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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die deutschen Schutzgebiete und ihre RechtsvorhÄltnisse'

Ausübung der Gerichtsbarkeit in den Schutzgebieten, die Mitwirkung der in¬
ländischen Behörden hierbei und die zur Anwendung kommenden Vorschriften
des bürgerlichen Rechts und Strafrechts durch kaiserliche Verordnung geregelt
werden sollten. In der Begründung zu diesem Entwurf war der Gedanke aus¬
gesprochen, daß die Regelung der Verhältnisse in den Kolonien ausschließlich
durch kaiserliche Verordnung getroffen werden könnte, und daß nur vorliegenden
Falls wegen Mitwirkung der inländischen Gerichte der Weg der Gesetzgebung
der empfehlenswertere wäre. Überdies konnte die Negierung auf die Vorgänge in
den alten Kolonialstaaten hinweisen, in welchen ausnahmslos der Grundsatz der
unbeschränktesten Freiheit der Exekutive gilt. Selbst das englische Parlament,
welches eifersüchtig jede Angelegenheit von Bedeutung an sich zieht, hatte wegen
der Eigenartigkeit der Verhältnisse in den Kolonien davon abgestanden, auch
über diese ein Kontrvlrecht zu üben.

Wer noch zweifelhaft war über die außerordentlichen Rückschritte, welche der
nationale Gedanke seit fünfzehn Jahren gemacht hatte, der konnte sich davon im Laufe
des weitern Ganges durch einen Vergleich dieser Verhandlungen mit denen, welche
dereinst über die Einverleibung von Elsaß-Lothringen stattfanden, leicht überzeugen.

Die Blätter, welche von dem Abgeordneten I)r. Windthorst ihre Parole
empfangen, fielen wie eine Meute über den Entwurf her, indem sie einerseits
das föderalistische Prinzip der Reichsverfassung und die Rechte des Bundesrath,
anderseits die konstitutionellen Befugnisse des Reichstags für gefährdet erklärten.
Der letztere Gedanke wurde von den Blättern fortschrittlicher Färbung mit Leb¬
haftigkeit aufgegriffen und in allen Tonarten variirt. Auf die sachliche Be¬
handlung des Gegenstandes wurde nicht eingegangen; es schien, als ob bei diesem
höchst unschuldigen Gesetze das ganze Verfassungsrecht des deutschen Reiches auf
dem Spiele stehe.

Was war natürlicher, als daß zunächst der Bundesrat feine eigne Mitwirkung
in den Entwurf brachte und denselben dahin amcndirte, daß die kaiserliche Regelung
der vorliegenden Materie nur mit Zustimmung des Bundesrath erfolgen sollte.
Im Reichstage aber wurde Vonseiten des Zentrums, des Fortschritts und der
Sozicildemvkratie der Ruf laut, daß der Reichstag uicht schlechter gestellt werden
dürfe als der Bundesrat, und so verlangte die bekannte Mehrheit der Volks¬
vertretung außerdem noch die Zustimmung des Reichstages. Es liegt auf der
Hand, daß eine solche Forderung mir von denjenigen gestellt werden konnte,
welche das Gesetz zum Scheitern bringen wollten. Denn auf einem Gebiete,
wo zunächst Experimente gemacht werden müssen, wo ein Wechsel in den er¬
lassenen Verordnungen unausbleiblich ist, wo die Verwaltung genötigt ist, schritt¬
weise vorzugehen, unvermeidliche Irrtümer zu berichtigen -- aus eiueiu solchen
Gebiete den Apparat parlamentarischer Gesetzgebung zu verlangen, das heißt
eben nichts andres als die ganze Regelung der Angelegenheit hintertreiben.
Auch widerspricht es vollständig der Verfassung, wenn der Reichstag eine Gleich-


Die deutschen Schutzgebiete und ihre RechtsvorhÄltnisse'

Ausübung der Gerichtsbarkeit in den Schutzgebieten, die Mitwirkung der in¬
ländischen Behörden hierbei und die zur Anwendung kommenden Vorschriften
des bürgerlichen Rechts und Strafrechts durch kaiserliche Verordnung geregelt
werden sollten. In der Begründung zu diesem Entwurf war der Gedanke aus¬
gesprochen, daß die Regelung der Verhältnisse in den Kolonien ausschließlich
durch kaiserliche Verordnung getroffen werden könnte, und daß nur vorliegenden
Falls wegen Mitwirkung der inländischen Gerichte der Weg der Gesetzgebung
der empfehlenswertere wäre. Überdies konnte die Negierung auf die Vorgänge in
den alten Kolonialstaaten hinweisen, in welchen ausnahmslos der Grundsatz der
unbeschränktesten Freiheit der Exekutive gilt. Selbst das englische Parlament,
welches eifersüchtig jede Angelegenheit von Bedeutung an sich zieht, hatte wegen
der Eigenartigkeit der Verhältnisse in den Kolonien davon abgestanden, auch
über diese ein Kontrvlrecht zu üben.

Wer noch zweifelhaft war über die außerordentlichen Rückschritte, welche der
nationale Gedanke seit fünfzehn Jahren gemacht hatte, der konnte sich davon im Laufe
des weitern Ganges durch einen Vergleich dieser Verhandlungen mit denen, welche
dereinst über die Einverleibung von Elsaß-Lothringen stattfanden, leicht überzeugen.

Die Blätter, welche von dem Abgeordneten I)r. Windthorst ihre Parole
empfangen, fielen wie eine Meute über den Entwurf her, indem sie einerseits
das föderalistische Prinzip der Reichsverfassung und die Rechte des Bundesrath,
anderseits die konstitutionellen Befugnisse des Reichstags für gefährdet erklärten.
Der letztere Gedanke wurde von den Blättern fortschrittlicher Färbung mit Leb¬
haftigkeit aufgegriffen und in allen Tonarten variirt. Auf die sachliche Be¬
handlung des Gegenstandes wurde nicht eingegangen; es schien, als ob bei diesem
höchst unschuldigen Gesetze das ganze Verfassungsrecht des deutschen Reiches auf
dem Spiele stehe.

Was war natürlicher, als daß zunächst der Bundesrat feine eigne Mitwirkung
in den Entwurf brachte und denselben dahin amcndirte, daß die kaiserliche Regelung
der vorliegenden Materie nur mit Zustimmung des Bundesrath erfolgen sollte.
Im Reichstage aber wurde Vonseiten des Zentrums, des Fortschritts und der
Sozicildemvkratie der Ruf laut, daß der Reichstag uicht schlechter gestellt werden
dürfe als der Bundesrat, und so verlangte die bekannte Mehrheit der Volks¬
vertretung außerdem noch die Zustimmung des Reichstages. Es liegt auf der
Hand, daß eine solche Forderung mir von denjenigen gestellt werden konnte,
welche das Gesetz zum Scheitern bringen wollten. Denn auf einem Gebiete,
wo zunächst Experimente gemacht werden müssen, wo ein Wechsel in den er¬
lassenen Verordnungen unausbleiblich ist, wo die Verwaltung genötigt ist, schritt¬
weise vorzugehen, unvermeidliche Irrtümer zu berichtigen — aus eiueiu solchen
Gebiete den Apparat parlamentarischer Gesetzgebung zu verlangen, das heißt
eben nichts andres als die ganze Regelung der Angelegenheit hintertreiben.
Auch widerspricht es vollständig der Verfassung, wenn der Reichstag eine Gleich-


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[0268] Die deutschen Schutzgebiete und ihre RechtsvorhÄltnisse' Ausübung der Gerichtsbarkeit in den Schutzgebieten, die Mitwirkung der in¬ ländischen Behörden hierbei und die zur Anwendung kommenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts und Strafrechts durch kaiserliche Verordnung geregelt werden sollten. In der Begründung zu diesem Entwurf war der Gedanke aus¬ gesprochen, daß die Regelung der Verhältnisse in den Kolonien ausschließlich durch kaiserliche Verordnung getroffen werden könnte, und daß nur vorliegenden Falls wegen Mitwirkung der inländischen Gerichte der Weg der Gesetzgebung der empfehlenswertere wäre. Überdies konnte die Negierung auf die Vorgänge in den alten Kolonialstaaten hinweisen, in welchen ausnahmslos der Grundsatz der unbeschränktesten Freiheit der Exekutive gilt. Selbst das englische Parlament, welches eifersüchtig jede Angelegenheit von Bedeutung an sich zieht, hatte wegen der Eigenartigkeit der Verhältnisse in den Kolonien davon abgestanden, auch über diese ein Kontrvlrecht zu üben. Wer noch zweifelhaft war über die außerordentlichen Rückschritte, welche der nationale Gedanke seit fünfzehn Jahren gemacht hatte, der konnte sich davon im Laufe des weitern Ganges durch einen Vergleich dieser Verhandlungen mit denen, welche dereinst über die Einverleibung von Elsaß-Lothringen stattfanden, leicht überzeugen. Die Blätter, welche von dem Abgeordneten I)r. Windthorst ihre Parole empfangen, fielen wie eine Meute über den Entwurf her, indem sie einerseits das föderalistische Prinzip der Reichsverfassung und die Rechte des Bundesrath, anderseits die konstitutionellen Befugnisse des Reichstags für gefährdet erklärten. Der letztere Gedanke wurde von den Blättern fortschrittlicher Färbung mit Leb¬ haftigkeit aufgegriffen und in allen Tonarten variirt. Auf die sachliche Be¬ handlung des Gegenstandes wurde nicht eingegangen; es schien, als ob bei diesem höchst unschuldigen Gesetze das ganze Verfassungsrecht des deutschen Reiches auf dem Spiele stehe. Was war natürlicher, als daß zunächst der Bundesrat feine eigne Mitwirkung in den Entwurf brachte und denselben dahin amcndirte, daß die kaiserliche Regelung der vorliegenden Materie nur mit Zustimmung des Bundesrath erfolgen sollte. Im Reichstage aber wurde Vonseiten des Zentrums, des Fortschritts und der Sozicildemvkratie der Ruf laut, daß der Reichstag uicht schlechter gestellt werden dürfe als der Bundesrat, und so verlangte die bekannte Mehrheit der Volks¬ vertretung außerdem noch die Zustimmung des Reichstages. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Forderung mir von denjenigen gestellt werden konnte, welche das Gesetz zum Scheitern bringen wollten. Denn auf einem Gebiete, wo zunächst Experimente gemacht werden müssen, wo ein Wechsel in den er¬ lassenen Verordnungen unausbleiblich ist, wo die Verwaltung genötigt ist, schritt¬ weise vorzugehen, unvermeidliche Irrtümer zu berichtigen — aus eiueiu solchen Gebiete den Apparat parlamentarischer Gesetzgebung zu verlangen, das heißt eben nichts andres als die ganze Regelung der Angelegenheit hintertreiben. Auch widerspricht es vollständig der Verfassung, wenn der Reichstag eine Gleich-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/268>, abgerufen am 29.12.2024.