Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Straßburger Verfassungsleben.

Stelle der Prütorenburg Se. Stephan gegründet wurde. Mit dem Bischof
aber siedelten sich in Argentvratum die Leute an, welche diesem unmittelbar
dienten und für seinen Hof arbeiteten und ans deren wachsender Gemeinschaft
der Stand der Handwerker, der spätern Herren der Stadt, wurde.

Unter der bischöflichen Oberherrlichkeit entwickelt sich dieser Stand aus
seiner Frvhnabhängigkeit heraus bedeutend, wobei der vom Tauschhandel zum
reinen Geldverkehr führende Umschwung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse
wesentlich einwirkt. Von seinem Sitze, dem Frvhnhofe ans, der ans der Stätte
des bellte unsre große Landes- und Universitätsbibliothek bergenden Schlosses
lag, gebot der Bischof der Stadt, und die Ministerialen, seine Beamten, über¬
wachten die Ausführung seiner Befehle. Dieses Machtvcrhciltnis wird durch
das älteste Straßburger Stadtrecht (1130--1140) näher umschrieben. Noch
bleibt der Bischof Oberherr der Stadt; sein Schultheiß hält unter offner Halle
"by Se. Martin" -- am heutigen Gntenbergplatze -- Gericht; seine Mi¬
nisterialen stehen je einer einem Gewerke vor. Aber gerade diese Gewerke, der
Kern der spätern Stadtbürgerschaft, zeigt eine erheblich größere Selbständigkeit.
Nicht mehr brauchen sie ausschließlich für den Bischof zu arbeiten; das loro
i'orna vonÄliuur "tnäcro, das Arbeiten auf eigne Rechnung, wird ihnen aus¬
drücklich zugestanden. Die Zunftbildung, die Grundlage der großen Verfassung,
zeigt sich hier im Keime. Die Gewerke -- als welche unter andern genannt
werden die Schwertfeger, Schmiede, Säckler, Schuster, .Kürschner, Becherer und
Wirkende -- ordnen unter Leitung der bischöflichen Ministerialen ihre geringern
Angelegenheiten selber; allen zusammen gebietet der bischöfliche Burggraf. Von
nun ab geht es aber mit der Bischofsherrlichkeit schnell bergab; der Adel nimmt
mehr und mehr die Führung der Geschäfte in die Hand und drängt, gestützt
auf die wehrhafte Kraft des aufstrebenden Handwerks, die geistliche Gewalt un¬
aufhaltsam zurück. Etwa fünfzig Jahre später hat Straßburg bereits einen
mehr oder weniger selbständigen Gemeinderat, und nach abermals hundert Jahren
giebt es in der Stadt überhaupt keinen Bischof mehr; seine Macht wird von
den streitbaren Straßbnrgern in der Schlacht bei Hausbergeu 1263 für immer
gebrochen; von da an hat er seinen Sitz ans Hvhbarr bei Zabern. Der Nach¬
folger des besiegten Bischofs, der kluge Heinrich von Geroldseck, schloß mit der
Stadt neue Verträge, konnte indes die erkämpfte Unabhängigkeit Straßburgs
nicht mehr anfechten. Man ließ zum Schein noch einen losen Zusammenhang
mit der bischöflichen Gewalt bestehen, aber beispielsweise wurde sogar schon die
höchste richterliche Entscheidimgsstelle für die Ortschaften des Bistums bei
Straßburg gelassen. Auch das Handwerk wurde freier. Nicht mehr ein Mi¬
nisteriale, sondern ein vom Burggrafen ernannter Handwerksmeister war der
Oberste im Gewerke, und nur wenige Gewerke standen unmittelbar unter dem
städtischen Rate. Im allgemeinen bildete das frühere Verhältnis des Hand¬
werks zum Bischof die Grundlage fiir die spätere Entwicklung.


Grenzten II. 1L86. 38
Straßburger Verfassungsleben.

Stelle der Prütorenburg Se. Stephan gegründet wurde. Mit dem Bischof
aber siedelten sich in Argentvratum die Leute an, welche diesem unmittelbar
dienten und für seinen Hof arbeiteten und ans deren wachsender Gemeinschaft
der Stand der Handwerker, der spätern Herren der Stadt, wurde.

Unter der bischöflichen Oberherrlichkeit entwickelt sich dieser Stand aus
seiner Frvhnabhängigkeit heraus bedeutend, wobei der vom Tauschhandel zum
reinen Geldverkehr führende Umschwung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse
wesentlich einwirkt. Von seinem Sitze, dem Frvhnhofe ans, der ans der Stätte
des bellte unsre große Landes- und Universitätsbibliothek bergenden Schlosses
lag, gebot der Bischof der Stadt, und die Ministerialen, seine Beamten, über¬
wachten die Ausführung seiner Befehle. Dieses Machtvcrhciltnis wird durch
das älteste Straßburger Stadtrecht (1130—1140) näher umschrieben. Noch
bleibt der Bischof Oberherr der Stadt; sein Schultheiß hält unter offner Halle
„by Se. Martin" — am heutigen Gntenbergplatze — Gericht; seine Mi¬
nisterialen stehen je einer einem Gewerke vor. Aber gerade diese Gewerke, der
Kern der spätern Stadtbürgerschaft, zeigt eine erheblich größere Selbständigkeit.
Nicht mehr brauchen sie ausschließlich für den Bischof zu arbeiten; das loro
i'orna vonÄliuur »tnäcro, das Arbeiten auf eigne Rechnung, wird ihnen aus¬
drücklich zugestanden. Die Zunftbildung, die Grundlage der großen Verfassung,
zeigt sich hier im Keime. Die Gewerke — als welche unter andern genannt
werden die Schwertfeger, Schmiede, Säckler, Schuster, .Kürschner, Becherer und
Wirkende — ordnen unter Leitung der bischöflichen Ministerialen ihre geringern
Angelegenheiten selber; allen zusammen gebietet der bischöfliche Burggraf. Von
nun ab geht es aber mit der Bischofsherrlichkeit schnell bergab; der Adel nimmt
mehr und mehr die Führung der Geschäfte in die Hand und drängt, gestützt
auf die wehrhafte Kraft des aufstrebenden Handwerks, die geistliche Gewalt un¬
aufhaltsam zurück. Etwa fünfzig Jahre später hat Straßburg bereits einen
mehr oder weniger selbständigen Gemeinderat, und nach abermals hundert Jahren
giebt es in der Stadt überhaupt keinen Bischof mehr; seine Macht wird von
den streitbaren Straßbnrgern in der Schlacht bei Hausbergeu 1263 für immer
gebrochen; von da an hat er seinen Sitz ans Hvhbarr bei Zabern. Der Nach¬
folger des besiegten Bischofs, der kluge Heinrich von Geroldseck, schloß mit der
Stadt neue Verträge, konnte indes die erkämpfte Unabhängigkeit Straßburgs
nicht mehr anfechten. Man ließ zum Schein noch einen losen Zusammenhang
mit der bischöflichen Gewalt bestehen, aber beispielsweise wurde sogar schon die
höchste richterliche Entscheidimgsstelle für die Ortschaften des Bistums bei
Straßburg gelassen. Auch das Handwerk wurde freier. Nicht mehr ein Mi¬
nisteriale, sondern ein vom Burggrafen ernannter Handwerksmeister war der
Oberste im Gewerke, und nur wenige Gewerke standen unmittelbar unter dem
städtischen Rate. Im allgemeinen bildete das frühere Verhältnis des Hand¬
werks zum Bischof die Grundlage fiir die spätere Entwicklung.


Grenzten II. 1L86. 38
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0305" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198371"/>
          <fw type="header" place="top"> Straßburger Verfassungsleben.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_870" prev="#ID_869"> Stelle der Prütorenburg Se. Stephan gegründet wurde. Mit dem Bischof<lb/>
aber siedelten sich in Argentvratum die Leute an, welche diesem unmittelbar<lb/>
dienten und für seinen Hof arbeiteten und ans deren wachsender Gemeinschaft<lb/>
der Stand der Handwerker, der spätern Herren der Stadt, wurde.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_871"> Unter der bischöflichen Oberherrlichkeit entwickelt sich dieser Stand aus<lb/>
seiner Frvhnabhängigkeit heraus bedeutend, wobei der vom Tauschhandel zum<lb/>
reinen Geldverkehr führende Umschwung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse<lb/>
wesentlich einwirkt. Von seinem Sitze, dem Frvhnhofe ans, der ans der Stätte<lb/>
des bellte unsre große Landes- und Universitätsbibliothek bergenden Schlosses<lb/>
lag, gebot der Bischof der Stadt, und die Ministerialen, seine Beamten, über¬<lb/>
wachten die Ausführung seiner Befehle. Dieses Machtvcrhciltnis wird durch<lb/>
das älteste Straßburger Stadtrecht (1130&#x2014;1140) näher umschrieben. Noch<lb/>
bleibt der Bischof Oberherr der Stadt; sein Schultheiß hält unter offner Halle<lb/>
&#x201E;by Se. Martin" &#x2014; am heutigen Gntenbergplatze &#x2014; Gericht; seine Mi¬<lb/>
nisterialen stehen je einer einem Gewerke vor. Aber gerade diese Gewerke, der<lb/>
Kern der spätern Stadtbürgerschaft, zeigt eine erheblich größere Selbständigkeit.<lb/>
Nicht mehr brauchen sie ausschließlich für den Bischof zu arbeiten; das loro<lb/>
i'orna vonÄliuur »tnäcro, das Arbeiten auf eigne Rechnung, wird ihnen aus¬<lb/>
drücklich zugestanden. Die Zunftbildung, die Grundlage der großen Verfassung,<lb/>
zeigt sich hier im Keime. Die Gewerke &#x2014; als welche unter andern genannt<lb/>
werden die Schwertfeger, Schmiede, Säckler, Schuster, .Kürschner, Becherer und<lb/>
Wirkende &#x2014; ordnen unter Leitung der bischöflichen Ministerialen ihre geringern<lb/>
Angelegenheiten selber; allen zusammen gebietet der bischöfliche Burggraf. Von<lb/>
nun ab geht es aber mit der Bischofsherrlichkeit schnell bergab; der Adel nimmt<lb/>
mehr und mehr die Führung der Geschäfte in die Hand und drängt, gestützt<lb/>
auf die wehrhafte Kraft des aufstrebenden Handwerks, die geistliche Gewalt un¬<lb/>
aufhaltsam zurück. Etwa fünfzig Jahre später hat Straßburg bereits einen<lb/>
mehr oder weniger selbständigen Gemeinderat, und nach abermals hundert Jahren<lb/>
giebt es in der Stadt überhaupt keinen Bischof mehr; seine Macht wird von<lb/>
den streitbaren Straßbnrgern in der Schlacht bei Hausbergeu 1263 für immer<lb/>
gebrochen; von da an hat er seinen Sitz ans Hvhbarr bei Zabern. Der Nach¬<lb/>
folger des besiegten Bischofs, der kluge Heinrich von Geroldseck, schloß mit der<lb/>
Stadt neue Verträge, konnte indes die erkämpfte Unabhängigkeit Straßburgs<lb/>
nicht mehr anfechten. Man ließ zum Schein noch einen losen Zusammenhang<lb/>
mit der bischöflichen Gewalt bestehen, aber beispielsweise wurde sogar schon die<lb/>
höchste richterliche Entscheidimgsstelle für die Ortschaften des Bistums bei<lb/>
Straßburg gelassen. Auch das Handwerk wurde freier. Nicht mehr ein Mi¬<lb/>
nisteriale, sondern ein vom Burggrafen ernannter Handwerksmeister war der<lb/>
Oberste im Gewerke, und nur wenige Gewerke standen unmittelbar unter dem<lb/>
städtischen Rate. Im allgemeinen bildete das frühere Verhältnis des Hand¬<lb/>
werks zum Bischof die Grundlage fiir die spätere Entwicklung.</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzten II. 1L86. 38</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0305] Straßburger Verfassungsleben. Stelle der Prütorenburg Se. Stephan gegründet wurde. Mit dem Bischof aber siedelten sich in Argentvratum die Leute an, welche diesem unmittelbar dienten und für seinen Hof arbeiteten und ans deren wachsender Gemeinschaft der Stand der Handwerker, der spätern Herren der Stadt, wurde. Unter der bischöflichen Oberherrlichkeit entwickelt sich dieser Stand aus seiner Frvhnabhängigkeit heraus bedeutend, wobei der vom Tauschhandel zum reinen Geldverkehr führende Umschwung der volkswirtschaftlichen Verhältnisse wesentlich einwirkt. Von seinem Sitze, dem Frvhnhofe ans, der ans der Stätte des bellte unsre große Landes- und Universitätsbibliothek bergenden Schlosses lag, gebot der Bischof der Stadt, und die Ministerialen, seine Beamten, über¬ wachten die Ausführung seiner Befehle. Dieses Machtvcrhciltnis wird durch das älteste Straßburger Stadtrecht (1130—1140) näher umschrieben. Noch bleibt der Bischof Oberherr der Stadt; sein Schultheiß hält unter offner Halle „by Se. Martin" — am heutigen Gntenbergplatze — Gericht; seine Mi¬ nisterialen stehen je einer einem Gewerke vor. Aber gerade diese Gewerke, der Kern der spätern Stadtbürgerschaft, zeigt eine erheblich größere Selbständigkeit. Nicht mehr brauchen sie ausschließlich für den Bischof zu arbeiten; das loro i'orna vonÄliuur »tnäcro, das Arbeiten auf eigne Rechnung, wird ihnen aus¬ drücklich zugestanden. Die Zunftbildung, die Grundlage der großen Verfassung, zeigt sich hier im Keime. Die Gewerke — als welche unter andern genannt werden die Schwertfeger, Schmiede, Säckler, Schuster, .Kürschner, Becherer und Wirkende — ordnen unter Leitung der bischöflichen Ministerialen ihre geringern Angelegenheiten selber; allen zusammen gebietet der bischöfliche Burggraf. Von nun ab geht es aber mit der Bischofsherrlichkeit schnell bergab; der Adel nimmt mehr und mehr die Führung der Geschäfte in die Hand und drängt, gestützt auf die wehrhafte Kraft des aufstrebenden Handwerks, die geistliche Gewalt un¬ aufhaltsam zurück. Etwa fünfzig Jahre später hat Straßburg bereits einen mehr oder weniger selbständigen Gemeinderat, und nach abermals hundert Jahren giebt es in der Stadt überhaupt keinen Bischof mehr; seine Macht wird von den streitbaren Straßbnrgern in der Schlacht bei Hausbergeu 1263 für immer gebrochen; von da an hat er seinen Sitz ans Hvhbarr bei Zabern. Der Nach¬ folger des besiegten Bischofs, der kluge Heinrich von Geroldseck, schloß mit der Stadt neue Verträge, konnte indes die erkämpfte Unabhängigkeit Straßburgs nicht mehr anfechten. Man ließ zum Schein noch einen losen Zusammenhang mit der bischöflichen Gewalt bestehen, aber beispielsweise wurde sogar schon die höchste richterliche Entscheidimgsstelle für die Ortschaften des Bistums bei Straßburg gelassen. Auch das Handwerk wurde freier. Nicht mehr ein Mi¬ nisteriale, sondern ein vom Burggrafen ernannter Handwerksmeister war der Oberste im Gewerke, und nur wenige Gewerke standen unmittelbar unter dem städtischen Rate. Im allgemeinen bildete das frühere Verhältnis des Hand¬ werks zum Bischof die Grundlage fiir die spätere Entwicklung. Grenzten II. 1L86. 38

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/305
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/305>, abgerufen am 02.07.2024.