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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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Zum Sprachenkcniipfö in Vsterroich.

als ob die übrige" 1^/,, Millionen Deutschen im eigentlichen Ungarn wo möglich
nicht noch zehnmal mehr geknechtet wären. In Pest z. V., einer noch immer
halb deutschen Stadt, giebt es nicht eine deutsche Volksschule (so wenig wie im
ganzen .Königreiche), das Ausstecken einer schwarzrotgelben Fahne, wo und bei
welcher Gelegenheit es auch immer sei, wird als Landesverrat bestraft, Urteile,
selbst über Kapitalverbrechen, werden nnr in magyarischer Sprache verkündet
n. s. w. Es wäre für gewisse deutsch-böhmische Heißsporne gut, eine Zeit lang
in Pest oder sonst einer deutsch-ungarischen Stadt zu verweilen oder sich we¬
nigstens im Geiste die Lage eines deutschen Familienvaters dort auszumalen.
Kurz, mau kann ohne Übertreibung sagen, daß, wenn uns die Tschechen mit
Geißeln schlagen oder doch schlagen möchten, es die Magyaren mit Skorpionen
thun. Dieser unbändige, alles andre geringschätzende Chauvinismus der Ma¬
gyaren und seine das Reich preisgebende Befriedigung dnrch einen Ausländer
(Veust) war es, welche auf die Erstarkung der nationalen slawischen Ansprüche
den mächtigsten, nachhaltigsten Einfluß ausübte und selbst den Adel ansteckte,
der sich, dem Beispiele seiner magyarischen Standesgenossen folgend, aus Wien in
seine Provinz zurückzog und sich dort an die Spitze und in die Reihen der neu¬
erwachten Nation stellte; und die provinzielle Journalistik, die häusliche Erziehung,
die nationale Schule, die allgemeine Geistesrichtung beförderten und beschleunigten
diese Tendenzen.

Dieser Erscheinung gegenüber, sollte man nun denken, hätte auch der Gang
einer vernünftigen Regierung ein andrer werden müssen, denn wenn es, so lange
die einzelnen Nationalgefühle noch nicht erwacht, noch nicht zum Bewußtsein ihrer
Stärke gekommen waren, ratsam sein konnte, diese gewähren zu lassen nach
dem Grundsätze: viviäs et üuxoiA, so kann dieser Grundsatz nicht mehr gelten,
wo sich die Umstände so sehr geändert haben, wo die Nationalitäten immer
stärker auseinandergehen und zuletzt das Band ihrer Vereinigung im Staate
zu sprengen droht, wenn nicht bei Zeiten um dieselben ein fester, eiserner Ring
-- in unserm Falle, um das Kind gleich beim Namen zu nennen, in Gestalt
der Staatssprache -- geschlagen wird, der jene unwirscher Gewalten stark und
dauernd zusammenhält. Nun geschah aber im Reiche der UnWahrscheinlichkeiten
schon unter den dcutschliberalen Vorgängern Taasfes für diesen Zweck nichts
(s. Art. XIX^) des Staatsgrnndgcsetzcs), unter dem jetzigen Versöhnnngs-
ministerium sogar das gerade Gegenteil, sodaß heute nnr noch eine schwache Mauer,
die auch schon hie und da bedenkliche Sprünge und Nisse zeigt, die deutsche Sprache
in ihrem letzten Zufluchtsort, dem Heere, schützt. Und doch ist gerade in Österreich
eine Staatssprache umso nötiger, als es hier an einem allgemeinen Bindungsmittel,
an einem Zusammengehörigkeitsgefühle, wie es sonst in jedem Staate besteht und



Der einer Staatssprache nicht einmal Erwähnung thut, und alle Sprachen gewisser¬
maßen als gleichberechtigt hinstellt.
Zum Sprachenkcniipfö in Vsterroich.

als ob die übrige» 1^/,, Millionen Deutschen im eigentlichen Ungarn wo möglich
nicht noch zehnmal mehr geknechtet wären. In Pest z. V., einer noch immer
halb deutschen Stadt, giebt es nicht eine deutsche Volksschule (so wenig wie im
ganzen .Königreiche), das Ausstecken einer schwarzrotgelben Fahne, wo und bei
welcher Gelegenheit es auch immer sei, wird als Landesverrat bestraft, Urteile,
selbst über Kapitalverbrechen, werden nnr in magyarischer Sprache verkündet
n. s. w. Es wäre für gewisse deutsch-böhmische Heißsporne gut, eine Zeit lang
in Pest oder sonst einer deutsch-ungarischen Stadt zu verweilen oder sich we¬
nigstens im Geiste die Lage eines deutschen Familienvaters dort auszumalen.
Kurz, mau kann ohne Übertreibung sagen, daß, wenn uns die Tschechen mit
Geißeln schlagen oder doch schlagen möchten, es die Magyaren mit Skorpionen
thun. Dieser unbändige, alles andre geringschätzende Chauvinismus der Ma¬
gyaren und seine das Reich preisgebende Befriedigung dnrch einen Ausländer
(Veust) war es, welche auf die Erstarkung der nationalen slawischen Ansprüche
den mächtigsten, nachhaltigsten Einfluß ausübte und selbst den Adel ansteckte,
der sich, dem Beispiele seiner magyarischen Standesgenossen folgend, aus Wien in
seine Provinz zurückzog und sich dort an die Spitze und in die Reihen der neu¬
erwachten Nation stellte; und die provinzielle Journalistik, die häusliche Erziehung,
die nationale Schule, die allgemeine Geistesrichtung beförderten und beschleunigten
diese Tendenzen.

Dieser Erscheinung gegenüber, sollte man nun denken, hätte auch der Gang
einer vernünftigen Regierung ein andrer werden müssen, denn wenn es, so lange
die einzelnen Nationalgefühle noch nicht erwacht, noch nicht zum Bewußtsein ihrer
Stärke gekommen waren, ratsam sein konnte, diese gewähren zu lassen nach
dem Grundsätze: viviäs et üuxoiA, so kann dieser Grundsatz nicht mehr gelten,
wo sich die Umstände so sehr geändert haben, wo die Nationalitäten immer
stärker auseinandergehen und zuletzt das Band ihrer Vereinigung im Staate
zu sprengen droht, wenn nicht bei Zeiten um dieselben ein fester, eiserner Ring
— in unserm Falle, um das Kind gleich beim Namen zu nennen, in Gestalt
der Staatssprache — geschlagen wird, der jene unwirscher Gewalten stark und
dauernd zusammenhält. Nun geschah aber im Reiche der UnWahrscheinlichkeiten
schon unter den dcutschliberalen Vorgängern Taasfes für diesen Zweck nichts
(s. Art. XIX^) des Staatsgrnndgcsetzcs), unter dem jetzigen Versöhnnngs-
ministerium sogar das gerade Gegenteil, sodaß heute nnr noch eine schwache Mauer,
die auch schon hie und da bedenkliche Sprünge und Nisse zeigt, die deutsche Sprache
in ihrem letzten Zufluchtsort, dem Heere, schützt. Und doch ist gerade in Österreich
eine Staatssprache umso nötiger, als es hier an einem allgemeinen Bindungsmittel,
an einem Zusammengehörigkeitsgefühle, wie es sonst in jedem Staate besteht und



Der einer Staatssprache nicht einmal Erwähnung thut, und alle Sprachen gewisser¬
maßen als gleichberechtigt hinstellt.
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[0107] Zum Sprachenkcniipfö in Vsterroich. als ob die übrige» 1^/,, Millionen Deutschen im eigentlichen Ungarn wo möglich nicht noch zehnmal mehr geknechtet wären. In Pest z. V., einer noch immer halb deutschen Stadt, giebt es nicht eine deutsche Volksschule (so wenig wie im ganzen .Königreiche), das Ausstecken einer schwarzrotgelben Fahne, wo und bei welcher Gelegenheit es auch immer sei, wird als Landesverrat bestraft, Urteile, selbst über Kapitalverbrechen, werden nnr in magyarischer Sprache verkündet n. s. w. Es wäre für gewisse deutsch-böhmische Heißsporne gut, eine Zeit lang in Pest oder sonst einer deutsch-ungarischen Stadt zu verweilen oder sich we¬ nigstens im Geiste die Lage eines deutschen Familienvaters dort auszumalen. Kurz, mau kann ohne Übertreibung sagen, daß, wenn uns die Tschechen mit Geißeln schlagen oder doch schlagen möchten, es die Magyaren mit Skorpionen thun. Dieser unbändige, alles andre geringschätzende Chauvinismus der Ma¬ gyaren und seine das Reich preisgebende Befriedigung dnrch einen Ausländer (Veust) war es, welche auf die Erstarkung der nationalen slawischen Ansprüche den mächtigsten, nachhaltigsten Einfluß ausübte und selbst den Adel ansteckte, der sich, dem Beispiele seiner magyarischen Standesgenossen folgend, aus Wien in seine Provinz zurückzog und sich dort an die Spitze und in die Reihen der neu¬ erwachten Nation stellte; und die provinzielle Journalistik, die häusliche Erziehung, die nationale Schule, die allgemeine Geistesrichtung beförderten und beschleunigten diese Tendenzen. Dieser Erscheinung gegenüber, sollte man nun denken, hätte auch der Gang einer vernünftigen Regierung ein andrer werden müssen, denn wenn es, so lange die einzelnen Nationalgefühle noch nicht erwacht, noch nicht zum Bewußtsein ihrer Stärke gekommen waren, ratsam sein konnte, diese gewähren zu lassen nach dem Grundsätze: viviäs et üuxoiA, so kann dieser Grundsatz nicht mehr gelten, wo sich die Umstände so sehr geändert haben, wo die Nationalitäten immer stärker auseinandergehen und zuletzt das Band ihrer Vereinigung im Staate zu sprengen droht, wenn nicht bei Zeiten um dieselben ein fester, eiserner Ring — in unserm Falle, um das Kind gleich beim Namen zu nennen, in Gestalt der Staatssprache — geschlagen wird, der jene unwirscher Gewalten stark und dauernd zusammenhält. Nun geschah aber im Reiche der UnWahrscheinlichkeiten schon unter den dcutschliberalen Vorgängern Taasfes für diesen Zweck nichts (s. Art. XIX^) des Staatsgrnndgcsetzcs), unter dem jetzigen Versöhnnngs- ministerium sogar das gerade Gegenteil, sodaß heute nnr noch eine schwache Mauer, die auch schon hie und da bedenkliche Sprünge und Nisse zeigt, die deutsche Sprache in ihrem letzten Zufluchtsort, dem Heere, schützt. Und doch ist gerade in Österreich eine Staatssprache umso nötiger, als es hier an einem allgemeinen Bindungsmittel, an einem Zusammengehörigkeitsgefühle, wie es sonst in jedem Staate besteht und Der einer Staatssprache nicht einmal Erwähnung thut, und alle Sprachen gewisser¬ maßen als gleichberechtigt hinstellt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/107>, abgerufen am 02.10.2024.