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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Ludwig Miese und seine Amtserfahrnngen,

allen Dogmen, seine Stellung zur Kirche nicht für allgemein giltig anzusehen
vermögen.

Der reiche Inhalt der Schrift Wicses ist zum Teil biographischer Natur;
diese Partien sind nirgends aufdringlich gehalten, aber wie sie uns durch ihre
schöne Darstellung und ihren zum Teil ergreifenden Inhalt fesseln, so sind sie
in mancher Beziehung auch eine nützliche Erläuterung zu dem, was dem Manne
als das Ideal seines amtlichen Wirkens vorschwebte.

Eben dieses amtliche Wirken als vortragender Rat ist es, was überall von
S. 152 des ersten Bandes an die Hauptsache unsrer Schrift bleibt. Raumers
Auffassung vom Schulwesen wird S. 164 hübsch nach Worten des Ministers
selbst dargestellt, in dieser Allgemeinheit gewiß unanfechtbar für jeden Sach¬
verständigen, es kommt aber darauf an, was man in die großen Umrisse hinein-
zeichnet. In dieser Beziehung hatte der Minister eben das Vertrauen zu Wiese,
daß sie auch in der Detailcinffassung des Bildnngsideals übereinstimmten. In
der That scheint der Minister bis zu seinem Tode allen Grund gehabt zu haben,
dies Vertrauen festzuhalten. Der neue Rat wurde in seinen Vorschlägen
gegenüber allerlei romantisch-aristokratischen Plänen, die in Bezug auf einige
Ritterakademien, auf die Fränkischen Stiftungen zu Halle u. s. w. von oben
begünstigt wurden, vom Minister gegen jene starken Strömungen gehalten, und
die eminente Personalkenntnis, die ihm die häufige Bereisung der Provinzen
eingebracht hatte, half über manche Schwierigkeit hinweg, die in der einmal
vorhandnen straffen preußischen Zentralschulverwaltung liegen kann. Welche
einzelne Maßregeln auf dem Gebiete der höhern Schulen diese erste, ruhigere
Zeit zeitigte, das wird im einzelnen die Leser dieser Zeitschrift kaum genügend
interessiren. Das Wichtigste scheint uns der Versuch zu sein, dnrch General-
Verfügung vom 12. Januar 1856 den Lehrplan und die Abiturientenprüfung
an den Gymnasien etwas zu vereinfachen. Im Jahre 1882 und 1883 wurden
diese Verfügungen dnrch wesentlich anders gerichtete ersetzt, freilich ist das
preußische Schulwesen so gut organisirt, daß ein offenbarer Bruch mit der Ver¬
gangenheit sorgfältig vermieden wird. Was S. 190 über den Charakter des
Ministers von Raumer und sein Streben mitgeteilt wird, ehrt diesen vielverkannten
Mann und seinen Rat zugleich, aber es zeigt auch, daß wir in einer andern
Zeit leben als in den fünfziger Jahren. Diese enge Verbindung von Staat
(Maatsschnlwesen) und Kirche, die sogar die Errichtung des evangelischen Ober¬
kirchenrath neben dem Kultusministerium für eine "beklagenswerte" Konzession
halten konnte, ist heute doch unmöglich. Man wundert sich umsomehr darüber,
als gerade damals sich eine besondre katholische Abteilung im Ministerium breit
machen durfte, die bald aus einer staatlichen Behörde eine ultramontane Advokatie
wurde. Mit Recht hebt Wiese es freudig hervor, daß von Raumer bei aller
entschiednen Kirchlichkeit doch alles Zurschautragen christlicher Gesinnung ver¬
achtete und bei Anstellungen vor allen Dingen ans die schulmäunische und


Ludwig Miese und seine Amtserfahrnngen,

allen Dogmen, seine Stellung zur Kirche nicht für allgemein giltig anzusehen
vermögen.

Der reiche Inhalt der Schrift Wicses ist zum Teil biographischer Natur;
diese Partien sind nirgends aufdringlich gehalten, aber wie sie uns durch ihre
schöne Darstellung und ihren zum Teil ergreifenden Inhalt fesseln, so sind sie
in mancher Beziehung auch eine nützliche Erläuterung zu dem, was dem Manne
als das Ideal seines amtlichen Wirkens vorschwebte.

Eben dieses amtliche Wirken als vortragender Rat ist es, was überall von
S. 152 des ersten Bandes an die Hauptsache unsrer Schrift bleibt. Raumers
Auffassung vom Schulwesen wird S. 164 hübsch nach Worten des Ministers
selbst dargestellt, in dieser Allgemeinheit gewiß unanfechtbar für jeden Sach¬
verständigen, es kommt aber darauf an, was man in die großen Umrisse hinein-
zeichnet. In dieser Beziehung hatte der Minister eben das Vertrauen zu Wiese,
daß sie auch in der Detailcinffassung des Bildnngsideals übereinstimmten. In
der That scheint der Minister bis zu seinem Tode allen Grund gehabt zu haben,
dies Vertrauen festzuhalten. Der neue Rat wurde in seinen Vorschlägen
gegenüber allerlei romantisch-aristokratischen Plänen, die in Bezug auf einige
Ritterakademien, auf die Fränkischen Stiftungen zu Halle u. s. w. von oben
begünstigt wurden, vom Minister gegen jene starken Strömungen gehalten, und
die eminente Personalkenntnis, die ihm die häufige Bereisung der Provinzen
eingebracht hatte, half über manche Schwierigkeit hinweg, die in der einmal
vorhandnen straffen preußischen Zentralschulverwaltung liegen kann. Welche
einzelne Maßregeln auf dem Gebiete der höhern Schulen diese erste, ruhigere
Zeit zeitigte, das wird im einzelnen die Leser dieser Zeitschrift kaum genügend
interessiren. Das Wichtigste scheint uns der Versuch zu sein, dnrch General-
Verfügung vom 12. Januar 1856 den Lehrplan und die Abiturientenprüfung
an den Gymnasien etwas zu vereinfachen. Im Jahre 1882 und 1883 wurden
diese Verfügungen dnrch wesentlich anders gerichtete ersetzt, freilich ist das
preußische Schulwesen so gut organisirt, daß ein offenbarer Bruch mit der Ver¬
gangenheit sorgfältig vermieden wird. Was S. 190 über den Charakter des
Ministers von Raumer und sein Streben mitgeteilt wird, ehrt diesen vielverkannten
Mann und seinen Rat zugleich, aber es zeigt auch, daß wir in einer andern
Zeit leben als in den fünfziger Jahren. Diese enge Verbindung von Staat
(Maatsschnlwesen) und Kirche, die sogar die Errichtung des evangelischen Ober¬
kirchenrath neben dem Kultusministerium für eine „beklagenswerte" Konzession
halten konnte, ist heute doch unmöglich. Man wundert sich umsomehr darüber,
als gerade damals sich eine besondre katholische Abteilung im Ministerium breit
machen durfte, die bald aus einer staatlichen Behörde eine ultramontane Advokatie
wurde. Mit Recht hebt Wiese es freudig hervor, daß von Raumer bei aller
entschiednen Kirchlichkeit doch alles Zurschautragen christlicher Gesinnung ver¬
achtete und bei Anstellungen vor allen Dingen ans die schulmäunische und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/383>, abgerufen am 02.07.2024.