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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse.

Stellung mit dem Bundesrate fordert, da letzterer nicht nur Faktor der Gesetzgebung,
sondern auch zur Mitwirkung bei der Exekutive berufen ist.

Unter diesen wenig günstigen Vorbedeutungen gelangte der Entwurf an
eine Kommission. Aus dem vorliegenden gedruckten Bericht derselben ergiebt
sich ein eigentümliches, für unser Verfassungsleben interessantes Bild. Die kon¬
servative und die nationalliberale Partei waren bereit, der Regierung die weitesten
Vollmachten zu geben, um die Sache zu fördern; sie bildete" aber zusammen
nicht die Mehrheit, und so waren sie genötigt, sich nach Bundesgenossen umzu¬
sehen. Als solche hatten sie nur die Wahl zwischen Zentrum und Fortschritt.

Das Zentrum befand sich unter sehr schwacher Führung; für diese gab es
ein does noirs: die Zulassung der Jesuitenmission, welche der Reichskanzler in
der Neichstagssitzung am 28. November 1885 mit Entschiedenheit zurückgewiesen
hatte. Das Zentrum forderte deshalb eine Bestimmung über die Kultusfreiheit
und glaubte die Bundesgenossenschaft der radikalen Parteien dadurch erwerben
zu können, daß gleichzeitig eine so ausgedehnte Mitwirkung des Reichstages
für die Kolonialgcsetzgebung gefordert wurde, wie sie nicht anders erreicht worden
sein würde, als wenn sofort die Reichsverfassung auf die Schutzgebiete ausge¬
dehnt worden wäre.

Der Fortschritt, welcher in seiner weniger schroffen Seite in der Kommission
vertreten war, widerstand diesen Lockungen offenbar in der richtigen Annahme,
daß ein Scheitern der Vorlage verzweifelte Ähnlichkeit mit der Ablehnung der
Dampfersubventiou und der dritten Direktorstelle für das Auswärtige Amt
habe" würde. Die Tendenz dieser Partei lag keinesfalls in einer Begünstigung
der Kolonialpolitik, als vielmehr in dem Bestreben, für die sich in den Schutz¬
gebieten aufhaltenden Neichsnngehörigen denjenigen Rechtsschutz zu erlangen,
den dieselben im Auslande unter der Jurisdiktion der Konsuln genossen. Da¬
neben erstrebten diese Mitglieder eine Gleichstellung zwischen Bundesrat und
Reichstag.

Von diesen verschiedensten Gesichtspunkten aus regnete es eine Fülle von
Anträgen, bis es endlich den Bemühungen der Mittelparteien gelang, eine
Formel zu finden, welche den verbündeten Regierungen die Möglichkeit bot,
eine gemeinsame Grundlage zu einer Verständigung herzustellen.

Zu spät sah das Zentrum ein, daß es eine falsche Politik getrieben hatte,
und daß die Verfolgung einer Angelegenheit vom Parteistandpunkte statt von
sachlichen Beweggründen anch einmal zum Nachteil der Partei ausfallen
kann. Vergeblich bot der Abgeordnete Dr. Windthorst seine alten Taschcu-
spielerkünste auf, um die Parteien gegeneinander, den Bundesrat gegen den
Reichstag, die Mittelstaaten gegen Preußen zu verhetzen und das Gesetz zu
Falle zu bringen. Man merkte von allen Seiten die Absicht und hatte doch
Bedenken, daß der welfische Zentrumsführer verfassungstreuer und mehr für das
Wohl der deutscheu Bundesgenossen besorgt sein sollte als der Reichskanzler.


Die deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse.

Stellung mit dem Bundesrate fordert, da letzterer nicht nur Faktor der Gesetzgebung,
sondern auch zur Mitwirkung bei der Exekutive berufen ist.

Unter diesen wenig günstigen Vorbedeutungen gelangte der Entwurf an
eine Kommission. Aus dem vorliegenden gedruckten Bericht derselben ergiebt
sich ein eigentümliches, für unser Verfassungsleben interessantes Bild. Die kon¬
servative und die nationalliberale Partei waren bereit, der Regierung die weitesten
Vollmachten zu geben, um die Sache zu fördern; sie bildete» aber zusammen
nicht die Mehrheit, und so waren sie genötigt, sich nach Bundesgenossen umzu¬
sehen. Als solche hatten sie nur die Wahl zwischen Zentrum und Fortschritt.

Das Zentrum befand sich unter sehr schwacher Führung; für diese gab es
ein does noirs: die Zulassung der Jesuitenmission, welche der Reichskanzler in
der Neichstagssitzung am 28. November 1885 mit Entschiedenheit zurückgewiesen
hatte. Das Zentrum forderte deshalb eine Bestimmung über die Kultusfreiheit
und glaubte die Bundesgenossenschaft der radikalen Parteien dadurch erwerben
zu können, daß gleichzeitig eine so ausgedehnte Mitwirkung des Reichstages
für die Kolonialgcsetzgebung gefordert wurde, wie sie nicht anders erreicht worden
sein würde, als wenn sofort die Reichsverfassung auf die Schutzgebiete ausge¬
dehnt worden wäre.

Der Fortschritt, welcher in seiner weniger schroffen Seite in der Kommission
vertreten war, widerstand diesen Lockungen offenbar in der richtigen Annahme,
daß ein Scheitern der Vorlage verzweifelte Ähnlichkeit mit der Ablehnung der
Dampfersubventiou und der dritten Direktorstelle für das Auswärtige Amt
habe» würde. Die Tendenz dieser Partei lag keinesfalls in einer Begünstigung
der Kolonialpolitik, als vielmehr in dem Bestreben, für die sich in den Schutz¬
gebieten aufhaltenden Neichsnngehörigen denjenigen Rechtsschutz zu erlangen,
den dieselben im Auslande unter der Jurisdiktion der Konsuln genossen. Da¬
neben erstrebten diese Mitglieder eine Gleichstellung zwischen Bundesrat und
Reichstag.

Von diesen verschiedensten Gesichtspunkten aus regnete es eine Fülle von
Anträgen, bis es endlich den Bemühungen der Mittelparteien gelang, eine
Formel zu finden, welche den verbündeten Regierungen die Möglichkeit bot,
eine gemeinsame Grundlage zu einer Verständigung herzustellen.

Zu spät sah das Zentrum ein, daß es eine falsche Politik getrieben hatte,
und daß die Verfolgung einer Angelegenheit vom Parteistandpunkte statt von
sachlichen Beweggründen anch einmal zum Nachteil der Partei ausfallen
kann. Vergeblich bot der Abgeordnete Dr. Windthorst seine alten Taschcu-
spielerkünste auf, um die Parteien gegeneinander, den Bundesrat gegen den
Reichstag, die Mittelstaaten gegen Preußen zu verhetzen und das Gesetz zu
Falle zu bringen. Man merkte von allen Seiten die Absicht und hatte doch
Bedenken, daß der welfische Zentrumsführer verfassungstreuer und mehr für das
Wohl der deutscheu Bundesgenossen besorgt sein sollte als der Reichskanzler.


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[0269] Die deutschen Schutzgebiete und ihre Rechtsverhältnisse. Stellung mit dem Bundesrate fordert, da letzterer nicht nur Faktor der Gesetzgebung, sondern auch zur Mitwirkung bei der Exekutive berufen ist. Unter diesen wenig günstigen Vorbedeutungen gelangte der Entwurf an eine Kommission. Aus dem vorliegenden gedruckten Bericht derselben ergiebt sich ein eigentümliches, für unser Verfassungsleben interessantes Bild. Die kon¬ servative und die nationalliberale Partei waren bereit, der Regierung die weitesten Vollmachten zu geben, um die Sache zu fördern; sie bildete» aber zusammen nicht die Mehrheit, und so waren sie genötigt, sich nach Bundesgenossen umzu¬ sehen. Als solche hatten sie nur die Wahl zwischen Zentrum und Fortschritt. Das Zentrum befand sich unter sehr schwacher Führung; für diese gab es ein does noirs: die Zulassung der Jesuitenmission, welche der Reichskanzler in der Neichstagssitzung am 28. November 1885 mit Entschiedenheit zurückgewiesen hatte. Das Zentrum forderte deshalb eine Bestimmung über die Kultusfreiheit und glaubte die Bundesgenossenschaft der radikalen Parteien dadurch erwerben zu können, daß gleichzeitig eine so ausgedehnte Mitwirkung des Reichstages für die Kolonialgcsetzgebung gefordert wurde, wie sie nicht anders erreicht worden sein würde, als wenn sofort die Reichsverfassung auf die Schutzgebiete ausge¬ dehnt worden wäre. Der Fortschritt, welcher in seiner weniger schroffen Seite in der Kommission vertreten war, widerstand diesen Lockungen offenbar in der richtigen Annahme, daß ein Scheitern der Vorlage verzweifelte Ähnlichkeit mit der Ablehnung der Dampfersubventiou und der dritten Direktorstelle für das Auswärtige Amt habe» würde. Die Tendenz dieser Partei lag keinesfalls in einer Begünstigung der Kolonialpolitik, als vielmehr in dem Bestreben, für die sich in den Schutz¬ gebieten aufhaltenden Neichsnngehörigen denjenigen Rechtsschutz zu erlangen, den dieselben im Auslande unter der Jurisdiktion der Konsuln genossen. Da¬ neben erstrebten diese Mitglieder eine Gleichstellung zwischen Bundesrat und Reichstag. Von diesen verschiedensten Gesichtspunkten aus regnete es eine Fülle von Anträgen, bis es endlich den Bemühungen der Mittelparteien gelang, eine Formel zu finden, welche den verbündeten Regierungen die Möglichkeit bot, eine gemeinsame Grundlage zu einer Verständigung herzustellen. Zu spät sah das Zentrum ein, daß es eine falsche Politik getrieben hatte, und daß die Verfolgung einer Angelegenheit vom Parteistandpunkte statt von sachlichen Beweggründen anch einmal zum Nachteil der Partei ausfallen kann. Vergeblich bot der Abgeordnete Dr. Windthorst seine alten Taschcu- spielerkünste auf, um die Parteien gegeneinander, den Bundesrat gegen den Reichstag, die Mittelstaaten gegen Preußen zu verhetzen und das Gesetz zu Falle zu bringen. Man merkte von allen Seiten die Absicht und hatte doch Bedenken, daß der welfische Zentrumsführer verfassungstreuer und mehr für das Wohl der deutscheu Bundesgenossen besorgt sein sollte als der Reichskanzler.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/269>, abgerufen am 04.07.2024.