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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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oorxus auszufüllen, wäre doch sehr die Frage, Und gar so leicht wie Hart-
mann möchten doch wenige zu der Entscheidung kommen, daß der Ehemisere gegen¬
über jede Bildung, die dem Weibe vorzugsweise eine geistige Richtung giebt,
jede "Töchterschulenbildung" vom Übel sei. Mit jeder Beschränkung der geistig¬
sittlichen Wirkung des Weibes in der Ehe wird dieselbe herabgewürdigt, vor
allem zum bleibenden Schaden der Nachkommenschaft. Denn, irren wir uns
nicht: das Beste, Beglückendste, was wir haben, die Reinheit und Individualität
unsers Empfindens, die Grundlage mithin von dem, was später durch eigne
und fremde Arbeit Edles und Bedeutendes aus uns gemacht werden kann, haben
wir von unsern Müttern. Und so möchte am Ende jenes "Schaudern" einen
unbewußten Protest gegen allzu große Einengung in die Schranken kleinbürger¬
licher Lebeuseuge bedeuten.

Wir übergehen die folgenden Aufsätze, die sich zum größten Teil gegen
praktisch bedeutsame Mißstände unsers modernen nationalen Lebens wenden, um
uns zu einem der letzten, über "der Bücher Not," zu wenden. Ein innerer
Zusammenhang mit dem eben besprochnen weist uns ohnehin zu ihm. Das
alte Lied von dem mangelhaften Bücherkauf der gebildeten Deutschen wird wieder
von neuem gesungen. Mit vollem Recht; darüber kann im Ernst kaum ein
Zweifel sein. Nur daß der eben noch so lebhafte und beredte Vertreter eines
bescheidnen Daseins in eigner anspruchsloser Häuslichkeit doch mindestens die
große Klasse des verheirateten gebildeten Mittelstands von der Schuld einer
Unterlassungssünde auf diesem Gebiet freisprechen sollte! Welcher Mann, dessen
Familie eben nur durch bestündige geistige und körperliche Aufopferung der
Hausfrau existiren kann, würde recht daran thun, die verfügbaren Mittel durch
Bücherankauf noch mehr zu schmälern? Wie viele gebildete Männer, Beamte
namentlich, Philologen, Juristen, gehen jahraus jahrein an den Buchläden mit
sehnsüchtigem Blick auf die aufliegenden Neuigkeiten vorüber, weil ihnen ihr
Beutel außer dem spärlichen Aufwand für ein und das andre Journal, für
Schulbücher und unvermeidliche Geschenke durchaus keine Buchhändlerrechnnng
gestattet! Freilich giebt es daneben Tausende, die es für ganz selbstverständlich
halten, für ihren täglichen Bedarf an Zigarren und Bier Summen auszugeben,
deren zehnter Teil, auf Bücher verwendet, ihnen als unverantwortlicher und
ihrer Einnahme durchaus nicht entsprechender Luxus erscheinen würde. Bei
ihnen aber ist doch richtiger das allgemeine Darniederliegeu geistiger Interessen,
als die Unlust am Bücherkauf anzuklagen. Im übrigen ist, was Hartmann
sagt, leider sehr wahr: die unselige, so gänzlich nichtige und bestenfalls un¬
schädliche Sucht, Politik zu treiben, absorbirt im modernen Leben den größten
Teil der geistigen Bethätigung unsrer Gebildeten; dem Anstaudsbedürfnis aber,
Bücher zu besitzen, kommen die billigen Klassikeransgaben mit ihrer stereotypen
Auswahl der Autoren als eine Art wohlfeiler Massenfüttcrnng entgegen.

Falsch würde es sein, diesem Übelstande etwa, wie Hartmann meint, durch


oorxus auszufüllen, wäre doch sehr die Frage, Und gar so leicht wie Hart-
mann möchten doch wenige zu der Entscheidung kommen, daß der Ehemisere gegen¬
über jede Bildung, die dem Weibe vorzugsweise eine geistige Richtung giebt,
jede „Töchterschulenbildung" vom Übel sei. Mit jeder Beschränkung der geistig¬
sittlichen Wirkung des Weibes in der Ehe wird dieselbe herabgewürdigt, vor
allem zum bleibenden Schaden der Nachkommenschaft. Denn, irren wir uns
nicht: das Beste, Beglückendste, was wir haben, die Reinheit und Individualität
unsers Empfindens, die Grundlage mithin von dem, was später durch eigne
und fremde Arbeit Edles und Bedeutendes aus uns gemacht werden kann, haben
wir von unsern Müttern. Und so möchte am Ende jenes „Schaudern" einen
unbewußten Protest gegen allzu große Einengung in die Schranken kleinbürger¬
licher Lebeuseuge bedeuten.

Wir übergehen die folgenden Aufsätze, die sich zum größten Teil gegen
praktisch bedeutsame Mißstände unsers modernen nationalen Lebens wenden, um
uns zu einem der letzten, über „der Bücher Not," zu wenden. Ein innerer
Zusammenhang mit dem eben besprochnen weist uns ohnehin zu ihm. Das
alte Lied von dem mangelhaften Bücherkauf der gebildeten Deutschen wird wieder
von neuem gesungen. Mit vollem Recht; darüber kann im Ernst kaum ein
Zweifel sein. Nur daß der eben noch so lebhafte und beredte Vertreter eines
bescheidnen Daseins in eigner anspruchsloser Häuslichkeit doch mindestens die
große Klasse des verheirateten gebildeten Mittelstands von der Schuld einer
Unterlassungssünde auf diesem Gebiet freisprechen sollte! Welcher Mann, dessen
Familie eben nur durch bestündige geistige und körperliche Aufopferung der
Hausfrau existiren kann, würde recht daran thun, die verfügbaren Mittel durch
Bücherankauf noch mehr zu schmälern? Wie viele gebildete Männer, Beamte
namentlich, Philologen, Juristen, gehen jahraus jahrein an den Buchläden mit
sehnsüchtigem Blick auf die aufliegenden Neuigkeiten vorüber, weil ihnen ihr
Beutel außer dem spärlichen Aufwand für ein und das andre Journal, für
Schulbücher und unvermeidliche Geschenke durchaus keine Buchhändlerrechnnng
gestattet! Freilich giebt es daneben Tausende, die es für ganz selbstverständlich
halten, für ihren täglichen Bedarf an Zigarren und Bier Summen auszugeben,
deren zehnter Teil, auf Bücher verwendet, ihnen als unverantwortlicher und
ihrer Einnahme durchaus nicht entsprechender Luxus erscheinen würde. Bei
ihnen aber ist doch richtiger das allgemeine Darniederliegeu geistiger Interessen,
als die Unlust am Bücherkauf anzuklagen. Im übrigen ist, was Hartmann
sagt, leider sehr wahr: die unselige, so gänzlich nichtige und bestenfalls un¬
schädliche Sucht, Politik zu treiben, absorbirt im modernen Leben den größten
Teil der geistigen Bethätigung unsrer Gebildeten; dem Anstaudsbedürfnis aber,
Bücher zu besitzen, kommen die billigen Klassikeransgaben mit ihrer stereotypen
Auswahl der Autoren als eine Art wohlfeiler Massenfüttcrnng entgegen.

Falsch würde es sein, diesem Übelstande etwa, wie Hartmann meint, durch


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[0077] oorxus auszufüllen, wäre doch sehr die Frage, Und gar so leicht wie Hart- mann möchten doch wenige zu der Entscheidung kommen, daß der Ehemisere gegen¬ über jede Bildung, die dem Weibe vorzugsweise eine geistige Richtung giebt, jede „Töchterschulenbildung" vom Übel sei. Mit jeder Beschränkung der geistig¬ sittlichen Wirkung des Weibes in der Ehe wird dieselbe herabgewürdigt, vor allem zum bleibenden Schaden der Nachkommenschaft. Denn, irren wir uns nicht: das Beste, Beglückendste, was wir haben, die Reinheit und Individualität unsers Empfindens, die Grundlage mithin von dem, was später durch eigne und fremde Arbeit Edles und Bedeutendes aus uns gemacht werden kann, haben wir von unsern Müttern. Und so möchte am Ende jenes „Schaudern" einen unbewußten Protest gegen allzu große Einengung in die Schranken kleinbürger¬ licher Lebeuseuge bedeuten. Wir übergehen die folgenden Aufsätze, die sich zum größten Teil gegen praktisch bedeutsame Mißstände unsers modernen nationalen Lebens wenden, um uns zu einem der letzten, über „der Bücher Not," zu wenden. Ein innerer Zusammenhang mit dem eben besprochnen weist uns ohnehin zu ihm. Das alte Lied von dem mangelhaften Bücherkauf der gebildeten Deutschen wird wieder von neuem gesungen. Mit vollem Recht; darüber kann im Ernst kaum ein Zweifel sein. Nur daß der eben noch so lebhafte und beredte Vertreter eines bescheidnen Daseins in eigner anspruchsloser Häuslichkeit doch mindestens die große Klasse des verheirateten gebildeten Mittelstands von der Schuld einer Unterlassungssünde auf diesem Gebiet freisprechen sollte! Welcher Mann, dessen Familie eben nur durch bestündige geistige und körperliche Aufopferung der Hausfrau existiren kann, würde recht daran thun, die verfügbaren Mittel durch Bücherankauf noch mehr zu schmälern? Wie viele gebildete Männer, Beamte namentlich, Philologen, Juristen, gehen jahraus jahrein an den Buchläden mit sehnsüchtigem Blick auf die aufliegenden Neuigkeiten vorüber, weil ihnen ihr Beutel außer dem spärlichen Aufwand für ein und das andre Journal, für Schulbücher und unvermeidliche Geschenke durchaus keine Buchhändlerrechnnng gestattet! Freilich giebt es daneben Tausende, die es für ganz selbstverständlich halten, für ihren täglichen Bedarf an Zigarren und Bier Summen auszugeben, deren zehnter Teil, auf Bücher verwendet, ihnen als unverantwortlicher und ihrer Einnahme durchaus nicht entsprechender Luxus erscheinen würde. Bei ihnen aber ist doch richtiger das allgemeine Darniederliegeu geistiger Interessen, als die Unlust am Bücherkauf anzuklagen. Im übrigen ist, was Hartmann sagt, leider sehr wahr: die unselige, so gänzlich nichtige und bestenfalls un¬ schädliche Sucht, Politik zu treiben, absorbirt im modernen Leben den größten Teil der geistigen Bethätigung unsrer Gebildeten; dem Anstaudsbedürfnis aber, Bücher zu besitzen, kommen die billigen Klassikeransgaben mit ihrer stereotypen Auswahl der Autoren als eine Art wohlfeiler Massenfüttcrnng entgegen. Falsch würde es sein, diesem Übelstande etwa, wie Hartmann meint, durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/77>, abgerufen am 05.02.2025.