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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Sobald dieser neue Umstand in das ästhetische Spiel eingetreten ist, beginnt
er mit der Freude an der Bethätigung der umgestaltenden Einbildungskraft
einen lebhaften Kampf, der allmählich dazu führt, daß von der Bethätigung
der Einbildungskraft nur uoch gleichsam das roheste Element übrig bleibt, ohne
welche ein Gegenstand überhaupt nicht mehr zum Spiele benutzt werden kann,
während das Streben nach Gewinn allein das Interesse beherrscht: das Spiel
begiebt sich auf den Weg zur Wette.

In der Entwicklung des Spieles zur Wette läßt sich verfolgen, wie in
demselben Grade, in welchem die Freude an der Bethätigung der Einbildungs¬
kraft vorwiegt, das Streben nach Gewinn zurücktritt, und wie jene abnimmt
und endlich fast ganz verschwindet, je ausschließlicher das letztere die Herrschaft
gewinnt.

Es giebt kein Gegenspiel, welches die umgestaltende Einbildungskraft in
höherem Grade in Bewegung setzte als das Schachspiel. Schon die Bedeutung,
welche den einzelnen Steinen beigelegt ivird, die damit verbundene Art der Be¬
wegung und der Kraftentfaltung ist höchst mannichfaltig. Geradezu unerschöpflich
ist aber die Möglichkeit der aus diesem Verhältnisse sich ergebenden Kombina¬
tionen, sodaß eine stete Neuheit des Verlaufs von stets gleicher Ausgangs¬
stellung die Einbildungskraft unablässig anregt. Und gerade hier genügt den
Spielern in der Regel die Thatsache des Siegen" oder des Verlierens, um die
Thätigkeit der Einbildungskraft zum Streben nach dem Gewinnen so sehr an¬
zuspornen, daß das Streben nach Gewinn wegfallen kann. Es bedürfte erst
der Professionsfpieler, welche die Betreibung dieses Spieles zu ihrer Lebens¬
aufgabe machen, um ein Spielen um Gewinn auch hier eintreten zu lassen.
Immerhin bewahrt sich auch dann dieses Spiel den Charakter der Vornehmheit,
indem auch hier die Ehre des Sieges die Hauptsache bleibt, und der ausgesetzte
Preis mehr die Bedeutung trägt, die gänzliche Hingebung eines Lebens an diesen
einen Zweck zu ermöglichen.

Das Streben nach Gewinn tritt kräftiger hervor, sobald sich die Führung
des Spieles der Berechnung mehr entzieht und sich dem Zufalle aussetzt. Bei
dem Schachspiele liegt das Spiel des Gegners ebenso offen vor wie das eigne;
die Bedingungen sind von vornherein die gleichen; nur der Vorteil des ersten
Zuges giebt eine Ungleichheit, die jedoch durch Abwechslung bei wiederholtem
Spiele sich wieder ausgleicht. Beim Kartenspiele liegt die Sache anders. Seine
Grundbedingungen sind die Unmöglichkeit, das Spiel des Gegners zu sehen,
und die durch den Zufall geleitete Ungleichheit in der Ausgangslage. Sofort
wächst auch das Streben nach Gewinn: es kommt das Versuchen des Glückes
neu hinzu, welches sür deu Gewinnsüchtigen umso verlockender ist, je weniger
es von der selbständigen Thätigkeit der Einbildungskraft abhängig ist. Zum
Spielen um Gewinn eignen sich daher diejenigen Kartenspiele am besten,
welche bei geringster Beanspruchung der Einbildungskraft zugleich und eben-


Sobald dieser neue Umstand in das ästhetische Spiel eingetreten ist, beginnt
er mit der Freude an der Bethätigung der umgestaltenden Einbildungskraft
einen lebhaften Kampf, der allmählich dazu führt, daß von der Bethätigung
der Einbildungskraft nur uoch gleichsam das roheste Element übrig bleibt, ohne
welche ein Gegenstand überhaupt nicht mehr zum Spiele benutzt werden kann,
während das Streben nach Gewinn allein das Interesse beherrscht: das Spiel
begiebt sich auf den Weg zur Wette.

In der Entwicklung des Spieles zur Wette läßt sich verfolgen, wie in
demselben Grade, in welchem die Freude an der Bethätigung der Einbildungs¬
kraft vorwiegt, das Streben nach Gewinn zurücktritt, und wie jene abnimmt
und endlich fast ganz verschwindet, je ausschließlicher das letztere die Herrschaft
gewinnt.

Es giebt kein Gegenspiel, welches die umgestaltende Einbildungskraft in
höherem Grade in Bewegung setzte als das Schachspiel. Schon die Bedeutung,
welche den einzelnen Steinen beigelegt ivird, die damit verbundene Art der Be¬
wegung und der Kraftentfaltung ist höchst mannichfaltig. Geradezu unerschöpflich
ist aber die Möglichkeit der aus diesem Verhältnisse sich ergebenden Kombina¬
tionen, sodaß eine stete Neuheit des Verlaufs von stets gleicher Ausgangs¬
stellung die Einbildungskraft unablässig anregt. Und gerade hier genügt den
Spielern in der Regel die Thatsache des Siegen« oder des Verlierens, um die
Thätigkeit der Einbildungskraft zum Streben nach dem Gewinnen so sehr an¬
zuspornen, daß das Streben nach Gewinn wegfallen kann. Es bedürfte erst
der Professionsfpieler, welche die Betreibung dieses Spieles zu ihrer Lebens¬
aufgabe machen, um ein Spielen um Gewinn auch hier eintreten zu lassen.
Immerhin bewahrt sich auch dann dieses Spiel den Charakter der Vornehmheit,
indem auch hier die Ehre des Sieges die Hauptsache bleibt, und der ausgesetzte
Preis mehr die Bedeutung trägt, die gänzliche Hingebung eines Lebens an diesen
einen Zweck zu ermöglichen.

Das Streben nach Gewinn tritt kräftiger hervor, sobald sich die Führung
des Spieles der Berechnung mehr entzieht und sich dem Zufalle aussetzt. Bei
dem Schachspiele liegt das Spiel des Gegners ebenso offen vor wie das eigne;
die Bedingungen sind von vornherein die gleichen; nur der Vorteil des ersten
Zuges giebt eine Ungleichheit, die jedoch durch Abwechslung bei wiederholtem
Spiele sich wieder ausgleicht. Beim Kartenspiele liegt die Sache anders. Seine
Grundbedingungen sind die Unmöglichkeit, das Spiel des Gegners zu sehen,
und die durch den Zufall geleitete Ungleichheit in der Ausgangslage. Sofort
wächst auch das Streben nach Gewinn: es kommt das Versuchen des Glückes
neu hinzu, welches sür deu Gewinnsüchtigen umso verlockender ist, je weniger
es von der selbständigen Thätigkeit der Einbildungskraft abhängig ist. Zum
Spielen um Gewinn eignen sich daher diejenigen Kartenspiele am besten,
welche bei geringster Beanspruchung der Einbildungskraft zugleich und eben-


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[0034] Sobald dieser neue Umstand in das ästhetische Spiel eingetreten ist, beginnt er mit der Freude an der Bethätigung der umgestaltenden Einbildungskraft einen lebhaften Kampf, der allmählich dazu führt, daß von der Bethätigung der Einbildungskraft nur uoch gleichsam das roheste Element übrig bleibt, ohne welche ein Gegenstand überhaupt nicht mehr zum Spiele benutzt werden kann, während das Streben nach Gewinn allein das Interesse beherrscht: das Spiel begiebt sich auf den Weg zur Wette. In der Entwicklung des Spieles zur Wette läßt sich verfolgen, wie in demselben Grade, in welchem die Freude an der Bethätigung der Einbildungs¬ kraft vorwiegt, das Streben nach Gewinn zurücktritt, und wie jene abnimmt und endlich fast ganz verschwindet, je ausschließlicher das letztere die Herrschaft gewinnt. Es giebt kein Gegenspiel, welches die umgestaltende Einbildungskraft in höherem Grade in Bewegung setzte als das Schachspiel. Schon die Bedeutung, welche den einzelnen Steinen beigelegt ivird, die damit verbundene Art der Be¬ wegung und der Kraftentfaltung ist höchst mannichfaltig. Geradezu unerschöpflich ist aber die Möglichkeit der aus diesem Verhältnisse sich ergebenden Kombina¬ tionen, sodaß eine stete Neuheit des Verlaufs von stets gleicher Ausgangs¬ stellung die Einbildungskraft unablässig anregt. Und gerade hier genügt den Spielern in der Regel die Thatsache des Siegen« oder des Verlierens, um die Thätigkeit der Einbildungskraft zum Streben nach dem Gewinnen so sehr an¬ zuspornen, daß das Streben nach Gewinn wegfallen kann. Es bedürfte erst der Professionsfpieler, welche die Betreibung dieses Spieles zu ihrer Lebens¬ aufgabe machen, um ein Spielen um Gewinn auch hier eintreten zu lassen. Immerhin bewahrt sich auch dann dieses Spiel den Charakter der Vornehmheit, indem auch hier die Ehre des Sieges die Hauptsache bleibt, und der ausgesetzte Preis mehr die Bedeutung trägt, die gänzliche Hingebung eines Lebens an diesen einen Zweck zu ermöglichen. Das Streben nach Gewinn tritt kräftiger hervor, sobald sich die Führung des Spieles der Berechnung mehr entzieht und sich dem Zufalle aussetzt. Bei dem Schachspiele liegt das Spiel des Gegners ebenso offen vor wie das eigne; die Bedingungen sind von vornherein die gleichen; nur der Vorteil des ersten Zuges giebt eine Ungleichheit, die jedoch durch Abwechslung bei wiederholtem Spiele sich wieder ausgleicht. Beim Kartenspiele liegt die Sache anders. Seine Grundbedingungen sind die Unmöglichkeit, das Spiel des Gegners zu sehen, und die durch den Zufall geleitete Ungleichheit in der Ausgangslage. Sofort wächst auch das Streben nach Gewinn: es kommt das Versuchen des Glückes neu hinzu, welches sür deu Gewinnsüchtigen umso verlockender ist, je weniger es von der selbständigen Thätigkeit der Einbildungskraft abhängig ist. Zum Spielen um Gewinn eignen sich daher diejenigen Kartenspiele am besten, welche bei geringster Beanspruchung der Einbildungskraft zugleich und eben-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/34>, abgerufen am 24.07.2024.