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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Lamoons.

scheiden und die heiße Glut im Gesichte desselben nicht wahrzunehmen. Aber
Camoens' Stimme offenbarte ihm genug, und so sagte er nach kurzem Besinnen:

Wollt Ihr mir geloben, Luis, mich ruhig hier zu erwarten, so erspare ichs
Euch jetzt, vor deu König zu treten. Ich werde ihn wissen lassen, daß Ihr
Euch nicht völlig wohl fühlt und Euch vor ihm zeigen wollt, sobald der Druck
Eurer Lusiaden zu Ende geführt sei, oder sobald er es wünsche. Er wird nicht
anstehen, uns in Gnaden zu entlassen, und ich erachte es für einen Gewinn,
wenn wir Cintra und diesem Palaste den Rücken kehren. Haltet Euch eine
Viertelstunde hier still und laßt mich mit dem Könige sprechen,

Ihr seid und bleibt der Hilfreiche! antwortete Camoens, Thut, was Ihr
selbst für das Beste erkannt habt, Manuel, und seid gewiß, daß Ihr mich hier
findet, wie Ihr mich jetzt verlaßt, vielleicht schon um ein Teil ruhiger!

Während Barreto ohne Zögern sich in deu Saal zurückbegab, blieb Ca¬
moens still, nur von Zeit zu Zeit schwer atmend, an der steinernen Brüstung
der Terrasse stehen und versuchte uach jeuer Stelle hinzublicken, an der sich
vorhin der Glutstrcifcn gezeigt hatte. Aber mir ein blasser Schein unterschied
sich noch von dem Dunkel, welches Gärten und Thal gleichmäßig einhüllte.
Er vermied es, sich nach dem Schlosse hin zu wenden, aus dessen Fenstern
überall noch Lichtschein hervordrang. Die Bilder der letzten Tage, und vor
allem die der letzten peinvollen Stunde, drängten sich hastig durch sein Hirn,
und ans allen hervor leuchtete ihm Gesicht und Gestalt Catarinas, Umsonst
versuchte er sich jetzt zu fernen Zeiten zurückzuversetzen, wie ein Schauer durch¬
rieselte ihn die Erkenntnis, daß er in dem heißen, gliicklechzenden Traume der
letzten Tage nicht nur den kümmerlichen Frieden der Gegenwart, sondern auch
die selig-schmerzliche Erinnerung verloren habe, die ihn über das Weltmeer nud
wiederum zurück in die Heimat begleitet hatte. In tiefer Trauer stützte er das
Haupt in die Hände, und indem seine Lippen mehr als einmal den Namen
Catnrina wiederholten, wußte er selbst uicht mehr, ob es die Lebende, ob es die
Längstgeschiedene sei, an die er in diesem Augenblicke mit sich selbst hadernd dachte.

Der einsame Mann, welcher, nächtige Gedanken in der Seele, von der
Nacht umfangen dastand, konnte nicht ahnen, wie nahe ihm jenseits des Walles
von hochstämmigen Rosen, der die Terrasse nach Süden abschloß, das Fenster
war, aus dem Catariua Palmeirim zu gleicher Stunde in das Dunkel hinaus¬
sah und seiner, nicht leidvoll, nicht mit bitterm Schmerze, aber mit einer dunkeln
Empfindung dachte, welche sie selbst uicht auszudeuten wußte. Hauchte der
feucht nud schwül daherstreicheude Westwind die sehnsüchtigen Laute, mit denen
Camoens ihren Namen aussprach, dem jungen Mädchen in die Seele? oder
war es nur der Nachhall jenes scharfen, scheltenden Klanges, mit dem soeben
die Herzogin den Namen Luis Camoens genannt hatte? Catalina sah die
Züge des Dichters lebendig vor Augen, und sie schienen mit rührender Bitte
zu ihr zu sprechen.


Lamoons.

scheiden und die heiße Glut im Gesichte desselben nicht wahrzunehmen. Aber
Camoens' Stimme offenbarte ihm genug, und so sagte er nach kurzem Besinnen:

Wollt Ihr mir geloben, Luis, mich ruhig hier zu erwarten, so erspare ichs
Euch jetzt, vor deu König zu treten. Ich werde ihn wissen lassen, daß Ihr
Euch nicht völlig wohl fühlt und Euch vor ihm zeigen wollt, sobald der Druck
Eurer Lusiaden zu Ende geführt sei, oder sobald er es wünsche. Er wird nicht
anstehen, uns in Gnaden zu entlassen, und ich erachte es für einen Gewinn,
wenn wir Cintra und diesem Palaste den Rücken kehren. Haltet Euch eine
Viertelstunde hier still und laßt mich mit dem Könige sprechen,

Ihr seid und bleibt der Hilfreiche! antwortete Camoens, Thut, was Ihr
selbst für das Beste erkannt habt, Manuel, und seid gewiß, daß Ihr mich hier
findet, wie Ihr mich jetzt verlaßt, vielleicht schon um ein Teil ruhiger!

Während Barreto ohne Zögern sich in deu Saal zurückbegab, blieb Ca¬
moens still, nur von Zeit zu Zeit schwer atmend, an der steinernen Brüstung
der Terrasse stehen und versuchte uach jeuer Stelle hinzublicken, an der sich
vorhin der Glutstrcifcn gezeigt hatte. Aber mir ein blasser Schein unterschied
sich noch von dem Dunkel, welches Gärten und Thal gleichmäßig einhüllte.
Er vermied es, sich nach dem Schlosse hin zu wenden, aus dessen Fenstern
überall noch Lichtschein hervordrang. Die Bilder der letzten Tage, und vor
allem die der letzten peinvollen Stunde, drängten sich hastig durch sein Hirn,
und ans allen hervor leuchtete ihm Gesicht und Gestalt Catarinas, Umsonst
versuchte er sich jetzt zu fernen Zeiten zurückzuversetzen, wie ein Schauer durch¬
rieselte ihn die Erkenntnis, daß er in dem heißen, gliicklechzenden Traume der
letzten Tage nicht nur den kümmerlichen Frieden der Gegenwart, sondern auch
die selig-schmerzliche Erinnerung verloren habe, die ihn über das Weltmeer nud
wiederum zurück in die Heimat begleitet hatte. In tiefer Trauer stützte er das
Haupt in die Hände, und indem seine Lippen mehr als einmal den Namen
Catnrina wiederholten, wußte er selbst uicht mehr, ob es die Lebende, ob es die
Längstgeschiedene sei, an die er in diesem Augenblicke mit sich selbst hadernd dachte.

Der einsame Mann, welcher, nächtige Gedanken in der Seele, von der
Nacht umfangen dastand, konnte nicht ahnen, wie nahe ihm jenseits des Walles
von hochstämmigen Rosen, der die Terrasse nach Süden abschloß, das Fenster
war, aus dem Catariua Palmeirim zu gleicher Stunde in das Dunkel hinaus¬
sah und seiner, nicht leidvoll, nicht mit bitterm Schmerze, aber mit einer dunkeln
Empfindung dachte, welche sie selbst uicht auszudeuten wußte. Hauchte der
feucht nud schwül daherstreicheude Westwind die sehnsüchtigen Laute, mit denen
Camoens ihren Namen aussprach, dem jungen Mädchen in die Seele? oder
war es nur der Nachhall jenes scharfen, scheltenden Klanges, mit dem soeben
die Herzogin den Namen Luis Camoens genannt hatte? Catalina sah die
Züge des Dichters lebendig vor Augen, und sie schienen mit rührender Bitte
zu ihr zu sprechen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/195>, abgerufen am 22.07.2024.