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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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es Jahre fort, bis ihm ein Zufall Geld in die Hände bringt. Damit eilt er,
ohne den Mut zu haben, von Sophien Abschied zu nehmen, sogleich nach Wien;
endlich kann er an dem Genuß teilnehmen, der ihm in seiner jammervollen
Studentenzeit verboten war. Mit zügelloser Leidenschaft stürzt er sich in das
Meer bacchantischer Freuden, aber nicht etwa um auszutoben und dann wieder
heimzukehren -- o wie haßt er sein Heim! Er schwelgt so lange, als er kann,
den Nest des Geldes schickt er seiner Frau mit einem Briefe, der ihr mitteilt,
daß er freiwillig aus den Reihen der Lebenden scheide, , , , Ein düsteres Bild,
ja, aber wer Wien kennt, muß seine Wahrheit zugestehen.

So wird ein Bild nach dem andern aufgerollt. Die Heirat eines ver¬
mögenslosen Advokaten mit einer reichen Fabrikantenstochter: er braucht ihr
Geld, sie seinen Namen, von ehelicher Liebe ist dabei von vornherein nicht die
Rede. Er ist el" fleißiger und bald sehr gesuchter Rechtsanwalt, sie spielt die
Modedame und verschwendet ihr Vermögen so lange, bis sie ihn ruinirt: eine
"Geldheirat."

Wieder ein andres Bild: "Eine glänzende Partie" -- die ehrgeizige Schau¬
spielerin, der es gelingt, einen Grafen zu erheiraten. Ihm schmeichelt das Auf¬
sehen, welches seine Verbindung macht; den Beifall, welchen das Publikum der
Schauspielerin klatscht, möchte er am liebsten selbst einheimsen. Aber kaum sind
sie getraut, so will sie die Gräfin spielen, wird langweilig und verliert die
Gunst ihres Gatten, der sich eben in jener widerlichen Komödiantenatmosphärc
Wohl fühlt, der entronnen zu sein sie froh ist; natürlich wird der Graf untreu
und holt sich in der Rollen- und Nuhmeserbin seiner jetzigen Frau die Maitresse,
die ihn amüsirt; die "Thcatergräfin" aber zieht sich, von allen verlassen, auf
das einsame Landgut zurück, um als Betschwester zu enden, u. s. w.

In allen Geschichten des ersten Bandes der "Passiva" herrscht dieser
düstere Ton vor, hier kommt es zu keiner Ausgleichung, anfänglicher Glanz
endet mit moralischem Elend. Der zweite Band der "Dubiosa" bringt eine
Reihe von Charakteren, die sich mit ihrem Schicksal in Harmonie befinden,
wenn sie auch ein Weile mit ihm gehadert haben. Köstlich ist die Satire:
"Die Heirat eines Genies." Heiland Meier, ein Dichterling, der das Glück
hatte, .von dem tonangebenden Kritiker in einer souveränen Laune für ein
hoffnungsreiches Talent erklärt zu werden, hat das weitere Glück, die reizende
Tochter des Kleider-Großhändlers Weinmann in Literatur und Kunstgeschichte
zu unterrichten und dabei ihre Liebe zu gewinnen. Nach einigem Widerstreben
giebt der Vater seine Einwilligung zur Heirat, denn man hatte ihm nahe
gebracht, daß sich heutzutage auch mit der Literatur Geld verdienen lasse.
Heiland Meier übernimmt also die Pflicht, ein berühmter Dichter zu werden.
Aber er hält das Versprechen nicht, seine Gedichte werden nicht gelesen, seine
Romane werden unbarmherzig verurteilt, sein Lustspiel fällt durch. Der kauf¬
männische Schwiegervater ist wütend über diesen Betrug, einen solchen nutz-


es Jahre fort, bis ihm ein Zufall Geld in die Hände bringt. Damit eilt er,
ohne den Mut zu haben, von Sophien Abschied zu nehmen, sogleich nach Wien;
endlich kann er an dem Genuß teilnehmen, der ihm in seiner jammervollen
Studentenzeit verboten war. Mit zügelloser Leidenschaft stürzt er sich in das
Meer bacchantischer Freuden, aber nicht etwa um auszutoben und dann wieder
heimzukehren — o wie haßt er sein Heim! Er schwelgt so lange, als er kann,
den Nest des Geldes schickt er seiner Frau mit einem Briefe, der ihr mitteilt,
daß er freiwillig aus den Reihen der Lebenden scheide, , , , Ein düsteres Bild,
ja, aber wer Wien kennt, muß seine Wahrheit zugestehen.

So wird ein Bild nach dem andern aufgerollt. Die Heirat eines ver¬
mögenslosen Advokaten mit einer reichen Fabrikantenstochter: er braucht ihr
Geld, sie seinen Namen, von ehelicher Liebe ist dabei von vornherein nicht die
Rede. Er ist el» fleißiger und bald sehr gesuchter Rechtsanwalt, sie spielt die
Modedame und verschwendet ihr Vermögen so lange, bis sie ihn ruinirt: eine
„Geldheirat."

Wieder ein andres Bild: „Eine glänzende Partie" — die ehrgeizige Schau¬
spielerin, der es gelingt, einen Grafen zu erheiraten. Ihm schmeichelt das Auf¬
sehen, welches seine Verbindung macht; den Beifall, welchen das Publikum der
Schauspielerin klatscht, möchte er am liebsten selbst einheimsen. Aber kaum sind
sie getraut, so will sie die Gräfin spielen, wird langweilig und verliert die
Gunst ihres Gatten, der sich eben in jener widerlichen Komödiantenatmosphärc
Wohl fühlt, der entronnen zu sein sie froh ist; natürlich wird der Graf untreu
und holt sich in der Rollen- und Nuhmeserbin seiner jetzigen Frau die Maitresse,
die ihn amüsirt; die „Thcatergräfin" aber zieht sich, von allen verlassen, auf
das einsame Landgut zurück, um als Betschwester zu enden, u. s. w.

In allen Geschichten des ersten Bandes der „Passiva" herrscht dieser
düstere Ton vor, hier kommt es zu keiner Ausgleichung, anfänglicher Glanz
endet mit moralischem Elend. Der zweite Band der „Dubiosa" bringt eine
Reihe von Charakteren, die sich mit ihrem Schicksal in Harmonie befinden,
wenn sie auch ein Weile mit ihm gehadert haben. Köstlich ist die Satire:
„Die Heirat eines Genies." Heiland Meier, ein Dichterling, der das Glück
hatte, .von dem tonangebenden Kritiker in einer souveränen Laune für ein
hoffnungsreiches Talent erklärt zu werden, hat das weitere Glück, die reizende
Tochter des Kleider-Großhändlers Weinmann in Literatur und Kunstgeschichte
zu unterrichten und dabei ihre Liebe zu gewinnen. Nach einigem Widerstreben
giebt der Vater seine Einwilligung zur Heirat, denn man hatte ihm nahe
gebracht, daß sich heutzutage auch mit der Literatur Geld verdienen lasse.
Heiland Meier übernimmt also die Pflicht, ein berühmter Dichter zu werden.
Aber er hält das Versprechen nicht, seine Gedichte werden nicht gelesen, seine
Romane werden unbarmherzig verurteilt, sein Lustspiel fällt durch. Der kauf¬
männische Schwiegervater ist wütend über diesen Betrug, einen solchen nutz-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/555>, abgerufen am 05.02.2025.