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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Thätigkeit ver Einbildungskraft die spielenden Personen selbst sind, als auch
wenn sie sich eines Spielmittels bedienen, Bon ersterer Art sind die Kinder¬
spiele, wie wenn sie einander fangen; einer ist der Fänger -- diese Bedeutung
muß erst, ihn selbst umgestaltend, auf ihn übertragen werden. Hascht er einen
andern, so überträgt der erste auf den zweiten, etwa durch einen Schlag, diese
Bedeutung, der Fänger zu sein -- er selbst kehrt in den "Urständ der Natur"
zurück. Aber auch die Fangbarkcit ist keine unbedingte; gewisse Haltungen, wie
Niederhocken, Erhöhtstehen, befreien davon, nehmen also die auf den Einzelnen
übertragene Fangbarkeit weg und gestalten ihn z" einem Nichtfangbaren um.
Welcher Art diese Merkmale sind, ist ganz der subjektiven Willkür überlassen.
Diese muß aber, sobald mehrere spielen, sich über diese Punkte vereinigen und
gestaltet sich dadurch zur Regel, bleibt jedoch nichtsdestoweniger durchaus der
subjektiven umgestaltenden Thätigkeit der Einbildungskraft anheimgegeben; das
einfache Wort: "Ich spiele nicht mehr mit" hebt die Giltigkeit für den Einzelnen
auf, und sobald alle das Spiel aufgeben, fallen die Eigenschaften des Fangen¬
könnens und der Fangbarkeit sofort weg -- dieselben Kinder, die sich eben noch
gejagt und verfolgt haben, gehen jetzt ruhig nebeneinander.

Der zweite Fall setzt Spielmittel voraus. Mögen diese nun direkt der
Nntnr entnommen sein, wie Steine, mögen sie selbst erst durch Umgestaltung
hervorgebracht sein, für das Spiel werden sie erst lebendig, sobald ihnen eine
Bedeutung beigelegt wird, die ihnen von Natur aus und an und sür sich
nicht zukommt. So kann den natürlichen Steinen eine Bedeutung beigelegt
werden, die sie sür ihren Besitzer haben sollen; ebenso und viel häufiger geschieht
dies bei den künstlich zubereiteten Spielmitteln, wie den beliebten Guatem oder
steinern, dem kugelförmig gerundeten Spielmittel der Knaben. Je nach den
besondern Spielregeln und dem aus ihrer Beobachtung entstehenden besondern
Spiele können die übertragnen Bedeutungen wechseln. Dieselbe Karte, welche
den Einer darstellt, gilt in dein einen Spiel eins, in dem andern Spiele elf.
Ja innerhalb desselben Spieles erhält bei jeder Erneuerung, jeder Partie, die
Farbe und das Zeichen die stets erneuerte Bedeutung des Atonts und wechselt
damit Bedeutung und Kraft. Beides geht verloren, sobald das Spiel aus ist
und die Karten hingeworfen bedeutungslos da liegen, denn auch die ihnen aus¬
gedrückten Bilder und Zeichen haben keinen Wert an sich.

Das Gesellschaftsspiel beruht somit auf denselben Grundbedingungen wie
das ästhetische Spiel. Allein es kommt ein neuer Umstand hinzu, welcher es
dem rein ästhetischen Gebiete entzieht und auf das Gebiet des Rechtes hinüber¬
führt; das Spiel hat ein Ziel, welches sich für den einen als Gewinn, für den
oder die andern als Verlust darstellt. Es wird hierdurch Gegenspiel und veranlaßt
außer der Bethätigung der Einbildungskraft die Teilnahme des Willens, womit
die Möglichkeit einer unter der Herrschaft des Eigennutzes stehenden, sich wider¬
rechtlich äußernden Begehrlichkeit gegeben ist.


Grenzlinien II. 188", ^

Thätigkeit ver Einbildungskraft die spielenden Personen selbst sind, als auch
wenn sie sich eines Spielmittels bedienen, Bon ersterer Art sind die Kinder¬
spiele, wie wenn sie einander fangen; einer ist der Fänger — diese Bedeutung
muß erst, ihn selbst umgestaltend, auf ihn übertragen werden. Hascht er einen
andern, so überträgt der erste auf den zweiten, etwa durch einen Schlag, diese
Bedeutung, der Fänger zu sein — er selbst kehrt in den „Urständ der Natur"
zurück. Aber auch die Fangbarkcit ist keine unbedingte; gewisse Haltungen, wie
Niederhocken, Erhöhtstehen, befreien davon, nehmen also die auf den Einzelnen
übertragene Fangbarkeit weg und gestalten ihn z» einem Nichtfangbaren um.
Welcher Art diese Merkmale sind, ist ganz der subjektiven Willkür überlassen.
Diese muß aber, sobald mehrere spielen, sich über diese Punkte vereinigen und
gestaltet sich dadurch zur Regel, bleibt jedoch nichtsdestoweniger durchaus der
subjektiven umgestaltenden Thätigkeit der Einbildungskraft anheimgegeben; das
einfache Wort: „Ich spiele nicht mehr mit" hebt die Giltigkeit für den Einzelnen
auf, und sobald alle das Spiel aufgeben, fallen die Eigenschaften des Fangen¬
könnens und der Fangbarkeit sofort weg — dieselben Kinder, die sich eben noch
gejagt und verfolgt haben, gehen jetzt ruhig nebeneinander.

Der zweite Fall setzt Spielmittel voraus. Mögen diese nun direkt der
Nntnr entnommen sein, wie Steine, mögen sie selbst erst durch Umgestaltung
hervorgebracht sein, für das Spiel werden sie erst lebendig, sobald ihnen eine
Bedeutung beigelegt wird, die ihnen von Natur aus und an und sür sich
nicht zukommt. So kann den natürlichen Steinen eine Bedeutung beigelegt
werden, die sie sür ihren Besitzer haben sollen; ebenso und viel häufiger geschieht
dies bei den künstlich zubereiteten Spielmitteln, wie den beliebten Guatem oder
steinern, dem kugelförmig gerundeten Spielmittel der Knaben. Je nach den
besondern Spielregeln und dem aus ihrer Beobachtung entstehenden besondern
Spiele können die übertragnen Bedeutungen wechseln. Dieselbe Karte, welche
den Einer darstellt, gilt in dein einen Spiel eins, in dem andern Spiele elf.
Ja innerhalb desselben Spieles erhält bei jeder Erneuerung, jeder Partie, die
Farbe und das Zeichen die stets erneuerte Bedeutung des Atonts und wechselt
damit Bedeutung und Kraft. Beides geht verloren, sobald das Spiel aus ist
und die Karten hingeworfen bedeutungslos da liegen, denn auch die ihnen aus¬
gedrückten Bilder und Zeichen haben keinen Wert an sich.

Das Gesellschaftsspiel beruht somit auf denselben Grundbedingungen wie
das ästhetische Spiel. Allein es kommt ein neuer Umstand hinzu, welcher es
dem rein ästhetischen Gebiete entzieht und auf das Gebiet des Rechtes hinüber¬
führt; das Spiel hat ein Ziel, welches sich für den einen als Gewinn, für den
oder die andern als Verlust darstellt. Es wird hierdurch Gegenspiel und veranlaßt
außer der Bethätigung der Einbildungskraft die Teilnahme des Willens, womit
die Möglichkeit einer unter der Herrschaft des Eigennutzes stehenden, sich wider¬
rechtlich äußernden Begehrlichkeit gegeben ist.


Grenzlinien II. 188«, ^
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[0033] Thätigkeit ver Einbildungskraft die spielenden Personen selbst sind, als auch wenn sie sich eines Spielmittels bedienen, Bon ersterer Art sind die Kinder¬ spiele, wie wenn sie einander fangen; einer ist der Fänger — diese Bedeutung muß erst, ihn selbst umgestaltend, auf ihn übertragen werden. Hascht er einen andern, so überträgt der erste auf den zweiten, etwa durch einen Schlag, diese Bedeutung, der Fänger zu sein — er selbst kehrt in den „Urständ der Natur" zurück. Aber auch die Fangbarkcit ist keine unbedingte; gewisse Haltungen, wie Niederhocken, Erhöhtstehen, befreien davon, nehmen also die auf den Einzelnen übertragene Fangbarkeit weg und gestalten ihn z» einem Nichtfangbaren um. Welcher Art diese Merkmale sind, ist ganz der subjektiven Willkür überlassen. Diese muß aber, sobald mehrere spielen, sich über diese Punkte vereinigen und gestaltet sich dadurch zur Regel, bleibt jedoch nichtsdestoweniger durchaus der subjektiven umgestaltenden Thätigkeit der Einbildungskraft anheimgegeben; das einfache Wort: „Ich spiele nicht mehr mit" hebt die Giltigkeit für den Einzelnen auf, und sobald alle das Spiel aufgeben, fallen die Eigenschaften des Fangen¬ könnens und der Fangbarkeit sofort weg — dieselben Kinder, die sich eben noch gejagt und verfolgt haben, gehen jetzt ruhig nebeneinander. Der zweite Fall setzt Spielmittel voraus. Mögen diese nun direkt der Nntnr entnommen sein, wie Steine, mögen sie selbst erst durch Umgestaltung hervorgebracht sein, für das Spiel werden sie erst lebendig, sobald ihnen eine Bedeutung beigelegt wird, die ihnen von Natur aus und an und sür sich nicht zukommt. So kann den natürlichen Steinen eine Bedeutung beigelegt werden, die sie sür ihren Besitzer haben sollen; ebenso und viel häufiger geschieht dies bei den künstlich zubereiteten Spielmitteln, wie den beliebten Guatem oder steinern, dem kugelförmig gerundeten Spielmittel der Knaben. Je nach den besondern Spielregeln und dem aus ihrer Beobachtung entstehenden besondern Spiele können die übertragnen Bedeutungen wechseln. Dieselbe Karte, welche den Einer darstellt, gilt in dein einen Spiel eins, in dem andern Spiele elf. Ja innerhalb desselben Spieles erhält bei jeder Erneuerung, jeder Partie, die Farbe und das Zeichen die stets erneuerte Bedeutung des Atonts und wechselt damit Bedeutung und Kraft. Beides geht verloren, sobald das Spiel aus ist und die Karten hingeworfen bedeutungslos da liegen, denn auch die ihnen aus¬ gedrückten Bilder und Zeichen haben keinen Wert an sich. Das Gesellschaftsspiel beruht somit auf denselben Grundbedingungen wie das ästhetische Spiel. Allein es kommt ein neuer Umstand hinzu, welcher es dem rein ästhetischen Gebiete entzieht und auf das Gebiet des Rechtes hinüber¬ führt; das Spiel hat ein Ziel, welches sich für den einen als Gewinn, für den oder die andern als Verlust darstellt. Es wird hierdurch Gegenspiel und veranlaßt außer der Bethätigung der Einbildungskraft die Teilnahme des Willens, womit die Möglichkeit einer unter der Herrschaft des Eigennutzes stehenden, sich wider¬ rechtlich äußernden Begehrlichkeit gegeben ist. Grenzlinien II. 188«, ^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/33>, abgerufen am 29.12.2024.