Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Kampf um die Schule in Belgien.

Boden abzugewinnen. Sie brachten es allmählich dahin, daß die Zahl der von
den Gemeinden als Gemeindeschulen adoptirten Klostevschnlen sich bedeutend
verringerte. Während 1848 noch 913 solcher adoptirten Schulen bestanden,
gab es 1879 nur noch 444 derselben. Das 1879 im Juli erlassene und die
volle Verweltlichung aller Gemeindeschulen, Gymnasien, Seminare und Uni¬
versitäten bewirkende liberale Schulgesetz verbot sogar für die Zukunft alle und
jede weitere Adoption der sogenannten freien oder Klosterschulen. Bis 1879
hatte die liberale Partei nur geplänkelt und unter der Hand gearbeitet. Im
Januar des genannten Jahres erfolgte durch deu Entwurf des neuen Schul¬
gesetzes und dessen Vorlage in der Kammer durch den Minister Frere-Orban
die offene Kriegserklärung gegen die Geistlichkeit und deren höhere und niedere
Unterrichtsanstnlten. Dem Einflüsse des Priesters auf die Gemeindeschulen
wird ein Ende gemacht, der Religionsunterricht vom Lehrplane gestrichen und
durch einen Moralunterricht ersetzt, welchen der Lehrer erteilt und welcher sich
etwa auf der Grundlage eines zum Deismus verdünnten Christentumes aufbaut.
Nur das Schullokal wird den Geistlichen für ihre Religionsstunden zur Ver¬
fügung gestellt, aber es steht den Eltern frei, ihre Kinder daran teilnehmen zu
lassen oder nicht. Die Seminare werden jeder bischöflichen Inspektion entzogen,
und zugleich wird nur den Inhabern von Staatsschulseminardiplomen die Lehr¬
berechtigung an den Gemeindeschulen zugesprochen. Die Zahl dieser Seminare
wie der StaatSgymnasicn wird wesentlich vermehrt, kurz, die ganze Macht des
Staates wird gegen die unter geistlichem Schutz und geistlicher Aufsicht stehen¬
den bischöflichen Seminare, Universitäten und Klosterschulen ins Feld geführt.

Eine besondre und interessante Episode während der Beratung des neuen
Schulgesetzes wie nach dem Erlaß desselben bildet das Verhalten Papst
Leos XIII. Frere-Orden, der seine Partei, die Liberalen, zur Wicderanstellung
eines Botschafters beim Vatikan zu bestimmen vermocht hatte, rief den Papst
selbst um Hilfe an gegen die belgischen Bischöfe, welche den Schnlgesetzentwurf
sofort in.der schärfsten Weise angegriffen hatten und dadurch auf die rechte
Seite der Kammer in gefährlichster Weise einwirkten. In einem von allen
Bischöfen unterschriebnen Hirtenbriefe wird das Recht der Leitung des gesamten
Unterrichts ganz autoritär und mittelalterlich für die Kirche in Anspruch ge¬
nommen. "Die Religion aus dein Schulplan verweisen -- so lautet es in dem
Erlaß -- heißt Schulen ohne Gott schaffen; und eine von Gott unabhängige
Moral bilden, heißt das christliche Leben in seiner Wiege ersticken." Die
Gläubigen werde" aufgefordert, für die Erhaltung des Glaubens zu beten und
auszurufen: "Vor den Schulen ohne Gott und vor den Schullehrern ohne
Glauben bewahre uns, o Herr!"

Der Papst ermahnt zwar zur Mäßigung. Aber da er sich im Prinzip
mit dem Protest gegen die "religionslosen" Schulen einverstanden erklärt und
nur in der Form und sür einzelne Fälle größere Vorsicht empfiehlt, wirkt seine


Grenzbotim II. 1386, 26
Der Kampf um die Schule in Belgien.

Boden abzugewinnen. Sie brachten es allmählich dahin, daß die Zahl der von
den Gemeinden als Gemeindeschulen adoptirten Klostevschnlen sich bedeutend
verringerte. Während 1848 noch 913 solcher adoptirten Schulen bestanden,
gab es 1879 nur noch 444 derselben. Das 1879 im Juli erlassene und die
volle Verweltlichung aller Gemeindeschulen, Gymnasien, Seminare und Uni¬
versitäten bewirkende liberale Schulgesetz verbot sogar für die Zukunft alle und
jede weitere Adoption der sogenannten freien oder Klosterschulen. Bis 1879
hatte die liberale Partei nur geplänkelt und unter der Hand gearbeitet. Im
Januar des genannten Jahres erfolgte durch deu Entwurf des neuen Schul¬
gesetzes und dessen Vorlage in der Kammer durch den Minister Frere-Orban
die offene Kriegserklärung gegen die Geistlichkeit und deren höhere und niedere
Unterrichtsanstnlten. Dem Einflüsse des Priesters auf die Gemeindeschulen
wird ein Ende gemacht, der Religionsunterricht vom Lehrplane gestrichen und
durch einen Moralunterricht ersetzt, welchen der Lehrer erteilt und welcher sich
etwa auf der Grundlage eines zum Deismus verdünnten Christentumes aufbaut.
Nur das Schullokal wird den Geistlichen für ihre Religionsstunden zur Ver¬
fügung gestellt, aber es steht den Eltern frei, ihre Kinder daran teilnehmen zu
lassen oder nicht. Die Seminare werden jeder bischöflichen Inspektion entzogen,
und zugleich wird nur den Inhabern von Staatsschulseminardiplomen die Lehr¬
berechtigung an den Gemeindeschulen zugesprochen. Die Zahl dieser Seminare
wie der StaatSgymnasicn wird wesentlich vermehrt, kurz, die ganze Macht des
Staates wird gegen die unter geistlichem Schutz und geistlicher Aufsicht stehen¬
den bischöflichen Seminare, Universitäten und Klosterschulen ins Feld geführt.

Eine besondre und interessante Episode während der Beratung des neuen
Schulgesetzes wie nach dem Erlaß desselben bildet das Verhalten Papst
Leos XIII. Frere-Orden, der seine Partei, die Liberalen, zur Wicderanstellung
eines Botschafters beim Vatikan zu bestimmen vermocht hatte, rief den Papst
selbst um Hilfe an gegen die belgischen Bischöfe, welche den Schnlgesetzentwurf
sofort in.der schärfsten Weise angegriffen hatten und dadurch auf die rechte
Seite der Kammer in gefährlichster Weise einwirkten. In einem von allen
Bischöfen unterschriebnen Hirtenbriefe wird das Recht der Leitung des gesamten
Unterrichts ganz autoritär und mittelalterlich für die Kirche in Anspruch ge¬
nommen. „Die Religion aus dein Schulplan verweisen — so lautet es in dem
Erlaß — heißt Schulen ohne Gott schaffen; und eine von Gott unabhängige
Moral bilden, heißt das christliche Leben in seiner Wiege ersticken." Die
Gläubigen werde» aufgefordert, für die Erhaltung des Glaubens zu beten und
auszurufen: „Vor den Schulen ohne Gott und vor den Schullehrern ohne
Glauben bewahre uns, o Herr!"

Der Papst ermahnt zwar zur Mäßigung. Aber da er sich im Prinzip
mit dem Protest gegen die „religionslosen" Schulen einverstanden erklärt und
nur in der Form und sür einzelne Fälle größere Vorsicht empfiehlt, wirkt seine


Grenzbotim II. 1386, 26
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0209" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198275"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Kampf um die Schule in Belgien.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_549" prev="#ID_548"> Boden abzugewinnen. Sie brachten es allmählich dahin, daß die Zahl der von<lb/>
den Gemeinden als Gemeindeschulen adoptirten Klostevschnlen sich bedeutend<lb/>
verringerte. Während 1848 noch 913 solcher adoptirten Schulen bestanden,<lb/>
gab es 1879 nur noch 444 derselben. Das 1879 im Juli erlassene und die<lb/>
volle Verweltlichung aller Gemeindeschulen, Gymnasien, Seminare und Uni¬<lb/>
versitäten bewirkende liberale Schulgesetz verbot sogar für die Zukunft alle und<lb/>
jede weitere Adoption der sogenannten freien oder Klosterschulen. Bis 1879<lb/>
hatte die liberale Partei nur geplänkelt und unter der Hand gearbeitet. Im<lb/>
Januar des genannten Jahres erfolgte durch deu Entwurf des neuen Schul¬<lb/>
gesetzes und dessen Vorlage in der Kammer durch den Minister Frere-Orban<lb/>
die offene Kriegserklärung gegen die Geistlichkeit und deren höhere und niedere<lb/>
Unterrichtsanstnlten. Dem Einflüsse des Priesters auf die Gemeindeschulen<lb/>
wird ein Ende gemacht, der Religionsunterricht vom Lehrplane gestrichen und<lb/>
durch einen Moralunterricht ersetzt, welchen der Lehrer erteilt und welcher sich<lb/>
etwa auf der Grundlage eines zum Deismus verdünnten Christentumes aufbaut.<lb/>
Nur das Schullokal wird den Geistlichen für ihre Religionsstunden zur Ver¬<lb/>
fügung gestellt, aber es steht den Eltern frei, ihre Kinder daran teilnehmen zu<lb/>
lassen oder nicht. Die Seminare werden jeder bischöflichen Inspektion entzogen,<lb/>
und zugleich wird nur den Inhabern von Staatsschulseminardiplomen die Lehr¬<lb/>
berechtigung an den Gemeindeschulen zugesprochen. Die Zahl dieser Seminare<lb/>
wie der StaatSgymnasicn wird wesentlich vermehrt, kurz, die ganze Macht des<lb/>
Staates wird gegen die unter geistlichem Schutz und geistlicher Aufsicht stehen¬<lb/>
den bischöflichen Seminare, Universitäten und Klosterschulen ins Feld geführt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_550"> Eine besondre und interessante Episode während der Beratung des neuen<lb/>
Schulgesetzes wie nach dem Erlaß desselben bildet das Verhalten Papst<lb/>
Leos XIII. Frere-Orden, der seine Partei, die Liberalen, zur Wicderanstellung<lb/>
eines Botschafters beim Vatikan zu bestimmen vermocht hatte, rief den Papst<lb/>
selbst um Hilfe an gegen die belgischen Bischöfe, welche den Schnlgesetzentwurf<lb/>
sofort in.der schärfsten Weise angegriffen hatten und dadurch auf die rechte<lb/>
Seite der Kammer in gefährlichster Weise einwirkten. In einem von allen<lb/>
Bischöfen unterschriebnen Hirtenbriefe wird das Recht der Leitung des gesamten<lb/>
Unterrichts ganz autoritär und mittelalterlich für die Kirche in Anspruch ge¬<lb/>
nommen. &#x201E;Die Religion aus dein Schulplan verweisen &#x2014; so lautet es in dem<lb/>
Erlaß &#x2014; heißt Schulen ohne Gott schaffen; und eine von Gott unabhängige<lb/>
Moral bilden, heißt das christliche Leben in seiner Wiege ersticken." Die<lb/>
Gläubigen werde» aufgefordert, für die Erhaltung des Glaubens zu beten und<lb/>
auszurufen: &#x201E;Vor den Schulen ohne Gott und vor den Schullehrern ohne<lb/>
Glauben bewahre uns, o Herr!"</p><lb/>
          <p xml:id="ID_551" next="#ID_552"> Der Papst ermahnt zwar zur Mäßigung. Aber da er sich im Prinzip<lb/>
mit dem Protest gegen die &#x201E;religionslosen" Schulen einverstanden erklärt und<lb/>
nur in der Form und sür einzelne Fälle größere Vorsicht empfiehlt, wirkt seine</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzbotim II. 1386, 26</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0209] Der Kampf um die Schule in Belgien. Boden abzugewinnen. Sie brachten es allmählich dahin, daß die Zahl der von den Gemeinden als Gemeindeschulen adoptirten Klostevschnlen sich bedeutend verringerte. Während 1848 noch 913 solcher adoptirten Schulen bestanden, gab es 1879 nur noch 444 derselben. Das 1879 im Juli erlassene und die volle Verweltlichung aller Gemeindeschulen, Gymnasien, Seminare und Uni¬ versitäten bewirkende liberale Schulgesetz verbot sogar für die Zukunft alle und jede weitere Adoption der sogenannten freien oder Klosterschulen. Bis 1879 hatte die liberale Partei nur geplänkelt und unter der Hand gearbeitet. Im Januar des genannten Jahres erfolgte durch deu Entwurf des neuen Schul¬ gesetzes und dessen Vorlage in der Kammer durch den Minister Frere-Orban die offene Kriegserklärung gegen die Geistlichkeit und deren höhere und niedere Unterrichtsanstnlten. Dem Einflüsse des Priesters auf die Gemeindeschulen wird ein Ende gemacht, der Religionsunterricht vom Lehrplane gestrichen und durch einen Moralunterricht ersetzt, welchen der Lehrer erteilt und welcher sich etwa auf der Grundlage eines zum Deismus verdünnten Christentumes aufbaut. Nur das Schullokal wird den Geistlichen für ihre Religionsstunden zur Ver¬ fügung gestellt, aber es steht den Eltern frei, ihre Kinder daran teilnehmen zu lassen oder nicht. Die Seminare werden jeder bischöflichen Inspektion entzogen, und zugleich wird nur den Inhabern von Staatsschulseminardiplomen die Lehr¬ berechtigung an den Gemeindeschulen zugesprochen. Die Zahl dieser Seminare wie der StaatSgymnasicn wird wesentlich vermehrt, kurz, die ganze Macht des Staates wird gegen die unter geistlichem Schutz und geistlicher Aufsicht stehen¬ den bischöflichen Seminare, Universitäten und Klosterschulen ins Feld geführt. Eine besondre und interessante Episode während der Beratung des neuen Schulgesetzes wie nach dem Erlaß desselben bildet das Verhalten Papst Leos XIII. Frere-Orden, der seine Partei, die Liberalen, zur Wicderanstellung eines Botschafters beim Vatikan zu bestimmen vermocht hatte, rief den Papst selbst um Hilfe an gegen die belgischen Bischöfe, welche den Schnlgesetzentwurf sofort in.der schärfsten Weise angegriffen hatten und dadurch auf die rechte Seite der Kammer in gefährlichster Weise einwirkten. In einem von allen Bischöfen unterschriebnen Hirtenbriefe wird das Recht der Leitung des gesamten Unterrichts ganz autoritär und mittelalterlich für die Kirche in Anspruch ge¬ nommen. „Die Religion aus dein Schulplan verweisen — so lautet es in dem Erlaß — heißt Schulen ohne Gott schaffen; und eine von Gott unabhängige Moral bilden, heißt das christliche Leben in seiner Wiege ersticken." Die Gläubigen werde» aufgefordert, für die Erhaltung des Glaubens zu beten und auszurufen: „Vor den Schulen ohne Gott und vor den Schullehrern ohne Glauben bewahre uns, o Herr!" Der Papst ermahnt zwar zur Mäßigung. Aber da er sich im Prinzip mit dem Protest gegen die „religionslosen" Schulen einverstanden erklärt und nur in der Form und sür einzelne Fälle größere Vorsicht empfiehlt, wirkt seine Grenzbotim II. 1386, 26

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/209
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/209>, abgerufen am 24.07.2024.