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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Sitz und Stimme habe" sollen, und dieses das Recht haben soll, Beschlüsse
des Svnderparlaments zu bestätigen oder zu verwerfen, so wird jeder Versuch
eines englischen Ministers, ein Veto gegen ein irisches Gesetz durchzusetzen,
Einsprüche und Anträge auf Tadelsvoten hervorrufen. Beide englische Parteien
buhlten in den letzten zwölf Monaten um die Gunst der irischen Nationalisten
so rücksichtslos, daß sie bereit waren, ihnen Reichsinteressen zu opfern, und ist
Wohl zu hoffen, daß diese Politik sich ändern wird, wenn die Parnelliten im
Unterhause aufstehen, um das Ansehen ihres eignen Parlaments zu verteidigen?

Wir sehen von mancherlei andern Einwürfen, die Gladstones Plan zuläßt,
für jetzt ab, um Raum für ein Bedenken zu behalten, das bisher wenig Be¬
achtung gefunden hat, obwohl es sich dein Kenner irischer Zustände sofort auf¬
drängen muß. Es ist die religiöse Frage, die Gefahr, in welche die protestantische
Minorität in Irland gerät, wenn ein Dubliner Parlament für das Land Ge¬
setze zu machen beginnt. In England denkt man daran kaum, weil hier in¬
tolerante Gesetzgebung seit geraumer Zeit zu den Unmöglichkeiten gehörte.
Anders bei den Nichtkatholiken, die in Irland wohnen. Erst in diesen Tagen faßte
eine Versammlung von Vertretern der Presbhterianer in Belfast Beschlüsse, in
denen sie sich in den stärksten Ausdrücken gegen den Gedanken eines irischen
Parlaments erklärte, weil ein solches die Willkür einer Klasse der Bevölkerung
in Religions- und Erziehungssachen gegenüber den übrigen zur Herrschaft bringen
würde. Sie erklärte ferner, "nicht glauben zu können, daß sich irgendwelche
Bürgschaften moralischer oder materieller Art erdenken ließen, mit denen man
die Rechte der über Irland zerstreuten Minoritäten gegen Zwangsmaßregeln
vonseiten einer mit legislativen und exekutiven Befugnissen ausgestatteten Ma¬
jorität zu schützen imstande sein würde." Wer Irland einigermaßen beobachtet
hat, wird diese Ansicht teilen. Die dortige katholische Kirche unterscheidet sich
in ihrem Verhalten wesentlich von der Gemeinschaft ihrer Glaubensgenossen in
England. Verschiedne Ursachen, geschichtliche und andre, darunter der Druck,
der bis vor wenigen Jahrzehnten auf den Anhängern Roms lastete, und das
ungestüme Temperament der Iren, sowie ihr phantasievolles Wesen haben bewirkt,
daß die katholische Geistlichkeit hier vorwiegend als eeolssis. allions, als un¬
duldsame, eroberungssüchtige, seelenfischende Körperschaft auftritt. Es ist immer
ihre Politik und nach ihrer Auffassung ihre geheiligte Pflicht und Schuldigkeit
gewesen, die Interessen ihrer Glaubensgemeinschaft möglichst zu fördern und
deren Herrschaft über die Bevölkerung auszubreiten, so weit ihre Mittel und
Kräfte reichten, und es läßt sich nicht annehmen, daß sie, fortan unterstützt
dnrch die weit überwiegende Mehrheit eines nationalen Parlaments, versäumen
würden, die Vorteile dieser neuen Situation aufs äußerste in jener Richtung
auszunutzen. Hiervon überzeugt, haben englische Befürworter einer Politik der
Abtrennung Irlands von Großbritannien den Ausweg vorgeschlagen, den Jr-
ländern nicht bloß ein Parlament, sondern zwei zu geben und Ulster autonom


Sitz und Stimme habe» sollen, und dieses das Recht haben soll, Beschlüsse
des Svnderparlaments zu bestätigen oder zu verwerfen, so wird jeder Versuch
eines englischen Ministers, ein Veto gegen ein irisches Gesetz durchzusetzen,
Einsprüche und Anträge auf Tadelsvoten hervorrufen. Beide englische Parteien
buhlten in den letzten zwölf Monaten um die Gunst der irischen Nationalisten
so rücksichtslos, daß sie bereit waren, ihnen Reichsinteressen zu opfern, und ist
Wohl zu hoffen, daß diese Politik sich ändern wird, wenn die Parnelliten im
Unterhause aufstehen, um das Ansehen ihres eignen Parlaments zu verteidigen?

Wir sehen von mancherlei andern Einwürfen, die Gladstones Plan zuläßt,
für jetzt ab, um Raum für ein Bedenken zu behalten, das bisher wenig Be¬
achtung gefunden hat, obwohl es sich dein Kenner irischer Zustände sofort auf¬
drängen muß. Es ist die religiöse Frage, die Gefahr, in welche die protestantische
Minorität in Irland gerät, wenn ein Dubliner Parlament für das Land Ge¬
setze zu machen beginnt. In England denkt man daran kaum, weil hier in¬
tolerante Gesetzgebung seit geraumer Zeit zu den Unmöglichkeiten gehörte.
Anders bei den Nichtkatholiken, die in Irland wohnen. Erst in diesen Tagen faßte
eine Versammlung von Vertretern der Presbhterianer in Belfast Beschlüsse, in
denen sie sich in den stärksten Ausdrücken gegen den Gedanken eines irischen
Parlaments erklärte, weil ein solches die Willkür einer Klasse der Bevölkerung
in Religions- und Erziehungssachen gegenüber den übrigen zur Herrschaft bringen
würde. Sie erklärte ferner, „nicht glauben zu können, daß sich irgendwelche
Bürgschaften moralischer oder materieller Art erdenken ließen, mit denen man
die Rechte der über Irland zerstreuten Minoritäten gegen Zwangsmaßregeln
vonseiten einer mit legislativen und exekutiven Befugnissen ausgestatteten Ma¬
jorität zu schützen imstande sein würde." Wer Irland einigermaßen beobachtet
hat, wird diese Ansicht teilen. Die dortige katholische Kirche unterscheidet sich
in ihrem Verhalten wesentlich von der Gemeinschaft ihrer Glaubensgenossen in
England. Verschiedne Ursachen, geschichtliche und andre, darunter der Druck,
der bis vor wenigen Jahrzehnten auf den Anhängern Roms lastete, und das
ungestüme Temperament der Iren, sowie ihr phantasievolles Wesen haben bewirkt,
daß die katholische Geistlichkeit hier vorwiegend als eeolssis. allions, als un¬
duldsame, eroberungssüchtige, seelenfischende Körperschaft auftritt. Es ist immer
ihre Politik und nach ihrer Auffassung ihre geheiligte Pflicht und Schuldigkeit
gewesen, die Interessen ihrer Glaubensgemeinschaft möglichst zu fördern und
deren Herrschaft über die Bevölkerung auszubreiten, so weit ihre Mittel und
Kräfte reichten, und es läßt sich nicht annehmen, daß sie, fortan unterstützt
dnrch die weit überwiegende Mehrheit eines nationalen Parlaments, versäumen
würden, die Vorteile dieser neuen Situation aufs äußerste in jener Richtung
auszunutzen. Hiervon überzeugt, haben englische Befürworter einer Politik der
Abtrennung Irlands von Großbritannien den Ausweg vorgeschlagen, den Jr-
ländern nicht bloß ein Parlament, sondern zwei zu geben und Ulster autonom


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/587>, abgerufen am 05.02.2025.