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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Herrschaft auch in den Landtagen, wenn anch die Verkünstelungen der Wahl¬
ordnungen hin und wieder zu andern Ergebnissen führen mögen und thatsächlich
geführt habe". Die Mehrheiten sündigen in der Regel gegen Minderheiten/
mögen erstere in welchem Lager immer anzutreffen sein. Solche Mehrheiten
fühlen sich nicht veranlaßt, gegen eine für sie günstige Länderverfassung oder
Lünderarrondirung Klage zu führen; desto mehr fühlen die Minderheiten den
Druck der Mehrheiten in der Zeit der Nationalitätenverhetzungen, wie sie gegen¬
wärtig in Osterreich aus den oben angeführten Gründen in verschärften Maße
betrieben werden. Gesündigt wird int-rg. rnnrvs "t extra; keine Partei und
keine Nation ist frei von Schuld dort, wo sie der Zahl nach überwiegt. Die
Verblendung der Majoritäten hier und dort bildet ein Hemmnis für eine er¬
trägliche Veränderung der Sachlage. Die Reformversuche, die natürlicherweise
von den Minderheiten ausgehen, werden einfach zurückgewiesen. Oft sind solche
Entwürfe zur Umgestaltung aber auch darnach, daß sie entweder nicht ver¬
handlungsfähig sind, oder daß sie schon in ihrer Alllage durch demütigende Zu<
mutuugen den Gegner gleichsam herausfordern.

Wenn die Deutschen in Böhmen den Vorschlag auf Zweiteilung des König¬
reiches eingebracht haben, so haben sie hierbei die Zustände andrer Länder nicht
berücksichtigt und z. V. die Stammgenossen Steiermarks nicht aufgemuntert,
der Forderung der Sloweuen dieses Landes auf Abtrennung des von ihnen be¬
wohnten Landgebietes gerecht zu werden. Die Zerstückelung einzelner Länder
bei Belastung andrer in ihrer bisherigen Form sührt jedoch nicht zum natio¬
nalen Frieden in Österreich.

Verfehlt erscheint darnach auch jeder Antrag oder Entwurf bezüglich des
Deutschen als Staatssprache, solange man mit einigen Ländern, wie in Ga-
lizien, Tirol, Küstenland?c., in dieser Hinsicht zu Gunsten gewisser Nationalitäten
Ausnahmen machen zu müssen meint. Solche Anträge, zu denen auch der kürz¬
lich im Abgeordnetenhause des österreichischen Neichsrates von Schcirschmid ein¬
gebrachte und nunmehr einem Ausschuße zur Beratung zugewiesene gehört,
sind ganz geeignet, die Verdachtsgründe zu vermehren und neue Herausforde¬
rungen zu erzeugen.

Man würde fehlgehen, wenn man annähme, es sei nicht aufrichtiger Wille
vorhanden, sich gegenseitig zu verständigen; nur müssen auch die Grundlagen
darnach sein, daß eine Verständigung möglich ist.

Es giebt nun in Österreich schon seit einiger Zeit eine Partei, die eine
Grundlage zur Einigung der Deutschen und der übrige" Volksstämme in
nationaler Hinsicht gefunden zu haben glaubt. Diese Partei wird jedoch bisher
totgeschwiegen, und zwar umso leichter, als sie noch keine offnen Gesinnungs¬
genossen im Reichsrate hat. Das Totschweigen geht von jener Partei aus,
in deren Interesse es liegt, die Nativnalitätenhetze fortzuschüren und da¬
gegen gerichtete Strömungen möglichst hintanzuhalten. Es liegt hierin el"


Grenzlx'ton II. 1886. 2

Herrschaft auch in den Landtagen, wenn anch die Verkünstelungen der Wahl¬
ordnungen hin und wieder zu andern Ergebnissen führen mögen und thatsächlich
geführt habe». Die Mehrheiten sündigen in der Regel gegen Minderheiten/
mögen erstere in welchem Lager immer anzutreffen sein. Solche Mehrheiten
fühlen sich nicht veranlaßt, gegen eine für sie günstige Länderverfassung oder
Lünderarrondirung Klage zu führen; desto mehr fühlen die Minderheiten den
Druck der Mehrheiten in der Zeit der Nationalitätenverhetzungen, wie sie gegen¬
wärtig in Osterreich aus den oben angeführten Gründen in verschärften Maße
betrieben werden. Gesündigt wird int-rg. rnnrvs «t extra; keine Partei und
keine Nation ist frei von Schuld dort, wo sie der Zahl nach überwiegt. Die
Verblendung der Majoritäten hier und dort bildet ein Hemmnis für eine er¬
trägliche Veränderung der Sachlage. Die Reformversuche, die natürlicherweise
von den Minderheiten ausgehen, werden einfach zurückgewiesen. Oft sind solche
Entwürfe zur Umgestaltung aber auch darnach, daß sie entweder nicht ver¬
handlungsfähig sind, oder daß sie schon in ihrer Alllage durch demütigende Zu<
mutuugen den Gegner gleichsam herausfordern.

Wenn die Deutschen in Böhmen den Vorschlag auf Zweiteilung des König¬
reiches eingebracht haben, so haben sie hierbei die Zustände andrer Länder nicht
berücksichtigt und z. V. die Stammgenossen Steiermarks nicht aufgemuntert,
der Forderung der Sloweuen dieses Landes auf Abtrennung des von ihnen be¬
wohnten Landgebietes gerecht zu werden. Die Zerstückelung einzelner Länder
bei Belastung andrer in ihrer bisherigen Form sührt jedoch nicht zum natio¬
nalen Frieden in Österreich.

Verfehlt erscheint darnach auch jeder Antrag oder Entwurf bezüglich des
Deutschen als Staatssprache, solange man mit einigen Ländern, wie in Ga-
lizien, Tirol, Küstenland?c., in dieser Hinsicht zu Gunsten gewisser Nationalitäten
Ausnahmen machen zu müssen meint. Solche Anträge, zu denen auch der kürz¬
lich im Abgeordnetenhause des österreichischen Neichsrates von Schcirschmid ein¬
gebrachte und nunmehr einem Ausschuße zur Beratung zugewiesene gehört,
sind ganz geeignet, die Verdachtsgründe zu vermehren und neue Herausforde¬
rungen zu erzeugen.

Man würde fehlgehen, wenn man annähme, es sei nicht aufrichtiger Wille
vorhanden, sich gegenseitig zu verständigen; nur müssen auch die Grundlagen
darnach sein, daß eine Verständigung möglich ist.

Es giebt nun in Österreich schon seit einiger Zeit eine Partei, die eine
Grundlage zur Einigung der Deutschen und der übrige» Volksstämme in
nationaler Hinsicht gefunden zu haben glaubt. Diese Partei wird jedoch bisher
totgeschwiegen, und zwar umso leichter, als sie noch keine offnen Gesinnungs¬
genossen im Reichsrate hat. Das Totschweigen geht von jener Partei aus,
in deren Interesse es liegt, die Nativnalitätenhetze fortzuschüren und da¬
gegen gerichtete Strömungen möglichst hintanzuhalten. Es liegt hierin el»


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/17>, abgerufen am 24.07.2024.