Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Die Bilanz der Lhe. Umarmung erduldet, mit demselben Vermöge" wird auch sie wieder Liebe -- Ein andres Bild, eine Ehe "Aus Dankbarkeit." Eine kleine, mit Töchtern Die Bilanz der Lhe. Umarmung erduldet, mit demselben Vermöge» wird auch sie wieder Liebe — Ein andres Bild, eine Ehe „Aus Dankbarkeit." Eine kleine, mit Töchtern <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0554" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197978"/> <fw type="header" place="top"> Die Bilanz der Lhe.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1635" prev="#ID_1634"> Umarmung erduldet, mit demselben Vermöge» wird auch sie wieder Liebe —<lb/> nein, die Geberde der Liebe bezahlen. Der Preis ihres Lächelns war eine neue<lb/> Toilette, eine Equipage, ihre Küsse taxirte sie mit Diamanten, dafür wird auch<lb/> sie die kostspieligen Passionen eines jungen Gatten befriedigen, seine Spiel¬<lb/> schulden bezahlen, um ein Almosen seiner Liebkosungen zu erhalten. Wie sie<lb/> den Tod ihres Gatten ersehnte, so ungeduldig wird auch auf ihr Ableben ge¬<lb/> wartet werden, und mit Dirnen, die mit ihrem Gelde bezahlt werden, wird der<lb/> junge Gatte sich lustig machen, über »das zähe Leben der verliebten Alten.«<lb/> Sie weiß, daß es so kommen wird, und doch wird sie, wenn sie erst frei ist,<lb/> sich dieses Loos selbst bereiten. Sie will ihr Programm durchführen bis ans<lb/> Ende; die letzte Nummer lautete »Liebesglück,« sie wird sich eben mit einem<lb/> Surrogat begnügen."</p><lb/> <p xml:id="ID_1636" next="#ID_1637"> Ein andres Bild, eine Ehe „Aus Dankbarkeit." Eine kleine, mit Töchtern<lb/> und Söhnen gesegnete Beamtenfran hat einem jungen Mediziner, der sich kümmer¬<lb/> lich vom Stundengeben ernährte, Kost und Wohnung gewährt für seinen Unter¬<lb/> richt ihrer Kinder. Für den armen Teufel war dieses Unterkommen ein großer<lb/> Gewinnst: uun konnte er doch ohne knurrenden Magen seine Studien verfolgen.<lb/> Er unterrichtet auch die älteste, ungefähr in seinem Alter stehende Tochter der<lb/> Wohlthäterin, und zwischen den beiden jungen Leuten entspinnt sich ein Liebes¬<lb/> verhältnis. Die Mutter hat nichts dagegen; sie berechnet, daß ihrer mitgift¬<lb/> losen Tochter der einstige Doktor der Medizin eine sehr gute Versorgung bieten<lb/> werde, und die jungen Leute leben unter ihrer Obhut als Verlobte. Aber der<lb/> „Doktor" ist so schnell nicht erreicht, Stunden geben muß der Arme auch jetzt<lb/> noch, der Unterricht im Hause selbst raubt ihm auch die beste Arbeitszeit, und<lb/> immer lebt er mit der Braut tugendhaft zusammen und nimmt teil an dem karg<lb/> und kümmerlich bemessenen Mittagstisch, an der schulmeisterlichen Bevormundung<lb/> der Wohlthäterin. Endlich hat er das Diplom erlangt — aber kann er davon<lb/> leben? muß er nicht noch zwei Jahre Spitalpraxis durchmachen? Selbst als<lb/> graduirter Doktor giebt er Lektionen. Endlich winkt ihm das Glück, er erhält<lb/> eine bescheidne Anstellung als Stadtarzt in der Provinz, in einem stillen Neste.<lb/> Jetzt endlich kann er heiraten. Aber Sophie ist unterdes älter geworden, jede<lb/> Liebesglut zwischen den beiden an einander geketteten Leuten ist längst erloschen,<lb/> nur aus Dankbarkeit, mir um sein Wort zu halten, heiratet der junge Arzt das<lb/> Mädchen. Und die ganze, im Laufe der Zeit ihm in der tiefsten Seele verhaßt<lb/> gewordene Lebensführung nimmt er in seinen neuen Hausstand mit. Anstatt<lb/> frei aufzuatmen, hat er sich die Fesseln noch enger geschlungen. Sophie hat<lb/> nie einen andern Hausstand gesehen als den ihrer Mutter, und der eigne ist<lb/> eine genaue Kopie desselben. Hermann ist zu ehrlich, zu gewissenhaft, sie zu<lb/> verlassen, sie hassen sich gegenseitig abgrundtief und können doch nicht von ein¬<lb/> ander los: sie, weil sie nicht das Schicksal der geschiednen Frau auf sich nehmen<lb/> will, er, weil er zu feig ist, seinem innersten Wollen zu gehorchen. Und so geht</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0554]
Die Bilanz der Lhe.
Umarmung erduldet, mit demselben Vermöge» wird auch sie wieder Liebe —
nein, die Geberde der Liebe bezahlen. Der Preis ihres Lächelns war eine neue
Toilette, eine Equipage, ihre Küsse taxirte sie mit Diamanten, dafür wird auch
sie die kostspieligen Passionen eines jungen Gatten befriedigen, seine Spiel¬
schulden bezahlen, um ein Almosen seiner Liebkosungen zu erhalten. Wie sie
den Tod ihres Gatten ersehnte, so ungeduldig wird auch auf ihr Ableben ge¬
wartet werden, und mit Dirnen, die mit ihrem Gelde bezahlt werden, wird der
junge Gatte sich lustig machen, über »das zähe Leben der verliebten Alten.«
Sie weiß, daß es so kommen wird, und doch wird sie, wenn sie erst frei ist,
sich dieses Loos selbst bereiten. Sie will ihr Programm durchführen bis ans
Ende; die letzte Nummer lautete »Liebesglück,« sie wird sich eben mit einem
Surrogat begnügen."
Ein andres Bild, eine Ehe „Aus Dankbarkeit." Eine kleine, mit Töchtern
und Söhnen gesegnete Beamtenfran hat einem jungen Mediziner, der sich kümmer¬
lich vom Stundengeben ernährte, Kost und Wohnung gewährt für seinen Unter¬
richt ihrer Kinder. Für den armen Teufel war dieses Unterkommen ein großer
Gewinnst: uun konnte er doch ohne knurrenden Magen seine Studien verfolgen.
Er unterrichtet auch die älteste, ungefähr in seinem Alter stehende Tochter der
Wohlthäterin, und zwischen den beiden jungen Leuten entspinnt sich ein Liebes¬
verhältnis. Die Mutter hat nichts dagegen; sie berechnet, daß ihrer mitgift¬
losen Tochter der einstige Doktor der Medizin eine sehr gute Versorgung bieten
werde, und die jungen Leute leben unter ihrer Obhut als Verlobte. Aber der
„Doktor" ist so schnell nicht erreicht, Stunden geben muß der Arme auch jetzt
noch, der Unterricht im Hause selbst raubt ihm auch die beste Arbeitszeit, und
immer lebt er mit der Braut tugendhaft zusammen und nimmt teil an dem karg
und kümmerlich bemessenen Mittagstisch, an der schulmeisterlichen Bevormundung
der Wohlthäterin. Endlich hat er das Diplom erlangt — aber kann er davon
leben? muß er nicht noch zwei Jahre Spitalpraxis durchmachen? Selbst als
graduirter Doktor giebt er Lektionen. Endlich winkt ihm das Glück, er erhält
eine bescheidne Anstellung als Stadtarzt in der Provinz, in einem stillen Neste.
Jetzt endlich kann er heiraten. Aber Sophie ist unterdes älter geworden, jede
Liebesglut zwischen den beiden an einander geketteten Leuten ist längst erloschen,
nur aus Dankbarkeit, mir um sein Wort zu halten, heiratet der junge Arzt das
Mädchen. Und die ganze, im Laufe der Zeit ihm in der tiefsten Seele verhaßt
gewordene Lebensführung nimmt er in seinen neuen Hausstand mit. Anstatt
frei aufzuatmen, hat er sich die Fesseln noch enger geschlungen. Sophie hat
nie einen andern Hausstand gesehen als den ihrer Mutter, und der eigne ist
eine genaue Kopie desselben. Hermann ist zu ehrlich, zu gewissenhaft, sie zu
verlassen, sie hassen sich gegenseitig abgrundtief und können doch nicht von ein¬
ander los: sie, weil sie nicht das Schicksal der geschiednen Frau auf sich nehmen
will, er, weil er zu feig ist, seinem innersten Wollen zu gehorchen. Und so geht
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