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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Die naturalistische Schule in Deutschland.

ähnlichen Anwandlungen als Elefant gedient, sie wähnt sonach, daß die Sache
schwerlich zum dauernden Bruch Mariannas mit ihrem Gemahl führen werde.
Besagter Gemahl wird jedoch leider durch die heimlichen Berichte der Zofe
Mariannas, durch ein ihm in die Hände gespieltes freches Gedicht eines französischen
Anbeters der Gemahlin (eines Anbeters übrigens, den Marianna eben nicht zu
beglttckeu beliebt) im fernen Marienbad in so krankhafte Aufregung versetzt, daß
er den ersten Schnellzug besteigt und nach München zurückdampft, um dort
genau in dem Augenblicke einzutreffen, in welchem sich Marianna mit dem Doktor
Mikoras in ihr Schlafzimmer zurückgezogen hat. Bei den zuvor umständlicher
dargelegten Gesundheitsverhältnisseu des guten dicken Karl ist es kein Wunder,
daß ihn vor der Schwelle seiner Wohnung ein Blutsturz tötet. Ein schrecklicher
Fall; doch hat der Erzähler zuvor gründlich dafür gesorgt, daß auch die leiseste
Teilnahme am Schicksal dieses unseligen Hahnrei nicht aufkommen kann. Die
Charakteristik, welche die liebevolle Gattin von ihrem Gemahl giebt, gipfelt
darin, daß er seiner Zeit eine Passion für Pferde affektirt und bei Roßtäuschern
und Wettrennen große Summen verspielt hat, sich aber mit seiner Pferdekenntnis
vom dümmsten Reitknecht auslachen lassen muß und seine Kunstliebe damit er¬
wiesen hat, daß er ehemals einige Mädchen vom Ballet aushielt. Doch der
Verfasser läßt uns tiefer in Wesen und Seele seines Helden blicken. Wie er
am Morgen in seinem Hotel in Marienbad auf die Post wartet, welche ihm
Nachrichten von seiner "heißgeliebten" Marianna bringen soll, ein Glas Wasser
nach dem andern trinkt und bei dem "verteufelten Gesöff" bedenken muß, daß
es Hvfbräuhausbier und Rheinwein und Champagner auf der Welt giebt, und
daß man die Mittel in Fülle und Hülle hat, um sich von allem das Beste
leisten zu können, wie er bedenkt, daß ihm die Primadonnina des Marienbader
Theaters doch recht süße Augen gemacht, als er ihr nach der "Afrikareise" einen
kostbaren Kranz mit ellenlangen Atlasschleifen und Goldfranzen überreichen ließ,
da überwältigt ihn, kurwidrig genug, seine eigne alte Natur.

"Karl konnte doch ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er sich so diesen
Abend der Afrikareise durch die Erinnerung streichen ließ. Der fürchterliche"
Hitze wegen vermochte er natürlich nur eine Auswahl von Szenen mit anzu¬
sehen. Er wandelte in der Nachtkühle vor dem Hause auf und ab und ein gut
eingeschulter Aufpasser mußte ihm immer sagen: "Jetzt kommts!" damit er
rechtzeitig sich in die etwas gelüstete und auf seine spezielle Anweisung
parfümirte Parterreloge hart an der Bühne drücken konnte. Die Primadonnina
hatte wahrhaftig nur Augen für ihn, sobald er in der reservieren Loge er¬
schien; jede ihrer lüsternen Gesten war auf sein persönliches Verständnis hinaus¬
gespielt. Wie er dann hinter die Coulissen zu ihr trat und sie ihre beiden
Hände auf seine Schultern legte und ihr kaum verhüllter Busen ihm vor der
Nase wogte, da ging ein merkwürdig erregender Duft von Schweiß und Schminke
und Gesundheit von ihr aus, der prickelnde väor all köinining., wie es die


Die naturalistische Schule in Deutschland.

ähnlichen Anwandlungen als Elefant gedient, sie wähnt sonach, daß die Sache
schwerlich zum dauernden Bruch Mariannas mit ihrem Gemahl führen werde.
Besagter Gemahl wird jedoch leider durch die heimlichen Berichte der Zofe
Mariannas, durch ein ihm in die Hände gespieltes freches Gedicht eines französischen
Anbeters der Gemahlin (eines Anbeters übrigens, den Marianna eben nicht zu
beglttckeu beliebt) im fernen Marienbad in so krankhafte Aufregung versetzt, daß
er den ersten Schnellzug besteigt und nach München zurückdampft, um dort
genau in dem Augenblicke einzutreffen, in welchem sich Marianna mit dem Doktor
Mikoras in ihr Schlafzimmer zurückgezogen hat. Bei den zuvor umständlicher
dargelegten Gesundheitsverhältnisseu des guten dicken Karl ist es kein Wunder,
daß ihn vor der Schwelle seiner Wohnung ein Blutsturz tötet. Ein schrecklicher
Fall; doch hat der Erzähler zuvor gründlich dafür gesorgt, daß auch die leiseste
Teilnahme am Schicksal dieses unseligen Hahnrei nicht aufkommen kann. Die
Charakteristik, welche die liebevolle Gattin von ihrem Gemahl giebt, gipfelt
darin, daß er seiner Zeit eine Passion für Pferde affektirt und bei Roßtäuschern
und Wettrennen große Summen verspielt hat, sich aber mit seiner Pferdekenntnis
vom dümmsten Reitknecht auslachen lassen muß und seine Kunstliebe damit er¬
wiesen hat, daß er ehemals einige Mädchen vom Ballet aushielt. Doch der
Verfasser läßt uns tiefer in Wesen und Seele seines Helden blicken. Wie er
am Morgen in seinem Hotel in Marienbad auf die Post wartet, welche ihm
Nachrichten von seiner „heißgeliebten" Marianna bringen soll, ein Glas Wasser
nach dem andern trinkt und bei dem „verteufelten Gesöff" bedenken muß, daß
es Hvfbräuhausbier und Rheinwein und Champagner auf der Welt giebt, und
daß man die Mittel in Fülle und Hülle hat, um sich von allem das Beste
leisten zu können, wie er bedenkt, daß ihm die Primadonnina des Marienbader
Theaters doch recht süße Augen gemacht, als er ihr nach der „Afrikareise" einen
kostbaren Kranz mit ellenlangen Atlasschleifen und Goldfranzen überreichen ließ,
da überwältigt ihn, kurwidrig genug, seine eigne alte Natur.

„Karl konnte doch ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er sich so diesen
Abend der Afrikareise durch die Erinnerung streichen ließ. Der fürchterliche«
Hitze wegen vermochte er natürlich nur eine Auswahl von Szenen mit anzu¬
sehen. Er wandelte in der Nachtkühle vor dem Hause auf und ab und ein gut
eingeschulter Aufpasser mußte ihm immer sagen: „Jetzt kommts!" damit er
rechtzeitig sich in die etwas gelüstete und auf seine spezielle Anweisung
parfümirte Parterreloge hart an der Bühne drücken konnte. Die Primadonnina
hatte wahrhaftig nur Augen für ihn, sobald er in der reservieren Loge er¬
schien; jede ihrer lüsternen Gesten war auf sein persönliches Verständnis hinaus¬
gespielt. Wie er dann hinter die Coulissen zu ihr trat und sie ihre beiden
Hände auf seine Schultern legte und ihr kaum verhüllter Busen ihm vor der
Nase wogte, da ging ein merkwürdig erregender Duft von Schweiß und Schminke
und Gesundheit von ihr aus, der prickelnde väor all köinining., wie es die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/187>, abgerufen am 02.07.2024.