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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die russische Kaiserfamilie in Palermo. (1,3^5 -- ^6.)

Palmen- und Blumenpracht bewundern. Nur die Kammerdamen, Frau von
Rohrbeck und Fräulein von Seidewitz, gesellten sich zu uns, um unsre Freude
zu teilen.

Als wir in unserm Hotel bei Tische saßen und von der huldvoller Teil¬
nahme der Kaiserin sprachen, besuchte uns zum Kaffee ein Vorsteher der grie¬
chischen Gemeinde in Palermo und erzählte, die Kaiserin habe sich nach allen
Verhältnissen der Griechen genau erkundigt und für die Armen ein Geschenk
von hundert Piastern zurückgelassen.

Am nächsten Tage reisten die Familien wieder nach ihrem Piano zurück,
um noch lange von der Herzensgüte der Kaiserin und ihren eignen Erlebnissen
zu sprechen.

Wie leicht ist es doch solchen hohen Herrschaften gemacht, gut zu sein!

Anfangs März wurden nun die Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Da
besuchte mich eines Tages der Professor Schirö und klagte mir, daß es ihm,
trotz seiner vielen Bemühungen, nicht gelingen wolle, sein Manuskript von Seiner
Exzellenz Dr. v. Mandl zurückzuerhalten. Derselbe hätte ihn an Herrn von
Chandeau, den Sekretär der Kaiserin, gewiesen, und dieser wieder an den
Grafen Poloni'i. Der Graf hätte auf eine schriftliche Anfrage ihm durch
seine Diener sagen lassen, er wüßte von der Sache nichts und Schirm sollte
sich zum Teufel scheeren. So werde er gewiß um die Frucht einer zehnjäh¬
rigen Arbeit kommen, wenn ich ihm nicht hälfe oder wenigstens einen guten
Rat gäbe.

Ich riet ihm, nach so schlimmen Erfahrungen Geduld zu haben; ich würde
aber heute Nachmittag das Sachveryältnis der Kaiserin mitteilen.

Und so geschah es. Als die Kaiserin von der Spazierfahrt zurückkehrte,
kam sie, ehe sie in ihr Kabinet ging, zu mir heran, um mich über manches
Gesehene zu befragen. Als ich ihr die Verlegenheit des Professors Schirv
vorgetragen hatte, und wie derselbe von den hohen russischen Staatsdienern be-
handelt worden sei, erwiederte sie: "Morgen hat Chandeau bei mir Vortrag.
Sagen Sie ihm, er soll das Manuskript des Professors mitbringen; ich will
es durchsehen."

Die Exzellenzen v. Chandeau und v. Mandl wohnten mit ihren Familien
in der Trinacria. Ich war gerade bei ersterm für den Abend zum Thee ein¬
geladen und richtete sogleich bei der Begrüßung den Befehl der Kaiserin aus.
Es schien ihm unangenehm zu sein, daß ich mit der Kaiserin über das Manu¬
skript gesprochen hatte, und er ließ mich einige harte Worte hören.

Ich hielt dieselben der Reizbarkeit des alten Mannes zu Gute, erwiederte
aber bestimmt, da man meinen vieljährigen Freund, einen erprobten Ehrenmann,
so brutal behandle und die Abreise der Kaiserin nahe wäre, so hätte ich es für
meine Pflicht gehalten, mir auf dem direkten Wege Gewißheit über den Verbleib
des Manuskripts zu verschaffen.


Die russische Kaiserfamilie in Palermo. (1,3^5 — ^6.)

Palmen- und Blumenpracht bewundern. Nur die Kammerdamen, Frau von
Rohrbeck und Fräulein von Seidewitz, gesellten sich zu uns, um unsre Freude
zu teilen.

Als wir in unserm Hotel bei Tische saßen und von der huldvoller Teil¬
nahme der Kaiserin sprachen, besuchte uns zum Kaffee ein Vorsteher der grie¬
chischen Gemeinde in Palermo und erzählte, die Kaiserin habe sich nach allen
Verhältnissen der Griechen genau erkundigt und für die Armen ein Geschenk
von hundert Piastern zurückgelassen.

Am nächsten Tage reisten die Familien wieder nach ihrem Piano zurück,
um noch lange von der Herzensgüte der Kaiserin und ihren eignen Erlebnissen
zu sprechen.

Wie leicht ist es doch solchen hohen Herrschaften gemacht, gut zu sein!

Anfangs März wurden nun die Vorbereitungen zur Abreise getroffen. Da
besuchte mich eines Tages der Professor Schirö und klagte mir, daß es ihm,
trotz seiner vielen Bemühungen, nicht gelingen wolle, sein Manuskript von Seiner
Exzellenz Dr. v. Mandl zurückzuerhalten. Derselbe hätte ihn an Herrn von
Chandeau, den Sekretär der Kaiserin, gewiesen, und dieser wieder an den
Grafen Poloni'i. Der Graf hätte auf eine schriftliche Anfrage ihm durch
seine Diener sagen lassen, er wüßte von der Sache nichts und Schirm sollte
sich zum Teufel scheeren. So werde er gewiß um die Frucht einer zehnjäh¬
rigen Arbeit kommen, wenn ich ihm nicht hälfe oder wenigstens einen guten
Rat gäbe.

Ich riet ihm, nach so schlimmen Erfahrungen Geduld zu haben; ich würde
aber heute Nachmittag das Sachveryältnis der Kaiserin mitteilen.

Und so geschah es. Als die Kaiserin von der Spazierfahrt zurückkehrte,
kam sie, ehe sie in ihr Kabinet ging, zu mir heran, um mich über manches
Gesehene zu befragen. Als ich ihr die Verlegenheit des Professors Schirv
vorgetragen hatte, und wie derselbe von den hohen russischen Staatsdienern be-
handelt worden sei, erwiederte sie: „Morgen hat Chandeau bei mir Vortrag.
Sagen Sie ihm, er soll das Manuskript des Professors mitbringen; ich will
es durchsehen."

Die Exzellenzen v. Chandeau und v. Mandl wohnten mit ihren Familien
in der Trinacria. Ich war gerade bei ersterm für den Abend zum Thee ein¬
geladen und richtete sogleich bei der Begrüßung den Befehl der Kaiserin aus.
Es schien ihm unangenehm zu sein, daß ich mit der Kaiserin über das Manu¬
skript gesprochen hatte, und er ließ mich einige harte Worte hören.

Ich hielt dieselben der Reizbarkeit des alten Mannes zu Gute, erwiederte
aber bestimmt, da man meinen vieljährigen Freund, einen erprobten Ehrenmann,
so brutal behandle und die Abreise der Kaiserin nahe wäre, so hätte ich es für
meine Pflicht gehalten, mir auf dem direkten Wege Gewißheit über den Verbleib
des Manuskripts zu verschaffen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/237>, abgerufen am 03.07.2024.