Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Lamoens. umher lagen, lehnte sich die mit Maisstroh gedeckte Hütte, das Obdach der Aber die Mahnung der Hirtin kam schon zu spät; aus der Thür der Camoens war mit einigen Schritten bei der Strohhütte, Joana blieb Lamoens. umher lagen, lehnte sich die mit Maisstroh gedeckte Hütte, das Obdach der Aber die Mahnung der Hirtin kam schon zu spät; aus der Thür der Camoens war mit einigen Schritten bei der Strohhütte, Joana blieb <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0091" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197515"/> <fw type="header" place="top"> Lamoens.</fw><lb/> <p xml:id="ID_262" prev="#ID_261"> umher lagen, lehnte sich die mit Maisstroh gedeckte Hütte, das Obdach der<lb/> jungen Hirtin. Ein paar wettergespaltene Korkeichen gaben dürftigen Schatten,<lb/> während die Nachmittagssonne heiß auf der grünen Fläche lag, und die aus der<lb/> kühlen, dunkeln Schlucht auftauchenden Männer schützten unwillkürlich die Augen<lb/> mit der Hand; Joana schlich ihnen auf den Zehen voran und mahnte sie, die<lb/> Fremde nicht plötzlich aus dem Schlummer zu schrecken.</p><lb/> <p xml:id="ID_263"> Aber die Mahnung der Hirtin kam schon zu spät; aus der Thür der<lb/> Hütte tauchte ein bleiches Gesicht mit angstvollem Ausdruck auf — und Herr<lb/> Manuel sprang rasch an den Eingang hinan. Einen Augenblick später würde<lb/> das junge Mädchen, der er jetzt seine Hand auf die Schulter legte, entflohen<lb/> sein und sich sinnlos den Abhang zur nächsten Schlucht hinabgestürzt haben.<lb/> Jetzt sank sie vor Barreto nieder, ein Erbarmen flehender Blick aus großen,<lb/> sanft glänzenden braunen Augen, ein leise wimmernder Laut ergriff das Herz des<lb/> wacker» Ritters. Die Fremde mochte wie die Ziegenhirtin fünfzehn oder sechzehn<lb/> Jahre zählen, aber ihre Gestalt war größer und entwickelter als die des portu¬<lb/> giesischen Dvrskindes. Die Züge vom edelsten Schnitt, die Kleidung von kost¬<lb/> barem grimm Seidenstoff, ein Gürtel, der durch zwei prachtvolle Rubinen<lb/> zusammengehalten ward, verrieten Barreto, daß die unter seiner Hand zitternde<lb/> unmöglich eine Zigeunerin sein könne. Ungeduldig winkte der Fidalgo seinen<lb/> Freund heran und rief ihm entgegen: Sie scheint eine Maurin! Ihr wäret<lb/> unser Dolmetscher ans dem Seezug im roten Meere, sucht Euer Arabisch zu¬<lb/> sammen und schafft uns Licht über die Arme.</p><lb/> <p xml:id="ID_264"> Camoens war mit einigen Schritten bei der Strohhütte, Joana blieb<lb/> ihm zur Seite und sagte leise: Erschreckt sie nicht, Herr, und seid nicht hart<lb/> gegen sie! Doch ohne auf die Kleine zu achten, bemühte sich der Dichter schon,<lb/> die ängstlich zusammengekauerte Fremde sanft emporzurichten, und sprach sie,<lb/> wie ihm Barreto geheißen, arabisch an. Das jugendliche Gesicht erhellte sich<lb/> bei seinen ersten Lauten, gespannt hörte sie seine Ansprache und erwiederte in<lb/> leisem Tone, aber mit rasch fließenden Worten, sodaß Camoens Mühe hatte,<lb/> ihrer Rede zu folgen. In seinen Zügen mischte sich der Ausdruck inniger Teil¬<lb/> nahme mit dem ernsten Zweifels, und mehr denn einmal vernahm er kopf¬<lb/> schüttelnd die Aussage der Sprechenden. Als sie einen Augenblick erschöpft<lb/> innehielt, wandte er sich zu dem Freunde und rief halb gereizt: Was sollen<lb/> wir glauben, Manuel, was soll ich dieser hier sagen? Sie will die Tochter<lb/> eines großen Emirs vom Rande der Wüste sein, nach räuberischen Überfall und<lb/> Mord der Ihren in das Frauengemach eines maurischen Prinzen entführt! Um<lb/> verhaßter Umarmung zu entgehen, sei sie vor drei Tagen entflohen und hoffe<lb/> nun Hilfe bei uns, den Fremden! Sie scheint nicht zu wissen, daß das Meer<lb/> zwischen hier und ihrer angeblichen Heimat rollt, und erzählt uns ein Märchen<lb/> nach der Weise der Frauen ihres Volkes. Soll ich sie mild oder hart auf¬<lb/> fordern, die Wahrheit zu sprechen?</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0091]
Lamoens.
umher lagen, lehnte sich die mit Maisstroh gedeckte Hütte, das Obdach der
jungen Hirtin. Ein paar wettergespaltene Korkeichen gaben dürftigen Schatten,
während die Nachmittagssonne heiß auf der grünen Fläche lag, und die aus der
kühlen, dunkeln Schlucht auftauchenden Männer schützten unwillkürlich die Augen
mit der Hand; Joana schlich ihnen auf den Zehen voran und mahnte sie, die
Fremde nicht plötzlich aus dem Schlummer zu schrecken.
Aber die Mahnung der Hirtin kam schon zu spät; aus der Thür der
Hütte tauchte ein bleiches Gesicht mit angstvollem Ausdruck auf — und Herr
Manuel sprang rasch an den Eingang hinan. Einen Augenblick später würde
das junge Mädchen, der er jetzt seine Hand auf die Schulter legte, entflohen
sein und sich sinnlos den Abhang zur nächsten Schlucht hinabgestürzt haben.
Jetzt sank sie vor Barreto nieder, ein Erbarmen flehender Blick aus großen,
sanft glänzenden braunen Augen, ein leise wimmernder Laut ergriff das Herz des
wacker» Ritters. Die Fremde mochte wie die Ziegenhirtin fünfzehn oder sechzehn
Jahre zählen, aber ihre Gestalt war größer und entwickelter als die des portu¬
giesischen Dvrskindes. Die Züge vom edelsten Schnitt, die Kleidung von kost¬
barem grimm Seidenstoff, ein Gürtel, der durch zwei prachtvolle Rubinen
zusammengehalten ward, verrieten Barreto, daß die unter seiner Hand zitternde
unmöglich eine Zigeunerin sein könne. Ungeduldig winkte der Fidalgo seinen
Freund heran und rief ihm entgegen: Sie scheint eine Maurin! Ihr wäret
unser Dolmetscher ans dem Seezug im roten Meere, sucht Euer Arabisch zu¬
sammen und schafft uns Licht über die Arme.
Camoens war mit einigen Schritten bei der Strohhütte, Joana blieb
ihm zur Seite und sagte leise: Erschreckt sie nicht, Herr, und seid nicht hart
gegen sie! Doch ohne auf die Kleine zu achten, bemühte sich der Dichter schon,
die ängstlich zusammengekauerte Fremde sanft emporzurichten, und sprach sie,
wie ihm Barreto geheißen, arabisch an. Das jugendliche Gesicht erhellte sich
bei seinen ersten Lauten, gespannt hörte sie seine Ansprache und erwiederte in
leisem Tone, aber mit rasch fließenden Worten, sodaß Camoens Mühe hatte,
ihrer Rede zu folgen. In seinen Zügen mischte sich der Ausdruck inniger Teil¬
nahme mit dem ernsten Zweifels, und mehr denn einmal vernahm er kopf¬
schüttelnd die Aussage der Sprechenden. Als sie einen Augenblick erschöpft
innehielt, wandte er sich zu dem Freunde und rief halb gereizt: Was sollen
wir glauben, Manuel, was soll ich dieser hier sagen? Sie will die Tochter
eines großen Emirs vom Rande der Wüste sein, nach räuberischen Überfall und
Mord der Ihren in das Frauengemach eines maurischen Prinzen entführt! Um
verhaßter Umarmung zu entgehen, sei sie vor drei Tagen entflohen und hoffe
nun Hilfe bei uns, den Fremden! Sie scheint nicht zu wissen, daß das Meer
zwischen hier und ihrer angeblichen Heimat rollt, und erzählt uns ein Märchen
nach der Weise der Frauen ihres Volkes. Soll ich sie mild oder hart auf¬
fordern, die Wahrheit zu sprechen?
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