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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Zur sozialen Frage.

bloßer Okkupation der freien Natur hervorgegangen ist. Auch in dem Grund¬
besitze steckt eine Summe von Arbeit, nicht allein wenn derselbe mit künstlichen
Anlagen (Bauten u, s. w.) besetzt ist, sondern auch schon dann, wenn er aus
roher Wildnis in angebautes Ackerland umgewandelt ist. Mit welchem Rechte
glaubt der Verfasser dieses Stück "angesammelter Arbeit" dem Eigentümer weg¬
nehmen zu können? Und welche Lösung hat er für die dann eintretende "freie"
Benutzung? Associationen sollen sich in die Benutzung teilen. Aber wie? Nach
welchen Grundsätzen? Wer bestimmt den Anteil eines Jeden und welches Recht
erwirbt der Einzelne an seinem Anteil? Muß er, wenn übers Jahr sich neue
Genossen melden, diesen ein Stück davon wieder abgeben? Und glaubt man,
daß dann noch jemand irgendeine Verwendung ans ein Grundstück machen
würde? Doch wir verlieren kein Wort weiter über diesen abenteuerlichen Gedanken.

Ein Buch wie das vorliegende würde man vor fünfzig Jahren als völlig
harmlos haben betrachten können. Heute halten wir es nicht dafür, wir halten
solche Bücher für durchaus gefährlich. Werden sie auch nicht von den bethörten
Massen unsrer Sozialdemokratie gelesen, so lesen sie doch die sozialistischen Führer
und Agitatoren. Diese lesen sich heraus, was sie in ihrem sozialistischen Wahne
bestärkt und was in ihren Kram paßt. Sie berufen sich darauf bei ihren
Genossen und fühlen sich gehoben, daß auch die "Wissenschaft" die Berechtigung
ihrer Sache anerkenne. Kritik behalten sie nur genng, um sich zu sagen, daß die
Ziele, die solche Bücher so schön ausmalen, sich doch nicht auf dem Wege
"friedlicher Evolution" erreichen lassen. Was folgt daraus? Solche Bücher
predigen, sie mögen wollen oder nicht, die Revolution.

Wir sind der Ansicht, daß wir nur vor folgender Alternative stehen. Ent¬
weder wird die gegenwärtige Art der Produktion ruhig fortgesetzt, was nicht
ausschließt, daß wir unablässig bemüht sind, wirklichen Notständen in unsern
geringern Klassen nach Kräften abzuhelfen. Oder wir verfallen in das Chaos
einer Revolution, aus welcher dann nach allen blutigen Greueln und nach un¬
sägliche" Einbußen am Volkswohlstände -- doch wieder die nämliche Pro¬
duktionsweise hervorgehen würde. Ein Drittes giebt es nicht.




Zur sozialen Frage.

bloßer Okkupation der freien Natur hervorgegangen ist. Auch in dem Grund¬
besitze steckt eine Summe von Arbeit, nicht allein wenn derselbe mit künstlichen
Anlagen (Bauten u, s. w.) besetzt ist, sondern auch schon dann, wenn er aus
roher Wildnis in angebautes Ackerland umgewandelt ist. Mit welchem Rechte
glaubt der Verfasser dieses Stück „angesammelter Arbeit" dem Eigentümer weg¬
nehmen zu können? Und welche Lösung hat er für die dann eintretende „freie"
Benutzung? Associationen sollen sich in die Benutzung teilen. Aber wie? Nach
welchen Grundsätzen? Wer bestimmt den Anteil eines Jeden und welches Recht
erwirbt der Einzelne an seinem Anteil? Muß er, wenn übers Jahr sich neue
Genossen melden, diesen ein Stück davon wieder abgeben? Und glaubt man,
daß dann noch jemand irgendeine Verwendung ans ein Grundstück machen
würde? Doch wir verlieren kein Wort weiter über diesen abenteuerlichen Gedanken.

Ein Buch wie das vorliegende würde man vor fünfzig Jahren als völlig
harmlos haben betrachten können. Heute halten wir es nicht dafür, wir halten
solche Bücher für durchaus gefährlich. Werden sie auch nicht von den bethörten
Massen unsrer Sozialdemokratie gelesen, so lesen sie doch die sozialistischen Führer
und Agitatoren. Diese lesen sich heraus, was sie in ihrem sozialistischen Wahne
bestärkt und was in ihren Kram paßt. Sie berufen sich darauf bei ihren
Genossen und fühlen sich gehoben, daß auch die „Wissenschaft" die Berechtigung
ihrer Sache anerkenne. Kritik behalten sie nur genng, um sich zu sagen, daß die
Ziele, die solche Bücher so schön ausmalen, sich doch nicht auf dem Wege
„friedlicher Evolution" erreichen lassen. Was folgt daraus? Solche Bücher
predigen, sie mögen wollen oder nicht, die Revolution.

Wir sind der Ansicht, daß wir nur vor folgender Alternative stehen. Ent¬
weder wird die gegenwärtige Art der Produktion ruhig fortgesetzt, was nicht
ausschließt, daß wir unablässig bemüht sind, wirklichen Notständen in unsern
geringern Klassen nach Kräften abzuhelfen. Oder wir verfallen in das Chaos
einer Revolution, aus welcher dann nach allen blutigen Greueln und nach un¬
sägliche» Einbußen am Volkswohlstände — doch wieder die nämliche Pro¬
duktionsweise hervorgehen würde. Ein Drittes giebt es nicht.




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[0597] Zur sozialen Frage. bloßer Okkupation der freien Natur hervorgegangen ist. Auch in dem Grund¬ besitze steckt eine Summe von Arbeit, nicht allein wenn derselbe mit künstlichen Anlagen (Bauten u, s. w.) besetzt ist, sondern auch schon dann, wenn er aus roher Wildnis in angebautes Ackerland umgewandelt ist. Mit welchem Rechte glaubt der Verfasser dieses Stück „angesammelter Arbeit" dem Eigentümer weg¬ nehmen zu können? Und welche Lösung hat er für die dann eintretende „freie" Benutzung? Associationen sollen sich in die Benutzung teilen. Aber wie? Nach welchen Grundsätzen? Wer bestimmt den Anteil eines Jeden und welches Recht erwirbt der Einzelne an seinem Anteil? Muß er, wenn übers Jahr sich neue Genossen melden, diesen ein Stück davon wieder abgeben? Und glaubt man, daß dann noch jemand irgendeine Verwendung ans ein Grundstück machen würde? Doch wir verlieren kein Wort weiter über diesen abenteuerlichen Gedanken. Ein Buch wie das vorliegende würde man vor fünfzig Jahren als völlig harmlos haben betrachten können. Heute halten wir es nicht dafür, wir halten solche Bücher für durchaus gefährlich. Werden sie auch nicht von den bethörten Massen unsrer Sozialdemokratie gelesen, so lesen sie doch die sozialistischen Führer und Agitatoren. Diese lesen sich heraus, was sie in ihrem sozialistischen Wahne bestärkt und was in ihren Kram paßt. Sie berufen sich darauf bei ihren Genossen und fühlen sich gehoben, daß auch die „Wissenschaft" die Berechtigung ihrer Sache anerkenne. Kritik behalten sie nur genng, um sich zu sagen, daß die Ziele, die solche Bücher so schön ausmalen, sich doch nicht auf dem Wege „friedlicher Evolution" erreichen lassen. Was folgt daraus? Solche Bücher predigen, sie mögen wollen oder nicht, die Revolution. Wir sind der Ansicht, daß wir nur vor folgender Alternative stehen. Ent¬ weder wird die gegenwärtige Art der Produktion ruhig fortgesetzt, was nicht ausschließt, daß wir unablässig bemüht sind, wirklichen Notständen in unsern geringern Klassen nach Kräften abzuhelfen. Oder wir verfallen in das Chaos einer Revolution, aus welcher dann nach allen blutigen Greueln und nach un¬ sägliche» Einbußen am Volkswohlstände — doch wieder die nämliche Pro¬ duktionsweise hervorgehen würde. Ein Drittes giebt es nicht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/597>, abgerufen am 05.02.2025.