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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal.

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den Weg gebahnt. Die Tschechen denken, von ihrem Standpunkte aus, nicht mit
Unrcch': dasselbe, was die Magyaren erreicht haben, dürfen wir, kraft desselben
historischen Rechtes, eben auch beanspruchen, umsomehr, da wir auf einer unstreitig
höhern Bildungsstufe stehen als die Nation der Pußtasöhne. Mit letzteren Punkte
hat es, trotz Kuchelbad, Königiuhvf :c., allerdings seine Nichtigkeit, wenn auch
diese Bildung auf deutscher Grundlage beruht. Ein einfacher Blick auf die Sta¬
tistik beweist dies. Der Prozentsatz der Lese- und schreibkundiger in Tschcchisch-
Böhmen ist fast noch einmal so groß als der unter den Magyaren. In kultur¬
geschichtlicher und zivilisatorischer Hinsicht haben die Magyaren nie und nirgends
auch nur das geringste geleistet^) und sich einzig durch ihre endlosen Revolutionen
bemerkbar gemacht, während die Tschechen doch auf ihren Huf, den Vorläufer
Luthers, als eine welthistorische Größe hinweisen können. Auch die Ge¬
schichte der innern Entwicklung der Tschechen ist so thatenrcich und ehren¬
voll wie die irgend eines andern Volkes, die zivilisirtesten Staaten Europas
uicht ausgenommen. Unter allen Slawen sind sie die tüchtigsten, die wahren
Ehrenretter des Slawismus in seiner bisherigen Entwicklung, denn sie allein
haben sich (nur die Polen kommen noch einigermaßen in Betracht) neben den
übrigen Nationen einen ehrenvollen Platz in der Kulturgeschichte errungen. Die
Erinnerung an diese Herrlichkeit ist auch in Böhmen nie ganz erloschen, und
sie lebte in unsern Tagen, wo nationale Bestrebungen ein Hauptkennzeichen des
Zeitgeistes bilden, leider nur zu kräftig auf. Die magyarische Sprache endlich
ist eine der barbarischsten, die es giebt, die tschechische ist viel bildungsfähiger
und viel verbreiteter, wenn es auch lächerliche Übertreibung des tschechischen
Lokalpatriotismus ist, zu behaupten, daß sie an Biegsamkeit, Einfachheit und
Naturwahrheit mit der griechischen wetteifere. In einer Beziehung allerdings
sind die Magyaren deu Tschechen noch immer und trotz alledem überlegen,
nämlich in der Drangsalirung und Knebelung der Deutschen, einer Knebelung,
die -- als von einer nach Art und Menge so zurückgebliebenen Rasse aus¬
gehend -- ohne Beispiel in der Geschichte dasteht und für immer ein Schand¬
fleck Österreichs, bald hätten wir gesagt, Deutschlands bleiben wird.

Die deutschen Blätter sprechen in der Regel von dem tschechischen Uej
slvvWv als von einem "Hctzliede" gegen die Deutschen, wir aber fragen: Wie
wollt ihr dann das magyarische NvM IrunWut g. "vuot, d. h. der Deutsche
ist doch ein Hundsfott, nennen, welches man in Ungarn in jeder magyarischen
Kneipe brüllen hören kaun (oder wenigstens noch vor fünf Jahren hören konnte).
Auch ist es Unwissenheit oder es heißt absichtlich Vogel Strauß spielen, wenn
immer nnr von den siebenbürger Sachsen als den Unterdrückten die Rede ist,



*) Die magyarischen Berühmtheiten, wie Petöfi (etwa im Range unsers Th. Körner),
Jokai, Munkacsy u. s. w., können, vom Standpunkte der deutschen, französischen, italienischen
Weltliteratur und Weltkultur aus betrachtet, doch wohl nur den Alis ininoiuin Mirtimn zu¬
gezählt werden.

den Weg gebahnt. Die Tschechen denken, von ihrem Standpunkte aus, nicht mit
Unrcch': dasselbe, was die Magyaren erreicht haben, dürfen wir, kraft desselben
historischen Rechtes, eben auch beanspruchen, umsomehr, da wir auf einer unstreitig
höhern Bildungsstufe stehen als die Nation der Pußtasöhne. Mit letzteren Punkte
hat es, trotz Kuchelbad, Königiuhvf :c., allerdings seine Nichtigkeit, wenn auch
diese Bildung auf deutscher Grundlage beruht. Ein einfacher Blick auf die Sta¬
tistik beweist dies. Der Prozentsatz der Lese- und schreibkundiger in Tschcchisch-
Böhmen ist fast noch einmal so groß als der unter den Magyaren. In kultur¬
geschichtlicher und zivilisatorischer Hinsicht haben die Magyaren nie und nirgends
auch nur das geringste geleistet^) und sich einzig durch ihre endlosen Revolutionen
bemerkbar gemacht, während die Tschechen doch auf ihren Huf, den Vorläufer
Luthers, als eine welthistorische Größe hinweisen können. Auch die Ge¬
schichte der innern Entwicklung der Tschechen ist so thatenrcich und ehren¬
voll wie die irgend eines andern Volkes, die zivilisirtesten Staaten Europas
uicht ausgenommen. Unter allen Slawen sind sie die tüchtigsten, die wahren
Ehrenretter des Slawismus in seiner bisherigen Entwicklung, denn sie allein
haben sich (nur die Polen kommen noch einigermaßen in Betracht) neben den
übrigen Nationen einen ehrenvollen Platz in der Kulturgeschichte errungen. Die
Erinnerung an diese Herrlichkeit ist auch in Böhmen nie ganz erloschen, und
sie lebte in unsern Tagen, wo nationale Bestrebungen ein Hauptkennzeichen des
Zeitgeistes bilden, leider nur zu kräftig auf. Die magyarische Sprache endlich
ist eine der barbarischsten, die es giebt, die tschechische ist viel bildungsfähiger
und viel verbreiteter, wenn es auch lächerliche Übertreibung des tschechischen
Lokalpatriotismus ist, zu behaupten, daß sie an Biegsamkeit, Einfachheit und
Naturwahrheit mit der griechischen wetteifere. In einer Beziehung allerdings
sind die Magyaren deu Tschechen noch immer und trotz alledem überlegen,
nämlich in der Drangsalirung und Knebelung der Deutschen, einer Knebelung,
die — als von einer nach Art und Menge so zurückgebliebenen Rasse aus¬
gehend — ohne Beispiel in der Geschichte dasteht und für immer ein Schand¬
fleck Österreichs, bald hätten wir gesagt, Deutschlands bleiben wird.

Die deutschen Blätter sprechen in der Regel von dem tschechischen Uej
slvvWv als von einem „Hctzliede" gegen die Deutschen, wir aber fragen: Wie
wollt ihr dann das magyarische NvM IrunWut g. »vuot, d. h. der Deutsche
ist doch ein Hundsfott, nennen, welches man in Ungarn in jeder magyarischen
Kneipe brüllen hören kaun (oder wenigstens noch vor fünf Jahren hören konnte).
Auch ist es Unwissenheit oder es heißt absichtlich Vogel Strauß spielen, wenn
immer nnr von den siebenbürger Sachsen als den Unterdrückten die Rede ist,



*) Die magyarischen Berühmtheiten, wie Petöfi (etwa im Range unsers Th. Körner),
Jokai, Munkacsy u. s. w., können, vom Standpunkte der deutschen, französischen, italienischen
Weltliteratur und Weltkultur aus betrachtet, doch wohl nur den Alis ininoiuin Mirtimn zu¬
gezählt werden.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Zweites Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_198065/106>, abgerufen am 02.07.2024.