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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Buchdruck und Buchhandel im fünfzehnten Jahrhundert.

auf die eigentliche gelehrte Literatur in lateinischer Sprache erstreckte, sondern
nur die geringe Anzahl der für das Volk bestimmten deutschen Bücher traf.
Hier war es vom Standpunkte des Geschäftsmannes das Klügste, sich zu fügen.
Durch die kirchlichen Verbote versuchte mau den ketzerischen Bestrebungen nach
Kräften entgegenzutreten, rechnete aber freilich zu denselben auch die Verbreitung
des Evangeliums in den Volkssprachen. Das erste bekannte Preßmandat nach
Erfindung der Buchdruckerkunst, welches der Erzbischof von Mainz im Jahre
1485 erließ, verbot daher die Bibel in deutscher Sprache, und Koberger hat
nicht gewagt, durch eiuen Neudruck seiner Bibel von 1483 diesem Befehle ent¬
gegenzuhandeln. Erst die Übergriffe der geistlichen Zensur in das Gebiet der
Wissenschaft riefen eine Auflehnung des öffentlichen Bewußtseins gegen diese Art
der Bevormundung ins Leben, welches in dem ewig denkwürdigen Streite
Neuchlins mit dem getauften Jude" Pfefferkorn durch die leidenschaftliche Teil¬
nahme der gesamten Gelehrtenwelt zum erstenmale seine gewaltige Macht offen¬
barte. Mit erneuter Stärke trat in den Tagen der Reformation diese freiheitliche
Bewegung hervor, und weder die weltlichen uoch die geistlichen Behörden sahen
sich imstande, ihrem Fortgang auf die Dauer mit Erfolg Einhalt zu gebieten.

Die Wechselwirkung, welche wir zwischen den drei großen, einander ab¬
lösenden Geistesbcwegungen der Scholastik, des Humanismus und der Reformation
einerseits und den Erzeugnissen der Buchdrucker anderseits bemerkten, tritt uns
noch einmal deutlich entgegen, wenn wir den Vertrieb der Bücher ins Auge
fassen. Die Werke der Scholastiker fanden ihre Abnehmer zunächst in den
Kreisen der Geistlichen. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß gerade an
den Kirchenthüren die Bücher feilgeboten wurden. Da aber der römische Klerus
zu alleu Zeiten ein internationaler gewesen ist, so trug auch der früheste Buch¬
handel ein internationales Gepräge. Die lateinisch geschriebnen Werke wurden
damals von Deutschland aus über alle Kulturländer verbreitet und bereitwillig
von den Geistlichen und Universitäten der ganzen Welt entgegengenommen.

Das Aufkommen des Humanismus erweiterte zwar den Kreis der durch
den Druck vervielfältigten Geistesprodukte in ausgiebigster Weise; gleichzeitig
aber wurde durch denselben das Absatzgebiet des deutschen Buchhandels nicht
unerheblich eingeschränkt. Denn obwohl die Humanisten ganz ebenso wie die
römische Geistlichkeit die Weltsprache des Lateinischen redeten, so machten sich
doch bald unter ihnen nationale Gegensätze bemerklich, von denen anch der Buch¬
handel nicht unberührt bleiben konnte. Italien aber, die Wiege der humanistischen
Bewegung, gewann eben dadurch eiuen großen Vorsprung vor Deutschland und
errang bald auch im Buchdruck und Buchhandel eine selbständige Bedeutung.

Für diesen Ausfall brachte freilich die Reformation dem deutscheu Buch¬
handel reichlichen Ersatz, da das ganze Volk von ihr ergriffen wurde und
begierig die große Menge der durch dieselbe hervorgerufenen Flugschriften und
Traktate verschlang. Da jedoch die Literatur der Reformationszeit im wesent-


Grenzboten II. 1886. 47
Buchdruck und Buchhandel im fünfzehnten Jahrhundert.

auf die eigentliche gelehrte Literatur in lateinischer Sprache erstreckte, sondern
nur die geringe Anzahl der für das Volk bestimmten deutschen Bücher traf.
Hier war es vom Standpunkte des Geschäftsmannes das Klügste, sich zu fügen.
Durch die kirchlichen Verbote versuchte mau den ketzerischen Bestrebungen nach
Kräften entgegenzutreten, rechnete aber freilich zu denselben auch die Verbreitung
des Evangeliums in den Volkssprachen. Das erste bekannte Preßmandat nach
Erfindung der Buchdruckerkunst, welches der Erzbischof von Mainz im Jahre
1485 erließ, verbot daher die Bibel in deutscher Sprache, und Koberger hat
nicht gewagt, durch eiuen Neudruck seiner Bibel von 1483 diesem Befehle ent¬
gegenzuhandeln. Erst die Übergriffe der geistlichen Zensur in das Gebiet der
Wissenschaft riefen eine Auflehnung des öffentlichen Bewußtseins gegen diese Art
der Bevormundung ins Leben, welches in dem ewig denkwürdigen Streite
Neuchlins mit dem getauften Jude» Pfefferkorn durch die leidenschaftliche Teil¬
nahme der gesamten Gelehrtenwelt zum erstenmale seine gewaltige Macht offen¬
barte. Mit erneuter Stärke trat in den Tagen der Reformation diese freiheitliche
Bewegung hervor, und weder die weltlichen uoch die geistlichen Behörden sahen
sich imstande, ihrem Fortgang auf die Dauer mit Erfolg Einhalt zu gebieten.

Die Wechselwirkung, welche wir zwischen den drei großen, einander ab¬
lösenden Geistesbcwegungen der Scholastik, des Humanismus und der Reformation
einerseits und den Erzeugnissen der Buchdrucker anderseits bemerkten, tritt uns
noch einmal deutlich entgegen, wenn wir den Vertrieb der Bücher ins Auge
fassen. Die Werke der Scholastiker fanden ihre Abnehmer zunächst in den
Kreisen der Geistlichen. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß gerade an
den Kirchenthüren die Bücher feilgeboten wurden. Da aber der römische Klerus
zu alleu Zeiten ein internationaler gewesen ist, so trug auch der früheste Buch¬
handel ein internationales Gepräge. Die lateinisch geschriebnen Werke wurden
damals von Deutschland aus über alle Kulturländer verbreitet und bereitwillig
von den Geistlichen und Universitäten der ganzen Welt entgegengenommen.

Das Aufkommen des Humanismus erweiterte zwar den Kreis der durch
den Druck vervielfältigten Geistesprodukte in ausgiebigster Weise; gleichzeitig
aber wurde durch denselben das Absatzgebiet des deutschen Buchhandels nicht
unerheblich eingeschränkt. Denn obwohl die Humanisten ganz ebenso wie die
römische Geistlichkeit die Weltsprache des Lateinischen redeten, so machten sich
doch bald unter ihnen nationale Gegensätze bemerklich, von denen anch der Buch¬
handel nicht unberührt bleiben konnte. Italien aber, die Wiege der humanistischen
Bewegung, gewann eben dadurch eiuen großen Vorsprung vor Deutschland und
errang bald auch im Buchdruck und Buchhandel eine selbständige Bedeutung.

Für diesen Ausfall brachte freilich die Reformation dem deutscheu Buch¬
handel reichlichen Ersatz, da das ganze Volk von ihr ergriffen wurde und
begierig die große Menge der durch dieselbe hervorgerufenen Flugschriften und
Traktate verschlang. Da jedoch die Literatur der Reformationszeit im wesent-


Grenzboten II. 1886. 47
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[0377] Buchdruck und Buchhandel im fünfzehnten Jahrhundert. auf die eigentliche gelehrte Literatur in lateinischer Sprache erstreckte, sondern nur die geringe Anzahl der für das Volk bestimmten deutschen Bücher traf. Hier war es vom Standpunkte des Geschäftsmannes das Klügste, sich zu fügen. Durch die kirchlichen Verbote versuchte mau den ketzerischen Bestrebungen nach Kräften entgegenzutreten, rechnete aber freilich zu denselben auch die Verbreitung des Evangeliums in den Volkssprachen. Das erste bekannte Preßmandat nach Erfindung der Buchdruckerkunst, welches der Erzbischof von Mainz im Jahre 1485 erließ, verbot daher die Bibel in deutscher Sprache, und Koberger hat nicht gewagt, durch eiuen Neudruck seiner Bibel von 1483 diesem Befehle ent¬ gegenzuhandeln. Erst die Übergriffe der geistlichen Zensur in das Gebiet der Wissenschaft riefen eine Auflehnung des öffentlichen Bewußtseins gegen diese Art der Bevormundung ins Leben, welches in dem ewig denkwürdigen Streite Neuchlins mit dem getauften Jude» Pfefferkorn durch die leidenschaftliche Teil¬ nahme der gesamten Gelehrtenwelt zum erstenmale seine gewaltige Macht offen¬ barte. Mit erneuter Stärke trat in den Tagen der Reformation diese freiheitliche Bewegung hervor, und weder die weltlichen uoch die geistlichen Behörden sahen sich imstande, ihrem Fortgang auf die Dauer mit Erfolg Einhalt zu gebieten. Die Wechselwirkung, welche wir zwischen den drei großen, einander ab¬ lösenden Geistesbcwegungen der Scholastik, des Humanismus und der Reformation einerseits und den Erzeugnissen der Buchdrucker anderseits bemerkten, tritt uns noch einmal deutlich entgegen, wenn wir den Vertrieb der Bücher ins Auge fassen. Die Werke der Scholastiker fanden ihre Abnehmer zunächst in den Kreisen der Geistlichen. Wir dürfen uns daher nicht wundern, daß gerade an den Kirchenthüren die Bücher feilgeboten wurden. Da aber der römische Klerus zu alleu Zeiten ein internationaler gewesen ist, so trug auch der früheste Buch¬ handel ein internationales Gepräge. Die lateinisch geschriebnen Werke wurden damals von Deutschland aus über alle Kulturländer verbreitet und bereitwillig von den Geistlichen und Universitäten der ganzen Welt entgegengenommen. Das Aufkommen des Humanismus erweiterte zwar den Kreis der durch den Druck vervielfältigten Geistesprodukte in ausgiebigster Weise; gleichzeitig aber wurde durch denselben das Absatzgebiet des deutschen Buchhandels nicht unerheblich eingeschränkt. Denn obwohl die Humanisten ganz ebenso wie die römische Geistlichkeit die Weltsprache des Lateinischen redeten, so machten sich doch bald unter ihnen nationale Gegensätze bemerklich, von denen anch der Buch¬ handel nicht unberührt bleiben konnte. Italien aber, die Wiege der humanistischen Bewegung, gewann eben dadurch eiuen großen Vorsprung vor Deutschland und errang bald auch im Buchdruck und Buchhandel eine selbständige Bedeutung. Für diesen Ausfall brachte freilich die Reformation dem deutscheu Buch¬ handel reichlichen Ersatz, da das ganze Volk von ihr ergriffen wurde und begierig die große Menge der durch dieselbe hervorgerufenen Flugschriften und Traktate verschlang. Da jedoch die Literatur der Reformationszeit im wesent- Grenzboten II. 1886. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/377>, abgerufen am 04.07.2024.