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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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England am Vorabend eines Umschwunges.

zu machen. Die Presbyterianerversammlung von Belfast aber zeigt, daß ein
selbständiges, mit einer eignen gesetzgebenden Versammlung ausgestattetes Ulster
neben deu drei südlichen Provinzen nicht über die Schwierigkeiten der Sache
hinweghelfen würde. Der irische Protestantismus ist zwar hauptsächlich in
Ulster vertreten, wo viele Schotten und Engländer eingewandert sind, er be¬
schränkt sich aber keineswegs auf diese nördliche Provinz, sondern es giebt über
ganz Irland zerstreut, namentlich in den größern Orten, protestantische Ge¬
meinden in Menge, unter denen manche recht ansehnliche Minderheiten der Be¬
völkerung bilden, und die allesamt von einem Plane mit dem Gedanken des
Home Rule Schutz für ihre religiösen Rechte und Interessen verlangen. Gegen¬
wärtig ist ihnen für die letztern in dem bestehenden Systeme der nationalen
Erziehung hinreichende Sicherheit gewährt; aber alle Welt weiß, daß die ka¬
tholische Kirche in Irland nichts weniger als eine warme Freundin dieses
Systems ist, sondern vielmehr selten eine Gelegenheit vorbeigehen läßt, es zu tadeln
und zu beklagen, und daß es, wenn die Bischöfe nnr die Macht besäße", es zu
beseitigen, sehr bald hinweggefegt sein würde. In der That, diese Betrachtung
muß sich Gladstone, dem Verfasser der Schrift VMvMiLM und dem Urheber
des vergeblichen Versuches, die katholische Hierarchie Irlands mit dem neuen
Erziehungssystcme von 1873 zu versöhnen, so unabweisbar aufdrängen, daß mit
Bestimmtheit zu Vermuten ist, sein Plan für das Home Rule werde unter
seinen noch nicht bekannten Paragraphen mich einen solchen enthalten, der die
Gewissensfreiheit in Sachen des Unterrichts in einem sich selbst regierenden Ir¬
land sicherstellt. Dies ist jedenfalls einer der Punkte, wo Gladstone auf Bürg¬
schaften bestehen und Parnell genötigt sein wird, in solche zu nulligen. Es
fragt sich nur, was die Unterschrift des letztern unter einem derartigen Ab¬
kommen wert sein würde. Was würde sie bedeuten, selbst wenn Parnell volle
und unwiderrufliche Befugnis hätte, für die Sache den Kredit der irischen
Bischöfe und an letzter Stelle sogar des heiligen Stuhles zu verpfänden? Das
ist schwer zu beantworten, und die Antwort wird dnrch die Thatsache nicht er¬
leichtert, daß der Bürge für die Toleranz der irischen Katholiken gegenüber
ihren protestantischen Landsleuten, daß Parnell selbst ein Protestant ist und
nach dem Zugeständnisse des Home Rule sofort zu der Stellung eines Mit¬
gliedes der Minderheit heruntersinken würde, die des Schutzes bedarf.

Kaum läßt sich der Ausweg anraten, man möge die Frage der nationalen
Erziehung in Irland zu einem 5soli in"z tanssers für das zu schaffende irische
Parlament machen. Es wäre geradezu ein Hohn ans die gesetzgeberische Freiheit
und Unabhängigkeit, wenn man es in einer so wichtigen Einzelheit fesseln, be¬
schränken und lahm legen wollte, und man hätte mit ziemlicher Sicherheit zu
erwarten, daß, wenn Gladstone eine solche Einschränkung nnter die Klauseln
des Vertrages mit den irischen Nationalisten aufzunehmen vorschlagen sollte,
Parnell selbst beim besten Willen außer stunde sein würde, darauf einzugehen.


England am Vorabend eines Umschwunges.

zu machen. Die Presbyterianerversammlung von Belfast aber zeigt, daß ein
selbständiges, mit einer eignen gesetzgebenden Versammlung ausgestattetes Ulster
neben deu drei südlichen Provinzen nicht über die Schwierigkeiten der Sache
hinweghelfen würde. Der irische Protestantismus ist zwar hauptsächlich in
Ulster vertreten, wo viele Schotten und Engländer eingewandert sind, er be¬
schränkt sich aber keineswegs auf diese nördliche Provinz, sondern es giebt über
ganz Irland zerstreut, namentlich in den größern Orten, protestantische Ge¬
meinden in Menge, unter denen manche recht ansehnliche Minderheiten der Be¬
völkerung bilden, und die allesamt von einem Plane mit dem Gedanken des
Home Rule Schutz für ihre religiösen Rechte und Interessen verlangen. Gegen¬
wärtig ist ihnen für die letztern in dem bestehenden Systeme der nationalen
Erziehung hinreichende Sicherheit gewährt; aber alle Welt weiß, daß die ka¬
tholische Kirche in Irland nichts weniger als eine warme Freundin dieses
Systems ist, sondern vielmehr selten eine Gelegenheit vorbeigehen läßt, es zu tadeln
und zu beklagen, und daß es, wenn die Bischöfe nnr die Macht besäße», es zu
beseitigen, sehr bald hinweggefegt sein würde. In der That, diese Betrachtung
muß sich Gladstone, dem Verfasser der Schrift VMvMiLM und dem Urheber
des vergeblichen Versuches, die katholische Hierarchie Irlands mit dem neuen
Erziehungssystcme von 1873 zu versöhnen, so unabweisbar aufdrängen, daß mit
Bestimmtheit zu Vermuten ist, sein Plan für das Home Rule werde unter
seinen noch nicht bekannten Paragraphen mich einen solchen enthalten, der die
Gewissensfreiheit in Sachen des Unterrichts in einem sich selbst regierenden Ir¬
land sicherstellt. Dies ist jedenfalls einer der Punkte, wo Gladstone auf Bürg¬
schaften bestehen und Parnell genötigt sein wird, in solche zu nulligen. Es
fragt sich nur, was die Unterschrift des letztern unter einem derartigen Ab¬
kommen wert sein würde. Was würde sie bedeuten, selbst wenn Parnell volle
und unwiderrufliche Befugnis hätte, für die Sache den Kredit der irischen
Bischöfe und an letzter Stelle sogar des heiligen Stuhles zu verpfänden? Das
ist schwer zu beantworten, und die Antwort wird dnrch die Thatsache nicht er¬
leichtert, daß der Bürge für die Toleranz der irischen Katholiken gegenüber
ihren protestantischen Landsleuten, daß Parnell selbst ein Protestant ist und
nach dem Zugeständnisse des Home Rule sofort zu der Stellung eines Mit¬
gliedes der Minderheit heruntersinken würde, die des Schutzes bedarf.

Kaum läßt sich der Ausweg anraten, man möge die Frage der nationalen
Erziehung in Irland zu einem 5soli in«z tanssers für das zu schaffende irische
Parlament machen. Es wäre geradezu ein Hohn ans die gesetzgeberische Freiheit
und Unabhängigkeit, wenn man es in einer so wichtigen Einzelheit fesseln, be¬
schränken und lahm legen wollte, und man hätte mit ziemlicher Sicherheit zu
erwarten, daß, wenn Gladstone eine solche Einschränkung nnter die Klauseln
des Vertrages mit den irischen Nationalisten aufzunehmen vorschlagen sollte,
Parnell selbst beim besten Willen außer stunde sein würde, darauf einzugehen.


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[0588] England am Vorabend eines Umschwunges. zu machen. Die Presbyterianerversammlung von Belfast aber zeigt, daß ein selbständiges, mit einer eignen gesetzgebenden Versammlung ausgestattetes Ulster neben deu drei südlichen Provinzen nicht über die Schwierigkeiten der Sache hinweghelfen würde. Der irische Protestantismus ist zwar hauptsächlich in Ulster vertreten, wo viele Schotten und Engländer eingewandert sind, er be¬ schränkt sich aber keineswegs auf diese nördliche Provinz, sondern es giebt über ganz Irland zerstreut, namentlich in den größern Orten, protestantische Ge¬ meinden in Menge, unter denen manche recht ansehnliche Minderheiten der Be¬ völkerung bilden, und die allesamt von einem Plane mit dem Gedanken des Home Rule Schutz für ihre religiösen Rechte und Interessen verlangen. Gegen¬ wärtig ist ihnen für die letztern in dem bestehenden Systeme der nationalen Erziehung hinreichende Sicherheit gewährt; aber alle Welt weiß, daß die ka¬ tholische Kirche in Irland nichts weniger als eine warme Freundin dieses Systems ist, sondern vielmehr selten eine Gelegenheit vorbeigehen läßt, es zu tadeln und zu beklagen, und daß es, wenn die Bischöfe nnr die Macht besäße», es zu beseitigen, sehr bald hinweggefegt sein würde. In der That, diese Betrachtung muß sich Gladstone, dem Verfasser der Schrift VMvMiLM und dem Urheber des vergeblichen Versuches, die katholische Hierarchie Irlands mit dem neuen Erziehungssystcme von 1873 zu versöhnen, so unabweisbar aufdrängen, daß mit Bestimmtheit zu Vermuten ist, sein Plan für das Home Rule werde unter seinen noch nicht bekannten Paragraphen mich einen solchen enthalten, der die Gewissensfreiheit in Sachen des Unterrichts in einem sich selbst regierenden Ir¬ land sicherstellt. Dies ist jedenfalls einer der Punkte, wo Gladstone auf Bürg¬ schaften bestehen und Parnell genötigt sein wird, in solche zu nulligen. Es fragt sich nur, was die Unterschrift des letztern unter einem derartigen Ab¬ kommen wert sein würde. Was würde sie bedeuten, selbst wenn Parnell volle und unwiderrufliche Befugnis hätte, für die Sache den Kredit der irischen Bischöfe und an letzter Stelle sogar des heiligen Stuhles zu verpfänden? Das ist schwer zu beantworten, und die Antwort wird dnrch die Thatsache nicht er¬ leichtert, daß der Bürge für die Toleranz der irischen Katholiken gegenüber ihren protestantischen Landsleuten, daß Parnell selbst ein Protestant ist und nach dem Zugeständnisse des Home Rule sofort zu der Stellung eines Mit¬ gliedes der Minderheit heruntersinken würde, die des Schutzes bedarf. Kaum läßt sich der Ausweg anraten, man möge die Frage der nationalen Erziehung in Irland zu einem 5soli in«z tanssers für das zu schaffende irische Parlament machen. Es wäre geradezu ein Hohn ans die gesetzgeberische Freiheit und Unabhängigkeit, wenn man es in einer so wichtigen Einzelheit fesseln, be¬ schränken und lahm legen wollte, und man hätte mit ziemlicher Sicherheit zu erwarten, daß, wenn Gladstone eine solche Einschränkung nnter die Klauseln des Vertrages mit den irischen Nationalisten aufzunehmen vorschlagen sollte, Parnell selbst beim besten Willen außer stunde sein würde, darauf einzugehen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/588>, abgerufen am 10.02.2025.