Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.hingegen nahm freudig den Ruf an, ein neues Heidelberg begründen und bauen hingegen nahm freudig den Ruf an, ein neues Heidelberg begründen und bauen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0125" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/198191"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_339" prev="#ID_338" next="#ID_340"> hingegen nahm freudig den Ruf an, ein neues Heidelberg begründen und bauen<lb/> zu helfen, und wirkte hier vierundvierzig Jahre; der humane, geistvolle Mann,<lb/> der vertieft in das Studium der Sprachen und Formen der Vorzeit, doch nie<lb/> ein Knecht des Buchstabens, sondern ein Sohn des Geistes gewesen ist, schuf<lb/> gleichsam aus dem Nichts den Lehrstuhl der Philologie, alten Literatur und<lb/> Geschichte, mancher Anfeindung durch Kollegen nicht achtend; mit viel Phantasie<lb/> ausgestattet, war er ein abgesagter Feind der nüchternen Verstandesausklärung,<lb/> Zu Schellings Berufung, an die man in Karlsruhe dachte, kam es nicht, auch<lb/> nicht zu der Ludwig Tiecks, die Clemens Brentano, welcher Heidelberg über alles<lb/> liebte, anregte und auch Scivigny empfahl. Bald richtete sich die Aufmerksamkeit<lb/> 'Deutschlands auf das neu emporblühende Neckar-Athen; von allen Seiten kamen<lb/> Wißbegierige; hier studirte Joseph von Eichendorff, der große Lyriker seelen-<lb/> voller Rührung, hier arbeiteten Brentano und Armin eifrig in ihrer Wohnung<lb/> im Faulen Pelz, hier hielt ihr Freund Görres Vorlesungen an der Universität,<lb/> ohne aber zu einer festen Anstellung zu gelangen, und im Herbste 1808 ging<lb/> das romantische Kleeblatt auseinander; wie fröhlich hatten sie und der junge Jakob<lb/> Grimm an ihrer „Zeitung für Einsiedler" oder „Tröst Einsamkeit" vom April bis<lb/> zum August 1808 geschrieben! Immer wieder zog es Jean Paul, zog es Goethe<lb/> nach Heidelberg, in dessen Schloßruine Friedrich von Mntthisson seine Elegie<lb/> dichtete. Kotzebue sprach es aus: „Wenn ein Unglücklicher mich fragt, wo er<lb/> leben müsse, um dem lauernden Kummer dann und wann eine Stunde zu ent¬<lb/> rücken, so nenne ich ihm Heidelberg; und wenn ein Glücklicher mich fragt,<lb/> welchen Ort er wählen soll, um jede Freude des Lebens frisch zu kränzen, so<lb/> nenne ich ihm abermals Heidelberg." Bald konnte mau ohne Schmeichelei von<lb/> dem goldenen Zeitalter der Universität reden; war sie doch „gediegen in all<lb/> ihren Bestrebungen, reich an Geist und Poesie, glänzend weithin durchs deutsche<lb/> Vaterland in dem gesprochenen und geschriebenen Worte großer Lehrer"; ein<lb/> Geist edelsten wissenschaftlichen Gemeinlebens verknüpfte die jugendkräftig sich<lb/> entfaltenden Fakultäten, deren Vertreter nicht nach eignen Interessen, sondern<lb/> nach den höchsten Zielen der Menschheit strebten; für ewig war die knrpfcilzische<lb/> Zeit vorbei, in der hiesige Professuren an die Wiege gebunden wurden. Unter<lb/> den zahlreichen Berufungen verdienen nicht wenige Erwähnung; besonders lenkten<lb/> viele Gelehrte ans Jena ihre Schritte nach Heidelberg. In die theologische<lb/> Fakultät trugen neben Daub neues Licht Schwarz, Jung-Stillings Schwieger¬<lb/> sohn, Bauer, Marheiuecke, der aber 1811 uach der neuen Universität Berlin<lb/> übersiedelte, und Leberecht de Wette, der schon ein Jahr zuvor denselben Weg<lb/> einschlug; bereits regten sich bei dem Dozenten Neander die Schwingen. Sie<lb/> alle aber ebneten gewissermaßen nur den Pfad, auf dem der Hohepriester<lb/> der Fakultät, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, daherschritt, jene gewaltige<lb/> Persönlichkeit, die für lauge Dezennien dem theologischen Studium hier ihren<lb/> Stempel aufdrückte; in welchem Gelehrten standen in so vollem Einklange An-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0125]
hingegen nahm freudig den Ruf an, ein neues Heidelberg begründen und bauen
zu helfen, und wirkte hier vierundvierzig Jahre; der humane, geistvolle Mann,
der vertieft in das Studium der Sprachen und Formen der Vorzeit, doch nie
ein Knecht des Buchstabens, sondern ein Sohn des Geistes gewesen ist, schuf
gleichsam aus dem Nichts den Lehrstuhl der Philologie, alten Literatur und
Geschichte, mancher Anfeindung durch Kollegen nicht achtend; mit viel Phantasie
ausgestattet, war er ein abgesagter Feind der nüchternen Verstandesausklärung,
Zu Schellings Berufung, an die man in Karlsruhe dachte, kam es nicht, auch
nicht zu der Ludwig Tiecks, die Clemens Brentano, welcher Heidelberg über alles
liebte, anregte und auch Scivigny empfahl. Bald richtete sich die Aufmerksamkeit
'Deutschlands auf das neu emporblühende Neckar-Athen; von allen Seiten kamen
Wißbegierige; hier studirte Joseph von Eichendorff, der große Lyriker seelen-
voller Rührung, hier arbeiteten Brentano und Armin eifrig in ihrer Wohnung
im Faulen Pelz, hier hielt ihr Freund Görres Vorlesungen an der Universität,
ohne aber zu einer festen Anstellung zu gelangen, und im Herbste 1808 ging
das romantische Kleeblatt auseinander; wie fröhlich hatten sie und der junge Jakob
Grimm an ihrer „Zeitung für Einsiedler" oder „Tröst Einsamkeit" vom April bis
zum August 1808 geschrieben! Immer wieder zog es Jean Paul, zog es Goethe
nach Heidelberg, in dessen Schloßruine Friedrich von Mntthisson seine Elegie
dichtete. Kotzebue sprach es aus: „Wenn ein Unglücklicher mich fragt, wo er
leben müsse, um dem lauernden Kummer dann und wann eine Stunde zu ent¬
rücken, so nenne ich ihm Heidelberg; und wenn ein Glücklicher mich fragt,
welchen Ort er wählen soll, um jede Freude des Lebens frisch zu kränzen, so
nenne ich ihm abermals Heidelberg." Bald konnte mau ohne Schmeichelei von
dem goldenen Zeitalter der Universität reden; war sie doch „gediegen in all
ihren Bestrebungen, reich an Geist und Poesie, glänzend weithin durchs deutsche
Vaterland in dem gesprochenen und geschriebenen Worte großer Lehrer"; ein
Geist edelsten wissenschaftlichen Gemeinlebens verknüpfte die jugendkräftig sich
entfaltenden Fakultäten, deren Vertreter nicht nach eignen Interessen, sondern
nach den höchsten Zielen der Menschheit strebten; für ewig war die knrpfcilzische
Zeit vorbei, in der hiesige Professuren an die Wiege gebunden wurden. Unter
den zahlreichen Berufungen verdienen nicht wenige Erwähnung; besonders lenkten
viele Gelehrte ans Jena ihre Schritte nach Heidelberg. In die theologische
Fakultät trugen neben Daub neues Licht Schwarz, Jung-Stillings Schwieger¬
sohn, Bauer, Marheiuecke, der aber 1811 uach der neuen Universität Berlin
übersiedelte, und Leberecht de Wette, der schon ein Jahr zuvor denselben Weg
einschlug; bereits regten sich bei dem Dozenten Neander die Schwingen. Sie
alle aber ebneten gewissermaßen nur den Pfad, auf dem der Hohepriester
der Fakultät, Heinrich Eberhard Gottlob Paulus, daherschritt, jene gewaltige
Persönlichkeit, die für lauge Dezennien dem theologischen Studium hier ihren
Stempel aufdrückte; in welchem Gelehrten standen in so vollem Einklange An-
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