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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Neue Parteiluldmigen in "Österreich.

da sie die Presse des In- und Auslandes für ihre Zwecke beherrscht, so hat
sie ihre Hauptabsichten unter dem Vorwande des Kampfes für die deutschen
Interessen mich wirklich in hohem Grade gefördert, obgleich sie gegenwärtig
über den Verlust ihrer parlamentarischen Herrschaft trauern muß. Würde es
hingegen dem deutschen Klub gelingen, mit der Rechten irgend eine Ver¬
ständigung zu erzielen und die Führung zu erringen, so würde dieselbe man¬
chesterliche' Partei sogleich nicht mehr den Vorwnnd des Kampfes für das
Deutschtum bei der Verfechtung ihrer Sonderintercsscn benutzen können, sondern
sie würde dann ihr altes Schlagwort des Liberalismus im Gegensatze zur Re¬
aktion wieder hervorsuchen.

Daraus ersieht man, daß die Nationalitäten in Osterreich von einer mächtigen
Partei je nach deren jeweiligem Bedürfnisse, das sich nach verschiednen Konjunk¬
turen ändert, bald so, bald anders ausgespielt werden, und es ist ebenso be¬
greiflich, daß diese verschiednen Nationalitäten in ihrem reinen Interesse ohne
Einmischung dieser in ihrem Wesen national farblosen Partei viel schneller zu
einer Verständigung gelangen könnten, als es thatsächlich der Fall ist. So aber
wissen weder die Deutschen noch die andern Volksstämme, daß sie eigentlich als
Werkzeuge einer für ihre nationalen Bestrebungen im Grunde gleich giltigen
Partei ausgenutzt werden. Die letztere sucht bei den jetzt für sie unangenehmer
gestalteten politischen Verhältnissen wenigstens im Trüben zu fischen, und weiß
daher nur Feuer zu schüren, um die Nationalparteien zu blenden und sie zu
ihrem Schaden auseinander zu bringen. Die Nationalparteien beladen einander
infolge dessen mit einem Haß, der sonst nie einen solchen Grad erreicht hätte.

Eine derartige Verhetzung wird gegenwärtig in Österreich thatsächlich geübt,
und die Erbitterung ist wirklich eingetreten. Die Verwirrung der Gemüter
wird noch dadurch vergrößert, daß die österreichische Verfassung in ihren be¬
sondern Formen keineswegs geeignet ist, die Lösung der Natioualitätenfrage zu
fördern. Die im österreichischen Neichsrate vertretenen Völkerschaften besitzen
zwar eine besondre Länderautonomie, welche ihnen, als sie ins Leben trat, ohne Be¬
denken als ein Fortschritt in der Völkerbefreiung zu einer selbständiger!! Entwicklung
erschien. Diese Entwicklung kann auch in Österreich im Nahmen der Selbstverwal¬
tung der Lüuder überall dort ungehemmt von statten gehen, wo in den einzelnen
Ländern die Bevölkerung einer einzigen Nationalität ausschließlich vorherrscht. Auch
könnte eine derartige Autonomie selbst in sprachlich gemischten Ländern in einer
andern Zeit noch als leidlich befunden werden, in der Ära jedoch, in welcher
das NationälitätsprinziP die Wandlungen und Gestaltuugeu beherrscht, erweist
sich die Autonomie ohne Berücksichtigung dieses Prinzips sofort als ungenügend.
Im Hinblicke darauf wurden die Länder in Österreich wirklich ungünstig ge¬
staltet, indem die meisten von ihnen Bestandteile von verschiednen Nationalitäten
umfassen. Abhilfe dagegen ist nicht leicht zu schaffen. Denn jene Nationalitäten,
welche in den einzelnen Ländern die Majorität bilden, behalten gewöhnlich die


Neue Parteiluldmigen in «Österreich.

da sie die Presse des In- und Auslandes für ihre Zwecke beherrscht, so hat
sie ihre Hauptabsichten unter dem Vorwande des Kampfes für die deutschen
Interessen mich wirklich in hohem Grade gefördert, obgleich sie gegenwärtig
über den Verlust ihrer parlamentarischen Herrschaft trauern muß. Würde es
hingegen dem deutschen Klub gelingen, mit der Rechten irgend eine Ver¬
ständigung zu erzielen und die Führung zu erringen, so würde dieselbe man¬
chesterliche' Partei sogleich nicht mehr den Vorwnnd des Kampfes für das
Deutschtum bei der Verfechtung ihrer Sonderintercsscn benutzen können, sondern
sie würde dann ihr altes Schlagwort des Liberalismus im Gegensatze zur Re¬
aktion wieder hervorsuchen.

Daraus ersieht man, daß die Nationalitäten in Osterreich von einer mächtigen
Partei je nach deren jeweiligem Bedürfnisse, das sich nach verschiednen Konjunk¬
turen ändert, bald so, bald anders ausgespielt werden, und es ist ebenso be¬
greiflich, daß diese verschiednen Nationalitäten in ihrem reinen Interesse ohne
Einmischung dieser in ihrem Wesen national farblosen Partei viel schneller zu
einer Verständigung gelangen könnten, als es thatsächlich der Fall ist. So aber
wissen weder die Deutschen noch die andern Volksstämme, daß sie eigentlich als
Werkzeuge einer für ihre nationalen Bestrebungen im Grunde gleich giltigen
Partei ausgenutzt werden. Die letztere sucht bei den jetzt für sie unangenehmer
gestalteten politischen Verhältnissen wenigstens im Trüben zu fischen, und weiß
daher nur Feuer zu schüren, um die Nationalparteien zu blenden und sie zu
ihrem Schaden auseinander zu bringen. Die Nationalparteien beladen einander
infolge dessen mit einem Haß, der sonst nie einen solchen Grad erreicht hätte.

Eine derartige Verhetzung wird gegenwärtig in Österreich thatsächlich geübt,
und die Erbitterung ist wirklich eingetreten. Die Verwirrung der Gemüter
wird noch dadurch vergrößert, daß die österreichische Verfassung in ihren be¬
sondern Formen keineswegs geeignet ist, die Lösung der Natioualitätenfrage zu
fördern. Die im österreichischen Neichsrate vertretenen Völkerschaften besitzen
zwar eine besondre Länderautonomie, welche ihnen, als sie ins Leben trat, ohne Be¬
denken als ein Fortschritt in der Völkerbefreiung zu einer selbständiger!! Entwicklung
erschien. Diese Entwicklung kann auch in Österreich im Nahmen der Selbstverwal¬
tung der Lüuder überall dort ungehemmt von statten gehen, wo in den einzelnen
Ländern die Bevölkerung einer einzigen Nationalität ausschließlich vorherrscht. Auch
könnte eine derartige Autonomie selbst in sprachlich gemischten Ländern in einer
andern Zeit noch als leidlich befunden werden, in der Ära jedoch, in welcher
das NationälitätsprinziP die Wandlungen und Gestaltuugeu beherrscht, erweist
sich die Autonomie ohne Berücksichtigung dieses Prinzips sofort als ungenügend.
Im Hinblicke darauf wurden die Länder in Österreich wirklich ungünstig ge¬
staltet, indem die meisten von ihnen Bestandteile von verschiednen Nationalitäten
umfassen. Abhilfe dagegen ist nicht leicht zu schaffen. Denn jene Nationalitäten,
welche in den einzelnen Ländern die Majorität bilden, behalten gewöhnlich die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/16>, abgerufen am 24.07.2024.