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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Straszburger Verfassungsleben.

Unter Führung des Adels wuchs Straßbnrg vom zwölften zum dreizehnten
Jahrhundert mächtig empor. Die glanzvolle Zeit der Blüte des Mittelalters
mit ihrem staunenswerten Umschwunge in Sitte und Bildung, Handel und
Verkehr, welche durch die innigere Berührung mit Italien und dem Morgen¬
lande vermittelt wurde, überstrahlte vornehmlich diesen Hauptort des fruchtbaren
reichen Obcrrheinlandes und hob ihn mit riesiger Schnellkraft zu ansehnlicher
Höhe. Die adlichen Herren wußten durch staatsmännische Geschicklichkeit die
ans dem bischöflichen Verhältnisse heraus sich entwickelnde Selbständigkeit Straß-
burgs klug zik befestigen, und als die Zeit der großen innern Umwälzungen,
das vierzehnte Jahrhundert kam, traten die neuen Herren ein nach außen ziemlich
gesichertes Erbe an. Diese Umwälzungen waren vornehmlich begründet in zwei
Ursachen: einmal in dem Erdarten der bisherigen Machthaber, der Adlichen,
und dann in dem Aufstreben der bis dahin beherrschten, der Handwerker. Eine
eigenartige Entwicklung! Bei dem Kampfe zwischen Adel und Bischof lost sich
das Handwerk von der Bischofsmacht ab. Dann stehen Adel und Handwerk
gegen den Bischof, dann Adel gegen Handwerk, bis schließlich der Inbegriff aller
Adelshoheit, das Königtum -- allerdings von außen her -- die Handwerks¬
herrlichkeit in den Sand wirft.

Der Beginn des Jahrhunderts der Umwälzungen ist zunächst durch die
Fehden des Adels gekennzeichnet, welche, wie draußen im Lande, so in der Stadt
wüteten. Hier in Straßburg waren es in erster Reihe die Familien Zorn und
Müllnheim, welche durch ihre Befehdung fast die gesamte Einwohnerschaft in
zwei feindliche Lager spalteten. Der ursprünglich Wohl um die Herrschaft in der
Stadt geführte Streit wurde dadurch vertieft, daß die große kirchenpolitische
Frage hineinspielte, welche dem Streite Kaiser Ludwigs des Baiern gegen
Friedrich von Österreich mit zu Grunde lag; die Müllnheime waren gut kaiser¬
lich, die Zorne hielten es mit der Opposition, mit dem Österreicher. Alle
Vcrsöhnungsversuche blieben fruchtlos; selbst die Erbauung einer "neuen Pfaltz"
-- eines genau in der Mitte zwischen den beiden feindlichen Hauptquartieren,
den sogenannten "Trinkstuben," liegenden neuen Rathhauses, welches für jede
der beiden Familien einen besondern Treppenaufgang erhielt") -- nützte nichts.
An dieser UnVersöhnlichkeit scheiterte schließlich das ganze adliche Regiment,
schwangen sich die bis dahin machtlosen Handwerker auf den Herrschersitz. Die
Handwerker hatten allerdings einen Vertreter bei dem den Stadtschatz im Pfennig¬
turm verwaltenden Drei-Männer-Ausschuß. Im übrigen aber war ihre Be¬
teiligung an allgemein städtischen Dingen nicht weit her. Dafür zeigte sich
der Drang nach einer Änderung immer mächtiger. Im Jahre 1303 brach sogar



*) Die "neue Psultz" stand auf dem heutigen Gutcnbcrgplatz; ein prächtiger mittelalter¬
licher Profanbau, der leider weggerissen wurde, nachdem Meister Daniel Specklin 1583 den
glänzenden Renaissancebau auf der alten GerichtsMte "bu Se. Martin," das heutige llowl
du Lommoreo, aufgerichtet hatte.
Straszburger Verfassungsleben.

Unter Führung des Adels wuchs Straßbnrg vom zwölften zum dreizehnten
Jahrhundert mächtig empor. Die glanzvolle Zeit der Blüte des Mittelalters
mit ihrem staunenswerten Umschwunge in Sitte und Bildung, Handel und
Verkehr, welche durch die innigere Berührung mit Italien und dem Morgen¬
lande vermittelt wurde, überstrahlte vornehmlich diesen Hauptort des fruchtbaren
reichen Obcrrheinlandes und hob ihn mit riesiger Schnellkraft zu ansehnlicher
Höhe. Die adlichen Herren wußten durch staatsmännische Geschicklichkeit die
ans dem bischöflichen Verhältnisse heraus sich entwickelnde Selbständigkeit Straß-
burgs klug zik befestigen, und als die Zeit der großen innern Umwälzungen,
das vierzehnte Jahrhundert kam, traten die neuen Herren ein nach außen ziemlich
gesichertes Erbe an. Diese Umwälzungen waren vornehmlich begründet in zwei
Ursachen: einmal in dem Erdarten der bisherigen Machthaber, der Adlichen,
und dann in dem Aufstreben der bis dahin beherrschten, der Handwerker. Eine
eigenartige Entwicklung! Bei dem Kampfe zwischen Adel und Bischof lost sich
das Handwerk von der Bischofsmacht ab. Dann stehen Adel und Handwerk
gegen den Bischof, dann Adel gegen Handwerk, bis schließlich der Inbegriff aller
Adelshoheit, das Königtum — allerdings von außen her — die Handwerks¬
herrlichkeit in den Sand wirft.

Der Beginn des Jahrhunderts der Umwälzungen ist zunächst durch die
Fehden des Adels gekennzeichnet, welche, wie draußen im Lande, so in der Stadt
wüteten. Hier in Straßburg waren es in erster Reihe die Familien Zorn und
Müllnheim, welche durch ihre Befehdung fast die gesamte Einwohnerschaft in
zwei feindliche Lager spalteten. Der ursprünglich Wohl um die Herrschaft in der
Stadt geführte Streit wurde dadurch vertieft, daß die große kirchenpolitische
Frage hineinspielte, welche dem Streite Kaiser Ludwigs des Baiern gegen
Friedrich von Österreich mit zu Grunde lag; die Müllnheime waren gut kaiser¬
lich, die Zorne hielten es mit der Opposition, mit dem Österreicher. Alle
Vcrsöhnungsversuche blieben fruchtlos; selbst die Erbauung einer „neuen Pfaltz"
— eines genau in der Mitte zwischen den beiden feindlichen Hauptquartieren,
den sogenannten „Trinkstuben," liegenden neuen Rathhauses, welches für jede
der beiden Familien einen besondern Treppenaufgang erhielt") — nützte nichts.
An dieser UnVersöhnlichkeit scheiterte schließlich das ganze adliche Regiment,
schwangen sich die bis dahin machtlosen Handwerker auf den Herrschersitz. Die
Handwerker hatten allerdings einen Vertreter bei dem den Stadtschatz im Pfennig¬
turm verwaltenden Drei-Männer-Ausschuß. Im übrigen aber war ihre Be¬
teiligung an allgemein städtischen Dingen nicht weit her. Dafür zeigte sich
der Drang nach einer Änderung immer mächtiger. Im Jahre 1303 brach sogar



*) Die „neue Psultz" stand auf dem heutigen Gutcnbcrgplatz; ein prächtiger mittelalter¬
licher Profanbau, der leider weggerissen wurde, nachdem Meister Daniel Specklin 1583 den
glänzenden Renaissancebau auf der alten GerichtsMte „bu Se. Martin," das heutige llowl
du Lommoreo, aufgerichtet hatte.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/306>, abgerufen am 04.07.2024.