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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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geordneten und Mehrheiten sind die wirksam gemachten Bannstrahlen Roms und
der Bischöfe. Die "streitende Kirche" steht jetzt kampflustiger und zuversicht¬
licher auf dem Plane als seit Jahren, und der Ausgang des Ringens ist geradezu
unheimlich zweifelhaft und besorgniserregend. Und was war der Anfang
dieses Kampfes zwischen den Liberalen oder Verfassungstreuen und den von
intransigenten und konsequenten Katholiken vorwärts getriebenen Klerikalen?
Die Schulfrage. Alle andern möglichen Streitpunkte glaubte man durch die
Verfassung von 1830 ausgeschlossen zu haben. Der Staat kannte keine bevor¬
rechtete Kirche, sondern nur religiöse Vereine. Es existirte eben deshalb kein
Konkordat zwischen Staat und Papst, es konnte somit nie Schwierigkeit ent¬
stehen über zu besetzende Bis- und Erzbistümer, über Klöster und Jesuiten, wie
z. B. in Deutschland. Der Verkehr der Bischöfe mit ihrem römischen Ober¬
haupte war vollständig ungehindert. Der Veröffentlichung der päpstlichen
Breves und Encykliken, der bischöflichen Hirtenbriefe stand Vonseiten des Staates
nicht das geringste im Wege. Die einzige, für die Kirche nicht unangenehme
Berührung mit dem Staate war der Bezug von 4^/g Millionen Franks jährlich
aus der Staatskasse zur Besoldung ihrer fünftausend Geistlichen. Auch hin¬
sichtlich der Volksschule glaubten die Gründer der Verfassung jeder künftigen
Reibung vorgebeugt zu haben, indem sie die vollständige Freiheit des Unterrichts
in derselben prvklmnirten. Allerdings war am Schlüsse des 17 ein Staats¬
unterrichtsgesetz in Aussicht gestellt. Aber der Staat beeilte sich durchaus nicht,
der Kirche und den Privatunternehmern auf dem Gebiete der Schule sonderliche
Konkurrenz zu machen.

Als im Jahre 1842 dem damaligen katholischen Ministerium die Not¬
wendigkeit einleuchtete, der thatsächlichen Anarchie des Unterrichtswesens ein
Ende zu bereiten und Musterschnlen und Staatsghmnasien in größerm Umfange
ins Leben zu rufen, mußte es sich zu Kompromissen an die katholische Geist¬
lichkeit verstehen, welche mit ihren Klosterschulen das ganze Land wie mit einem
Netze umspannt hielt. Das Schulgesetz von 1842 stellte die jetzt neben den
Klosterschulen errichteten Staats- oder Gemeindeschulen unter die Aufsicht der
Geistlichen. Dieselben hatten mittelbar durch die Gemeinderäte die Wahl der
Schullehrer in der Hand. Sie entschieden über die Wahl der Lehr- und Lese¬
bücher, der katholische Religionsunterricht stand an der Spitze des Lehrplanes,
kurz, der ganze Unterricht war konfessionell. Nichtkatholiken waren dnrch
das Gesetz von Besuch der (damals ausschließlich bischöflichen) Seminare wie
vom Lehramte in den Volksschulen geradezu ausgeschlossen. Als einige Jahre
später ein katholisches Ministerium zwei Staatsschullehrerseminare zu gründen
vorschlug, protestirte der gesamte Klerus dagegen, wie gegen eine Anmaßung
und ein Attentat auf die Rechte der katholischen Kirche. Die Liberalen, welche
1847 ans Ruder gelangten, suchten ihrerseits, soweit es ans dem Verwaltungs¬
wege geschehen konnte, den Klosterschulen zu Gunsten der Staatsschulen den


geordneten und Mehrheiten sind die wirksam gemachten Bannstrahlen Roms und
der Bischöfe. Die „streitende Kirche" steht jetzt kampflustiger und zuversicht¬
licher auf dem Plane als seit Jahren, und der Ausgang des Ringens ist geradezu
unheimlich zweifelhaft und besorgniserregend. Und was war der Anfang
dieses Kampfes zwischen den Liberalen oder Verfassungstreuen und den von
intransigenten und konsequenten Katholiken vorwärts getriebenen Klerikalen?
Die Schulfrage. Alle andern möglichen Streitpunkte glaubte man durch die
Verfassung von 1830 ausgeschlossen zu haben. Der Staat kannte keine bevor¬
rechtete Kirche, sondern nur religiöse Vereine. Es existirte eben deshalb kein
Konkordat zwischen Staat und Papst, es konnte somit nie Schwierigkeit ent¬
stehen über zu besetzende Bis- und Erzbistümer, über Klöster und Jesuiten, wie
z. B. in Deutschland. Der Verkehr der Bischöfe mit ihrem römischen Ober¬
haupte war vollständig ungehindert. Der Veröffentlichung der päpstlichen
Breves und Encykliken, der bischöflichen Hirtenbriefe stand Vonseiten des Staates
nicht das geringste im Wege. Die einzige, für die Kirche nicht unangenehme
Berührung mit dem Staate war der Bezug von 4^/g Millionen Franks jährlich
aus der Staatskasse zur Besoldung ihrer fünftausend Geistlichen. Auch hin¬
sichtlich der Volksschule glaubten die Gründer der Verfassung jeder künftigen
Reibung vorgebeugt zu haben, indem sie die vollständige Freiheit des Unterrichts
in derselben prvklmnirten. Allerdings war am Schlüsse des 17 ein Staats¬
unterrichtsgesetz in Aussicht gestellt. Aber der Staat beeilte sich durchaus nicht,
der Kirche und den Privatunternehmern auf dem Gebiete der Schule sonderliche
Konkurrenz zu machen.

Als im Jahre 1842 dem damaligen katholischen Ministerium die Not¬
wendigkeit einleuchtete, der thatsächlichen Anarchie des Unterrichtswesens ein
Ende zu bereiten und Musterschnlen und Staatsghmnasien in größerm Umfange
ins Leben zu rufen, mußte es sich zu Kompromissen an die katholische Geist¬
lichkeit verstehen, welche mit ihren Klosterschulen das ganze Land wie mit einem
Netze umspannt hielt. Das Schulgesetz von 1842 stellte die jetzt neben den
Klosterschulen errichteten Staats- oder Gemeindeschulen unter die Aufsicht der
Geistlichen. Dieselben hatten mittelbar durch die Gemeinderäte die Wahl der
Schullehrer in der Hand. Sie entschieden über die Wahl der Lehr- und Lese¬
bücher, der katholische Religionsunterricht stand an der Spitze des Lehrplanes,
kurz, der ganze Unterricht war konfessionell. Nichtkatholiken waren dnrch
das Gesetz von Besuch der (damals ausschließlich bischöflichen) Seminare wie
vom Lehramte in den Volksschulen geradezu ausgeschlossen. Als einige Jahre
später ein katholisches Ministerium zwei Staatsschullehrerseminare zu gründen
vorschlug, protestirte der gesamte Klerus dagegen, wie gegen eine Anmaßung
und ein Attentat auf die Rechte der katholischen Kirche. Die Liberalen, welche
1847 ans Ruder gelangten, suchten ihrerseits, soweit es ans dem Verwaltungs¬
wege geschehen konnte, den Klosterschulen zu Gunsten der Staatsschulen den


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[0208] geordneten und Mehrheiten sind die wirksam gemachten Bannstrahlen Roms und der Bischöfe. Die „streitende Kirche" steht jetzt kampflustiger und zuversicht¬ licher auf dem Plane als seit Jahren, und der Ausgang des Ringens ist geradezu unheimlich zweifelhaft und besorgniserregend. Und was war der Anfang dieses Kampfes zwischen den Liberalen oder Verfassungstreuen und den von intransigenten und konsequenten Katholiken vorwärts getriebenen Klerikalen? Die Schulfrage. Alle andern möglichen Streitpunkte glaubte man durch die Verfassung von 1830 ausgeschlossen zu haben. Der Staat kannte keine bevor¬ rechtete Kirche, sondern nur religiöse Vereine. Es existirte eben deshalb kein Konkordat zwischen Staat und Papst, es konnte somit nie Schwierigkeit ent¬ stehen über zu besetzende Bis- und Erzbistümer, über Klöster und Jesuiten, wie z. B. in Deutschland. Der Verkehr der Bischöfe mit ihrem römischen Ober¬ haupte war vollständig ungehindert. Der Veröffentlichung der päpstlichen Breves und Encykliken, der bischöflichen Hirtenbriefe stand Vonseiten des Staates nicht das geringste im Wege. Die einzige, für die Kirche nicht unangenehme Berührung mit dem Staate war der Bezug von 4^/g Millionen Franks jährlich aus der Staatskasse zur Besoldung ihrer fünftausend Geistlichen. Auch hin¬ sichtlich der Volksschule glaubten die Gründer der Verfassung jeder künftigen Reibung vorgebeugt zu haben, indem sie die vollständige Freiheit des Unterrichts in derselben prvklmnirten. Allerdings war am Schlüsse des 17 ein Staats¬ unterrichtsgesetz in Aussicht gestellt. Aber der Staat beeilte sich durchaus nicht, der Kirche und den Privatunternehmern auf dem Gebiete der Schule sonderliche Konkurrenz zu machen. Als im Jahre 1842 dem damaligen katholischen Ministerium die Not¬ wendigkeit einleuchtete, der thatsächlichen Anarchie des Unterrichtswesens ein Ende zu bereiten und Musterschnlen und Staatsghmnasien in größerm Umfange ins Leben zu rufen, mußte es sich zu Kompromissen an die katholische Geist¬ lichkeit verstehen, welche mit ihren Klosterschulen das ganze Land wie mit einem Netze umspannt hielt. Das Schulgesetz von 1842 stellte die jetzt neben den Klosterschulen errichteten Staats- oder Gemeindeschulen unter die Aufsicht der Geistlichen. Dieselben hatten mittelbar durch die Gemeinderäte die Wahl der Schullehrer in der Hand. Sie entschieden über die Wahl der Lehr- und Lese¬ bücher, der katholische Religionsunterricht stand an der Spitze des Lehrplanes, kurz, der ganze Unterricht war konfessionell. Nichtkatholiken waren dnrch das Gesetz von Besuch der (damals ausschließlich bischöflichen) Seminare wie vom Lehramte in den Volksschulen geradezu ausgeschlossen. Als einige Jahre später ein katholisches Ministerium zwei Staatsschullehrerseminare zu gründen vorschlug, protestirte der gesamte Klerus dagegen, wie gegen eine Anmaßung und ein Attentat auf die Rechte der katholischen Kirche. Die Liberalen, welche 1847 ans Ruder gelangten, suchten ihrerseits, soweit es ans dem Verwaltungs¬ wege geschehen konnte, den Klosterschulen zu Gunsten der Staatsschulen den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/208>, abgerufen am 24.07.2024.