Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.Ludwig Wieso und seine Amtserfahrungen. seine Vorgesetzten bald hier, bald dort das Mißfallen der Lehrer oder der po¬ Dies Gefühl der Achtung verließ kaum jemand, der Wiese näher kannte. Ludwig Wieso und seine Amtserfahrungen. seine Vorgesetzten bald hier, bald dort das Mißfallen der Lehrer oder der po¬ Dies Gefühl der Achtung verließ kaum jemand, der Wiese näher kannte. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0382" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198448"/> <fw type="header" place="top"> Ludwig Wieso und seine Amtserfahrungen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1108" prev="#ID_1107"> seine Vorgesetzten bald hier, bald dort das Mißfallen der Lehrer oder der po¬<lb/> litischen Parteien auf sich gezogen hatten. Und daß dies namentlich nnter dem<lb/> Regiment Raumers und Mtthlers nicht bloß auf dem Gebiete der Kirche, sondern<lb/> auch der höhern Schule der Fall gewesen ist, ist uns ja in frischem Andenken.<lb/> Einige plumpe Ausfälle der Art gegen Wiese werden in der vorliegenden Schrift zur<lb/> Veranschaulichung und Erheiterung mitgeteilt, Stellen, die an die bekannte spätere<lb/> Äußerung Windthorsts erinnern, daß er nicht sowohl die Person des betreffenden<lb/> Ministers, als vielmehr seinen „Generalstab" beseitigt sehen möchte. Indes hat sich<lb/> gegen Dr. Wiese nie eine so starke Antipathie geregt wie gegen sticht. Man hatte<lb/> mehr Achtung vor ihm, vor seiner Bildung und seiner Überzeugungstreue. Im<lb/> zweiten Bande (S. 28) erzählt Wiese von einem charakteristischen Gespräch mit<lb/> Minister Falk. Minister Falk bemerkt ihm: „Ich will Ihnen sagen, was man<lb/> Ihnen oft vorgeworfen hat, es ist, daß Sie alles »ach Ihrem Kopfe machen<lb/> wollten." Wieses Erwiederung war, das wundere ihn von seinen Gegnern<lb/> durchaus nicht, der Minister möge ihm aber nur einen einzigen Fall nennen,<lb/> wo sein Verfahren Sache der Willkür oder der Rechthaberei, und nicht vielmehr<lb/> , ein pflichtmäßiges gewesen sei. Wenn, was der Minister (kurz vorher) seinen<lb/> Idealismus genannt habe, nichts als der Blick auf ein hohes Ziel und Treue<lb/> gegen erkannte Wahrheit sei, so würde er, wenn er für diese nicht mit Ent¬<lb/> schiedenheit eintrete, sondern jeden nach seinem Belieben gewähren ließe oder<lb/> es allen recht zu machen suchte, den viel schwerern Vorwurf des charakter- und<lb/> gewissenlosen Handelns verdienen. Der Minister gestand, er vermöge allerdings<lb/> keinen solchen Fall anzuführen, er wolle auch uur sagen, daß es so scheinen<lb/> könne; dabei reichte er seinem Rat die Hand.</p><lb/> <p xml:id="ID_1109" next="#ID_1110"> Dies Gefühl der Achtung verließ kaum jemand, der Wiese näher kannte.<lb/> Fast wunderbar ist die Fülle der guten Geschicke, durch die er allmählich zu<lb/> der bedeutenden Amtsstellung vorgebildet wurde, welche ihm zugedacht war. Ju<lb/> welchem Gebiet der Bildung und insbesondre der Bildungswissenschaft war er<lb/> nicht soweit eingedrungen, daß er orientirt war? Theologie, alte und neue Philo¬<lb/> logie, Literatur und Kunst, Anschanungen von der verschiedenartigsten Pädagogik<lb/> (denn was könnte verschiedner sein als die alten englischen vollsM» und die<lb/> belgischen Internate), alle diese Dinge standen ihm in umfassendster Weise zu<lb/> Gebote. Und die fast beispiellose Vielförmigkeit seiner eignen pädagogischen<lb/> Thätigkeit und Erfahrung zerstreute ihn nicht, sondern wurde zusammengefaßt<lb/> nicht sowohl durch philosophische Gliederung, als vielmehr noch wirksamer<lb/> durch eine treue Anhänglichkeit an die evangelische Wahrheit, die doch nie in<lb/> unfreie und beschränkte Orthodoxie geriet. Denn in der That zeigt die netteste<lb/> Schrift Wieses detttlich genug, was man schon aus den frühern Schriften und<lb/> aus der ganzen Entwicklung des Mannes schließen konnte, daß diejenigen ihn<lb/> nur oberflächlich kennen, die ihn als dogmatisch befangen bezeichnen. Aller¬<lb/> dings werden wir noch darauf einzugehen haben, warum wir, abgesehen von</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0382]
Ludwig Wieso und seine Amtserfahrungen.
seine Vorgesetzten bald hier, bald dort das Mißfallen der Lehrer oder der po¬
litischen Parteien auf sich gezogen hatten. Und daß dies namentlich nnter dem
Regiment Raumers und Mtthlers nicht bloß auf dem Gebiete der Kirche, sondern
auch der höhern Schule der Fall gewesen ist, ist uns ja in frischem Andenken.
Einige plumpe Ausfälle der Art gegen Wiese werden in der vorliegenden Schrift zur
Veranschaulichung und Erheiterung mitgeteilt, Stellen, die an die bekannte spätere
Äußerung Windthorsts erinnern, daß er nicht sowohl die Person des betreffenden
Ministers, als vielmehr seinen „Generalstab" beseitigt sehen möchte. Indes hat sich
gegen Dr. Wiese nie eine so starke Antipathie geregt wie gegen sticht. Man hatte
mehr Achtung vor ihm, vor seiner Bildung und seiner Überzeugungstreue. Im
zweiten Bande (S. 28) erzählt Wiese von einem charakteristischen Gespräch mit
Minister Falk. Minister Falk bemerkt ihm: „Ich will Ihnen sagen, was man
Ihnen oft vorgeworfen hat, es ist, daß Sie alles »ach Ihrem Kopfe machen
wollten." Wieses Erwiederung war, das wundere ihn von seinen Gegnern
durchaus nicht, der Minister möge ihm aber nur einen einzigen Fall nennen,
wo sein Verfahren Sache der Willkür oder der Rechthaberei, und nicht vielmehr
, ein pflichtmäßiges gewesen sei. Wenn, was der Minister (kurz vorher) seinen
Idealismus genannt habe, nichts als der Blick auf ein hohes Ziel und Treue
gegen erkannte Wahrheit sei, so würde er, wenn er für diese nicht mit Ent¬
schiedenheit eintrete, sondern jeden nach seinem Belieben gewähren ließe oder
es allen recht zu machen suchte, den viel schwerern Vorwurf des charakter- und
gewissenlosen Handelns verdienen. Der Minister gestand, er vermöge allerdings
keinen solchen Fall anzuführen, er wolle auch uur sagen, daß es so scheinen
könne; dabei reichte er seinem Rat die Hand.
Dies Gefühl der Achtung verließ kaum jemand, der Wiese näher kannte.
Fast wunderbar ist die Fülle der guten Geschicke, durch die er allmählich zu
der bedeutenden Amtsstellung vorgebildet wurde, welche ihm zugedacht war. Ju
welchem Gebiet der Bildung und insbesondre der Bildungswissenschaft war er
nicht soweit eingedrungen, daß er orientirt war? Theologie, alte und neue Philo¬
logie, Literatur und Kunst, Anschanungen von der verschiedenartigsten Pädagogik
(denn was könnte verschiedner sein als die alten englischen vollsM» und die
belgischen Internate), alle diese Dinge standen ihm in umfassendster Weise zu
Gebote. Und die fast beispiellose Vielförmigkeit seiner eignen pädagogischen
Thätigkeit und Erfahrung zerstreute ihn nicht, sondern wurde zusammengefaßt
nicht sowohl durch philosophische Gliederung, als vielmehr noch wirksamer
durch eine treue Anhänglichkeit an die evangelische Wahrheit, die doch nie in
unfreie und beschränkte Orthodoxie geriet. Denn in der That zeigt die netteste
Schrift Wieses detttlich genug, was man schon aus den frühern Schriften und
aus der ganzen Entwicklung des Mannes schließen konnte, daß diejenigen ihn
nur oberflächlich kennen, die ihn als dogmatisch befangen bezeichnen. Aller¬
dings werden wir noch darauf einzugehen haben, warum wir, abgesehen von
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