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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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wichtiges Anzeichen dafür, daß in dem Programme der totgeschwiegenen Partei
doch etwas liegen muß, was Beachtung aller echt nationalen Parteien
verdient.

Die fragliche Partei nun geht von der Überzeugung ans, daß die gegenwärtige
Autonomie der beliebig, vielfach sehr unnatürlich abgegrenzten Länder grundsätzlich
zu verwerfen sei. Die Gruppirungen sollen nicht nach Ländern, sondern nach
Nationalitäten nen hergestellt werden. Die Nationen, wie sie sind, nicht aber
ihre geschichtlich berechtigten oder nicht berechtigten Ansprüche, sollen hierbei
allein entscheiden.

Um bei den im Neichsrate vertretenen Nationen zu bleiben, sollen nach
diesem Grundsatze die Deutschen aller Länder Cisleithaniens durch eine ein¬
zige autonome Körperschaft vertreten werden. Ebenso sollen die Tschechen Böh¬
mens, Mährens, Schlesiens gleichfalls eine einzige Gesamtgruppe bilden n. s. w.
Diese Körperschaften, welche rein nach dem Nationalitätsprinzip zu stände kämen,
hätten die Aufgabe, jeden Volksstamm in seinen besondern nationalen Interessen
zu vertreten, also eine Autonomie für sich zu beanspruchen, wie sie vergleichungs-
weise den gegenwärtigen Landtagen zukommt. Dort, wo innerhalb ein und
derselben Nationalität verschiedne auseinandergehende Interessen, z. B. in kirch¬
lichen Angelegenheiten vorhanden sind, ferner dort, wo die Volksstümme auch
geographisch eine große Ausdehnung haben oder weit auseinander liegen, können
für dieselbe nationale Gruppe Kreistage und neben ihnen Kreisregiernngen ge¬
schaffen werden.

Auf diese Weise bekäme mau sozusagen Nativnallandtage mit einer echt
nationalen Autonomie, und das Zentralparlament, welches anch nach diesem
Programme notwendig erscheint, hätte hiernach nur die wirklich gemeinschaftlichen
Reichsangelegenheiten zu verhandeln.

Dieselbe Partei, die man mit Fug und Recht als diejenige der National-
autouvmisten bezeichnen könnte, ist dadurch, daß sie die wichtigsten Staatsinter¬
essen dem Zentralparlamcnte zur Verhandlung überläßt, prinzipiell gegen jede
Schwächung des Staates dnrch autonome Gewalten nach Art der Bestrebungen
der bisherigen Länderantonomisten; die Partei ist zentralistisch gesinnt und
perhorreszirt jedwede Art des Föderalismus.

Nach diesem Programme würden sich die einzelnen Nationalitäten frei ent¬
wickeln können, ohne durch Mehrheiten andrer Stämme vergewaltigt zu werden,
und die Völker würden sich, da ihre nationale Existenz nicht gefährdet erschiene,
kräftig entfalten und das Reich selbst dnrch sie erstarken können.

Die Partei, die sich zu einem solchen Programme bekennt, läßt auch das
Deutsche als Staatssprache gelten, wo immer die Rcichsinteressen es er¬
fordern.

Damit würde den nationalen Kämpfen auf einmal ein Ende gemacht sein,
und die Deutschen hätten doch vor den übrigen Nationen den Vorrang. Einen


wichtiges Anzeichen dafür, daß in dem Programme der totgeschwiegenen Partei
doch etwas liegen muß, was Beachtung aller echt nationalen Parteien
verdient.

Die fragliche Partei nun geht von der Überzeugung ans, daß die gegenwärtige
Autonomie der beliebig, vielfach sehr unnatürlich abgegrenzten Länder grundsätzlich
zu verwerfen sei. Die Gruppirungen sollen nicht nach Ländern, sondern nach
Nationalitäten nen hergestellt werden. Die Nationen, wie sie sind, nicht aber
ihre geschichtlich berechtigten oder nicht berechtigten Ansprüche, sollen hierbei
allein entscheiden.

Um bei den im Neichsrate vertretenen Nationen zu bleiben, sollen nach
diesem Grundsatze die Deutschen aller Länder Cisleithaniens durch eine ein¬
zige autonome Körperschaft vertreten werden. Ebenso sollen die Tschechen Böh¬
mens, Mährens, Schlesiens gleichfalls eine einzige Gesamtgruppe bilden n. s. w.
Diese Körperschaften, welche rein nach dem Nationalitätsprinzip zu stände kämen,
hätten die Aufgabe, jeden Volksstamm in seinen besondern nationalen Interessen
zu vertreten, also eine Autonomie für sich zu beanspruchen, wie sie vergleichungs-
weise den gegenwärtigen Landtagen zukommt. Dort, wo innerhalb ein und
derselben Nationalität verschiedne auseinandergehende Interessen, z. B. in kirch¬
lichen Angelegenheiten vorhanden sind, ferner dort, wo die Volksstümme auch
geographisch eine große Ausdehnung haben oder weit auseinander liegen, können
für dieselbe nationale Gruppe Kreistage und neben ihnen Kreisregiernngen ge¬
schaffen werden.

Auf diese Weise bekäme mau sozusagen Nativnallandtage mit einer echt
nationalen Autonomie, und das Zentralparlament, welches anch nach diesem
Programme notwendig erscheint, hätte hiernach nur die wirklich gemeinschaftlichen
Reichsangelegenheiten zu verhandeln.

Dieselbe Partei, die man mit Fug und Recht als diejenige der National-
autouvmisten bezeichnen könnte, ist dadurch, daß sie die wichtigsten Staatsinter¬
essen dem Zentralparlamcnte zur Verhandlung überläßt, prinzipiell gegen jede
Schwächung des Staates dnrch autonome Gewalten nach Art der Bestrebungen
der bisherigen Länderantonomisten; die Partei ist zentralistisch gesinnt und
perhorreszirt jedwede Art des Föderalismus.

Nach diesem Programme würden sich die einzelnen Nationalitäten frei ent¬
wickeln können, ohne durch Mehrheiten andrer Stämme vergewaltigt zu werden,
und die Völker würden sich, da ihre nationale Existenz nicht gefährdet erschiene,
kräftig entfalten und das Reich selbst dnrch sie erstarken können.

Die Partei, die sich zu einem solchen Programme bekennt, läßt auch das
Deutsche als Staatssprache gelten, wo immer die Rcichsinteressen es er¬
fordern.

Damit würde den nationalen Kämpfen auf einmal ein Ende gemacht sein,
und die Deutschen hätten doch vor den übrigen Nationen den Vorrang. Einen


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[0018] wichtiges Anzeichen dafür, daß in dem Programme der totgeschwiegenen Partei doch etwas liegen muß, was Beachtung aller echt nationalen Parteien verdient. Die fragliche Partei nun geht von der Überzeugung ans, daß die gegenwärtige Autonomie der beliebig, vielfach sehr unnatürlich abgegrenzten Länder grundsätzlich zu verwerfen sei. Die Gruppirungen sollen nicht nach Ländern, sondern nach Nationalitäten nen hergestellt werden. Die Nationen, wie sie sind, nicht aber ihre geschichtlich berechtigten oder nicht berechtigten Ansprüche, sollen hierbei allein entscheiden. Um bei den im Neichsrate vertretenen Nationen zu bleiben, sollen nach diesem Grundsatze die Deutschen aller Länder Cisleithaniens durch eine ein¬ zige autonome Körperschaft vertreten werden. Ebenso sollen die Tschechen Böh¬ mens, Mährens, Schlesiens gleichfalls eine einzige Gesamtgruppe bilden n. s. w. Diese Körperschaften, welche rein nach dem Nationalitätsprinzip zu stände kämen, hätten die Aufgabe, jeden Volksstamm in seinen besondern nationalen Interessen zu vertreten, also eine Autonomie für sich zu beanspruchen, wie sie vergleichungs- weise den gegenwärtigen Landtagen zukommt. Dort, wo innerhalb ein und derselben Nationalität verschiedne auseinandergehende Interessen, z. B. in kirch¬ lichen Angelegenheiten vorhanden sind, ferner dort, wo die Volksstümme auch geographisch eine große Ausdehnung haben oder weit auseinander liegen, können für dieselbe nationale Gruppe Kreistage und neben ihnen Kreisregiernngen ge¬ schaffen werden. Auf diese Weise bekäme mau sozusagen Nativnallandtage mit einer echt nationalen Autonomie, und das Zentralparlament, welches anch nach diesem Programme notwendig erscheint, hätte hiernach nur die wirklich gemeinschaftlichen Reichsangelegenheiten zu verhandeln. Dieselbe Partei, die man mit Fug und Recht als diejenige der National- autouvmisten bezeichnen könnte, ist dadurch, daß sie die wichtigsten Staatsinter¬ essen dem Zentralparlamcnte zur Verhandlung überläßt, prinzipiell gegen jede Schwächung des Staates dnrch autonome Gewalten nach Art der Bestrebungen der bisherigen Länderantonomisten; die Partei ist zentralistisch gesinnt und perhorreszirt jedwede Art des Föderalismus. Nach diesem Programme würden sich die einzelnen Nationalitäten frei ent¬ wickeln können, ohne durch Mehrheiten andrer Stämme vergewaltigt zu werden, und die Völker würden sich, da ihre nationale Existenz nicht gefährdet erschiene, kräftig entfalten und das Reich selbst dnrch sie erstarken können. Die Partei, die sich zu einem solchen Programme bekennt, läßt auch das Deutsche als Staatssprache gelten, wo immer die Rcichsinteressen es er¬ fordern. Damit würde den nationalen Kämpfen auf einmal ein Ende gemacht sein, und die Deutschen hätten doch vor den übrigen Nationen den Vorrang. Einen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/18>, abgerufen am 04.07.2024.