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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Vorzug zu geben wäre. Überall ist dieselbe Kraft und Geschmeidigkeit, dasselbe
Feuer und derselbe Glanz der Diktion. Es ist viel, wenn von einem Buche
gesagt wird, daß man es gern zum zweiten oder dritten male in die Hand
nimmt; so oft man den "Menoniten" aufschlägt, legt man ihn nicht leicht eher
beiseite, als bis das Ende erreicht ist.

Bis zu diesem letzten Punkte geht uuter sachlicher Würdigung der zu
berücksichtigende!! Momente das Lob, welches ich der Wildenbruchschcu Muse
zu erteilen habe, aber darüber hinaus auch keinen Schritt weiter. Vielleicht
sogar, daß, um Mißverständnissen vorzubeugen, die gezollte Anerkennung noch
in eineni Pnnkte zu beschränken ist. Es wurde oben gesagt, daß die dichterische
Form im vorliegenden Drama überall dieselbe Höhe inne halte. Das möchte
ich jedoch nur auf die Hauptpersonen und außer ihnen vielleicht noch ans Wcil-
deniar und Henneker bezogen wissen. Es ist möglich, daß dem Dichter die
sichere Zeichnung und farbenreiche Ausmalung dieser Charaktere deshalb so gut
gelungen ist, weil ihm mit ihrem Heraustreten aus einem engen und beengenden
Rahmen in eine weitere und freiere Welt ein größerer Spielraum in Bezug
auf die Sprache gewährt war; jedenfalls bleibt die Chnraktcrisirnng der übrigen
Menoniten, wie auch die Darstellung des Menvuiteutums im allgemeinen weit
hinter jener zurück. Ja man kann sagen, daß zu einer irgend vertiefenden
Schilderung seines Wesens der Dichter kaum den Versuch gemacht hat. Aus
dem Munde seines Hauptvertreters - es ist dies neben Waldemar Justus --
kommt wenig andres als Trivialitäten. Und doch wäre hier eine schöne Ge¬
legenheit für Wildenbruch gewesen, seine poetische Begabung zu zeigen. Ich
muß an einen Roman Walter Scotts denken. Im "Herzen von Midlvthian"
ist eine der Hauptpersonen der alte David Denis, ein Nachkomme der alten
schottischen Preöbhterianer, die in einer Zeit grausamer Verfolgung und in blutigen
Kämpfen ihren Glaubenseifer und ihre Glaubenskraft bewährt haben. Wenn
nun auch der Charakter des Alten den veränderten Zeitumständen gemäß we¬
sentlich anders erscheint als der jener Glaubenshelden aus dem vorangegangenen
Jahrhundert, so hat ihn Scott doch mit fester Pinselführung so sicher gezeichnet,
hat ihn in einen so sichern Zusammenhang mit seinen Vorfahren gebracht, daß
man denken muß, es könne jeden Augenblick in dem Herzen des sonst mild
denkenden Mannes die ganze Glut des Fanatismus wieder aufflammen, in
der sich jene verzehrten. In einem ähnlichen Verhältnisse wie dieser zu den
Presbyterianern stehen die Menouiteu des Wildenbruchscheu Schauspiels zu den
Wiedertäufern der Reformationszeit. Aber Wildenbruch hat sie weder äußer¬
lich mit diesen in Verbindung gebracht, noch hat er ihnen einen Tropfen jenes
heißen Blutes gelassen, das einst ihre Vorfahren in der Verteidigung ihres
Gottesreiches vergossen haben.

Noch nach einer andern Seite hin darf ein Tadel nicht zurückgehalten
werden. So gern man die Folgerichtigkeit in der Entwicklung der Charaktere


Vorzug zu geben wäre. Überall ist dieselbe Kraft und Geschmeidigkeit, dasselbe
Feuer und derselbe Glanz der Diktion. Es ist viel, wenn von einem Buche
gesagt wird, daß man es gern zum zweiten oder dritten male in die Hand
nimmt; so oft man den „Menoniten" aufschlägt, legt man ihn nicht leicht eher
beiseite, als bis das Ende erreicht ist.

Bis zu diesem letzten Punkte geht uuter sachlicher Würdigung der zu
berücksichtigende!! Momente das Lob, welches ich der Wildenbruchschcu Muse
zu erteilen habe, aber darüber hinaus auch keinen Schritt weiter. Vielleicht
sogar, daß, um Mißverständnissen vorzubeugen, die gezollte Anerkennung noch
in eineni Pnnkte zu beschränken ist. Es wurde oben gesagt, daß die dichterische
Form im vorliegenden Drama überall dieselbe Höhe inne halte. Das möchte
ich jedoch nur auf die Hauptpersonen und außer ihnen vielleicht noch ans Wcil-
deniar und Henneker bezogen wissen. Es ist möglich, daß dem Dichter die
sichere Zeichnung und farbenreiche Ausmalung dieser Charaktere deshalb so gut
gelungen ist, weil ihm mit ihrem Heraustreten aus einem engen und beengenden
Rahmen in eine weitere und freiere Welt ein größerer Spielraum in Bezug
auf die Sprache gewährt war; jedenfalls bleibt die Chnraktcrisirnng der übrigen
Menoniten, wie auch die Darstellung des Menvuiteutums im allgemeinen weit
hinter jener zurück. Ja man kann sagen, daß zu einer irgend vertiefenden
Schilderung seines Wesens der Dichter kaum den Versuch gemacht hat. Aus
dem Munde seines Hauptvertreters - es ist dies neben Waldemar Justus —
kommt wenig andres als Trivialitäten. Und doch wäre hier eine schöne Ge¬
legenheit für Wildenbruch gewesen, seine poetische Begabung zu zeigen. Ich
muß an einen Roman Walter Scotts denken. Im „Herzen von Midlvthian"
ist eine der Hauptpersonen der alte David Denis, ein Nachkomme der alten
schottischen Preöbhterianer, die in einer Zeit grausamer Verfolgung und in blutigen
Kämpfen ihren Glaubenseifer und ihre Glaubenskraft bewährt haben. Wenn
nun auch der Charakter des Alten den veränderten Zeitumständen gemäß we¬
sentlich anders erscheint als der jener Glaubenshelden aus dem vorangegangenen
Jahrhundert, so hat ihn Scott doch mit fester Pinselführung so sicher gezeichnet,
hat ihn in einen so sichern Zusammenhang mit seinen Vorfahren gebracht, daß
man denken muß, es könne jeden Augenblick in dem Herzen des sonst mild
denkenden Mannes die ganze Glut des Fanatismus wieder aufflammen, in
der sich jene verzehrten. In einem ähnlichen Verhältnisse wie dieser zu den
Presbyterianern stehen die Menouiteu des Wildenbruchscheu Schauspiels zu den
Wiedertäufern der Reformationszeit. Aber Wildenbruch hat sie weder äußer¬
lich mit diesen in Verbindung gebracht, noch hat er ihnen einen Tropfen jenes
heißen Blutes gelassen, das einst ihre Vorfahren in der Verteidigung ihres
Gottesreiches vergossen haben.

Noch nach einer andern Seite hin darf ein Tadel nicht zurückgehalten
werden. So gern man die Folgerichtigkeit in der Entwicklung der Charaktere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/28>, abgerufen am 02.07.2024.