Er war einer der lautersten und liebenswürdigsten Menschen, die ich in meinem Leben kennen gelernt habe, von Hause aus im Grunde eine umve Natur, heitern Gemüts, das sich auch leicht und gern in poetischen Ergüssen aufthat, dabei ein Manu von klarem Verstände, geschäftlich erscchren und gewandt. Die schweren Kämpfe, die seiner alsbald wartete» und in denen das grobe Geschütz des aufgeklärten Liberalismus unausgesetzt seine Positionen angriff, machte ihm el» ruhiges Einarbeiten in die neuen Amts¬ pflichten unmöglich. Er verlor allmählich seinen Gleichmut; ... er erschien oft geistig und körperlich gedrückt, reizbar und abhängig von wechselnden Stim¬ mungen." Alles dies ist uns noch in frischer Erinnerung, Es ist sehr an¬ zuerkennen und ein Beweis sittlicher Gediegenheit, daß seine Reden in den Kammern gegenüber diesen parlamentarisch oft sehr zugespitzte» Reden stets sachlich und würdig blieben, nicht bloß, weil Muster kein bedeutender Redner war, sondern auch, weil er ein andres Verfahren nicht billigte. Den heftigste» Kampf mußte er ans dem Gebiete der konfessionellen Schule bestehen, eine» Kampf, de» allerdings die verwickelte konstitutionelle moderne Ansicht der Dinge gegen die historische Geltung der Bekenntnisse auf dem Staatsschulgebiete, nicht die Laune einiger Radikalen herbeiführte, Und doch fand sich neben diesem un¬ erquicklichen Kampfe noch Gelegenheit zu heilsame» Verordnungen über deutscheu Unterricht, Propädeutik, Verminderung des Schreibwerkes in de» Prvvinzial- tollegien, Regelung des Schulwesens in den 1866 cmnektirte» Gebieten u. ni. Hierbei war Wiese überall persönlich beteiligt, »ud ganz besonders interessant ist der Bericht, wie er die han»ovcrisch-adelsstolze Klvsterschiilc zu Ilfeld zurecht¬ setzte (I, 277). Über die Anfänge der jetzigen Reichsschnlkommissio» in den damaligen Dclegirtenkouferenzeu deutscher Schulbeamte» erhalte» wir aus unsern: Buche, soviel ich weiß, zum erstenmale frische, konkrete Mitteilungen. Das Jahr 1870 brachte dem Verfasser wieder eigentümliche Aufgaben. Ans Anregung des Reichs¬ kanzlers erhielt Wiese im Mai 1871 de» Auftrag, über die Neuordnung des elsüssisch-lothringischen Schulwesens durch persönliche Bereisung des Landes sich zu iiiformircn und seine Vorschläge zu machen. Das Wesentliche seiner Be¬ obachtungen ist im Buche erzählt und bildet einen hervorragend wertvollen Bestandteil desselben. Wer ihn gelesen hat und die Fortsetzung im zweiten Bande (S. 11), den muß Trauer darüber beschleichen, daß es dem ultramontane» Drucke unter orthodvxistifcher Verwaltung nachher gelungen ist, vieles wieder zu zerstören und den Schulrat Dr. Baumeister aus Amt und Land zu vertreiben. Mittlerweile kam die Periode des sogenannte» Kulturkampfes. Muster »nichte die ersten Maßregeln in treuer staatlicher Gesinnung zu seiner eignen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/386>, abgerufen am 24.07.2024.