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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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T>le Deutschen in Newyork.

andrer hätte geglaubt, in die Erde sinken zu müssen; doch er ging hin und
schrieb es schmunzelnd in seine "Vierzig Jahre"; dergleichen beleidigte einen
Deutschen nicht. So wurde auch während des Krieges 1870--1371 verhältnis¬
mäßig nur wenig Anstoß daran genommen, wenn sentimentale Weiber mit
Leckerbissen beladen sich an die Gefangnenwagen, und vor allem zu den
"reizenden" Tnrkos, drängten, während unsre braven Jungen, die diese Bande
besiegt hatten und sie nur eskvrtirten, hungrig daneben standen. Daß ein
schwarzer Schnurrbart zu einem braunen Gesicht am besten stehe, mag etwa für
die Hälfte unsrer Frauen der Gesichtspunkt sein, aus welchem sie eine fremde
Nationalität beurteilen, nud wir allein find Schuld. Es hat jedes Volk die
Frauen, die es verdient, und wir verdienen -- in nationaler Beziehung --
jedenfalls die unsrigen.

Wie doch alles im Leben schon da gewesen ist! Während wir uns, dieses nieder¬
schreibend, vergegenwärtigen, welchen Eindruck es auf deu einen und den andern
Stimmführer des gegnerischen Lagers wohl machen und mit welchen Keulen unsre
Meinung wohl erschlagen werden konnte, erinnern wir uns der Zeit, als wir
noch gar keine Meinung hatten und mehr instinktiv als bewußt immer wieder
gegen eine" erbitterten Jugendfreund die Notwendigkeit unsers Militarismus
verteidigten. "Ach -- sagte der reifere Widerpart uns damals -- so ein bißchen
Fremdherrschaft wäre noch garnicht einmal so übel; da kämen vielleicht endlich
einmal wieder aus dem Westen liberale Ideen ins Laud!" Es will uns be¬
dingen, als ob dieser wahrhaft freisinnige Ausspruch auch heute noch die Auf¬
fassung weiter Kreise in Bezug auf die Integrität unsers Landes und iinMoits
die Ehre unsrer Frauen schlagend bethätigte. Wir brauchen im übrigen wohl
kaum zu versichern, daß jener liberale Politiker jüdischer Abkunft war, und dies
leitet uus über zu dem letzten Kapitel, das wir zu verhandeln habe", zu dem
Kapitel vom "deutschen Juden" in Newyork.

Wir sprechen gern vom Juden.

Wir erinnern uns noch deutlich der Zeit um die Mitte und gegen Ende
der siebziger Jahre, als man bei solchen Gelegenheiten kaum über die Anfangs¬
buchstaben hinauskam, worauf empörte Blicke in der Umgebung uns anfunkelten
und wahrhaft Humaue Männer uns belehrten, daß wir ein in mittelalterlichen
Rohheiten befangner Wüterich seien, und daß es sogenannte Juden seit der Eman¬
zipation überhaupt nicht mehr gebe.

Unsre Gewohnheiten sind inzwischen etwas freier geworden; man darf bereits
wieder von Juden sprechen, ohne Kopf und Kragen zu riskiren, und die Leute,
die uns bei solche" Gelegenheiten gerne einschüchtern möchten, sind in der Wert¬
schätzung unsers Volkes und erfreulicherweise auch in ihrem Einflüsse gesunken.
Also zur Sache.

Was die Juden in Newyork anlangt, so sind sie zunächst überaus zahlreich.
Statistische Erhebungen liber ihre Herkunft und andres mehr werden von den


T>le Deutschen in Newyork.

andrer hätte geglaubt, in die Erde sinken zu müssen; doch er ging hin und
schrieb es schmunzelnd in seine „Vierzig Jahre"; dergleichen beleidigte einen
Deutschen nicht. So wurde auch während des Krieges 1870—1371 verhältnis¬
mäßig nur wenig Anstoß daran genommen, wenn sentimentale Weiber mit
Leckerbissen beladen sich an die Gefangnenwagen, und vor allem zu den
„reizenden" Tnrkos, drängten, während unsre braven Jungen, die diese Bande
besiegt hatten und sie nur eskvrtirten, hungrig daneben standen. Daß ein
schwarzer Schnurrbart zu einem braunen Gesicht am besten stehe, mag etwa für
die Hälfte unsrer Frauen der Gesichtspunkt sein, aus welchem sie eine fremde
Nationalität beurteilen, nud wir allein find Schuld. Es hat jedes Volk die
Frauen, die es verdient, und wir verdienen — in nationaler Beziehung —
jedenfalls die unsrigen.

Wie doch alles im Leben schon da gewesen ist! Während wir uns, dieses nieder¬
schreibend, vergegenwärtigen, welchen Eindruck es auf deu einen und den andern
Stimmführer des gegnerischen Lagers wohl machen und mit welchen Keulen unsre
Meinung wohl erschlagen werden konnte, erinnern wir uns der Zeit, als wir
noch gar keine Meinung hatten und mehr instinktiv als bewußt immer wieder
gegen eine» erbitterten Jugendfreund die Notwendigkeit unsers Militarismus
verteidigten. „Ach — sagte der reifere Widerpart uns damals — so ein bißchen
Fremdherrschaft wäre noch garnicht einmal so übel; da kämen vielleicht endlich
einmal wieder aus dem Westen liberale Ideen ins Laud!" Es will uns be¬
dingen, als ob dieser wahrhaft freisinnige Ausspruch auch heute noch die Auf¬
fassung weiter Kreise in Bezug auf die Integrität unsers Landes und iinMoits
die Ehre unsrer Frauen schlagend bethätigte. Wir brauchen im übrigen wohl
kaum zu versichern, daß jener liberale Politiker jüdischer Abkunft war, und dies
leitet uus über zu dem letzten Kapitel, das wir zu verhandeln habe», zu dem
Kapitel vom „deutschen Juden" in Newyork.

Wir sprechen gern vom Juden.

Wir erinnern uns noch deutlich der Zeit um die Mitte und gegen Ende
der siebziger Jahre, als man bei solchen Gelegenheiten kaum über die Anfangs¬
buchstaben hinauskam, worauf empörte Blicke in der Umgebung uns anfunkelten
und wahrhaft Humaue Männer uns belehrten, daß wir ein in mittelalterlichen
Rohheiten befangner Wüterich seien, und daß es sogenannte Juden seit der Eman¬
zipation überhaupt nicht mehr gebe.

Unsre Gewohnheiten sind inzwischen etwas freier geworden; man darf bereits
wieder von Juden sprechen, ohne Kopf und Kragen zu riskiren, und die Leute,
die uns bei solche» Gelegenheiten gerne einschüchtern möchten, sind in der Wert¬
schätzung unsers Volkes und erfreulicherweise auch in ihrem Einflüsse gesunken.
Also zur Sache.

Was die Juden in Newyork anlangt, so sind sie zunächst überaus zahlreich.
Statistische Erhebungen liber ihre Herkunft und andres mehr werden von den


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[0603] T>le Deutschen in Newyork. andrer hätte geglaubt, in die Erde sinken zu müssen; doch er ging hin und schrieb es schmunzelnd in seine „Vierzig Jahre"; dergleichen beleidigte einen Deutschen nicht. So wurde auch während des Krieges 1870—1371 verhältnis¬ mäßig nur wenig Anstoß daran genommen, wenn sentimentale Weiber mit Leckerbissen beladen sich an die Gefangnenwagen, und vor allem zu den „reizenden" Tnrkos, drängten, während unsre braven Jungen, die diese Bande besiegt hatten und sie nur eskvrtirten, hungrig daneben standen. Daß ein schwarzer Schnurrbart zu einem braunen Gesicht am besten stehe, mag etwa für die Hälfte unsrer Frauen der Gesichtspunkt sein, aus welchem sie eine fremde Nationalität beurteilen, nud wir allein find Schuld. Es hat jedes Volk die Frauen, die es verdient, und wir verdienen — in nationaler Beziehung — jedenfalls die unsrigen. Wie doch alles im Leben schon da gewesen ist! Während wir uns, dieses nieder¬ schreibend, vergegenwärtigen, welchen Eindruck es auf deu einen und den andern Stimmführer des gegnerischen Lagers wohl machen und mit welchen Keulen unsre Meinung wohl erschlagen werden konnte, erinnern wir uns der Zeit, als wir noch gar keine Meinung hatten und mehr instinktiv als bewußt immer wieder gegen eine» erbitterten Jugendfreund die Notwendigkeit unsers Militarismus verteidigten. „Ach — sagte der reifere Widerpart uns damals — so ein bißchen Fremdherrschaft wäre noch garnicht einmal so übel; da kämen vielleicht endlich einmal wieder aus dem Westen liberale Ideen ins Laud!" Es will uns be¬ dingen, als ob dieser wahrhaft freisinnige Ausspruch auch heute noch die Auf¬ fassung weiter Kreise in Bezug auf die Integrität unsers Landes und iinMoits die Ehre unsrer Frauen schlagend bethätigte. Wir brauchen im übrigen wohl kaum zu versichern, daß jener liberale Politiker jüdischer Abkunft war, und dies leitet uus über zu dem letzten Kapitel, das wir zu verhandeln habe», zu dem Kapitel vom „deutschen Juden" in Newyork. Wir sprechen gern vom Juden. Wir erinnern uns noch deutlich der Zeit um die Mitte und gegen Ende der siebziger Jahre, als man bei solchen Gelegenheiten kaum über die Anfangs¬ buchstaben hinauskam, worauf empörte Blicke in der Umgebung uns anfunkelten und wahrhaft Humaue Männer uns belehrten, daß wir ein in mittelalterlichen Rohheiten befangner Wüterich seien, und daß es sogenannte Juden seit der Eman¬ zipation überhaupt nicht mehr gebe. Unsre Gewohnheiten sind inzwischen etwas freier geworden; man darf bereits wieder von Juden sprechen, ohne Kopf und Kragen zu riskiren, und die Leute, die uns bei solche» Gelegenheiten gerne einschüchtern möchten, sind in der Wert¬ schätzung unsers Volkes und erfreulicherweise auch in ihrem Einflüsse gesunken. Also zur Sache. Was die Juden in Newyork anlangt, so sind sie zunächst überaus zahlreich. Statistische Erhebungen liber ihre Herkunft und andres mehr werden von den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/603>, abgerufen am 05.02.2025.