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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Gin deutscher Lligenroman und sein Verfasser.

Bis vor kurzer Zeit wußte man so viel wie nichts von ihm. Man ver¬
mutete zwar, daß er ein und dieselbe Person sei mit dem Dichter einer Reihe
von Lustspielen, welche in Anlehnung an die Charakterkomödien Molieres mit
derbem Humor gewisse gesellschaftliche Mißstände und Ausschreitungen geißeln,
man konnte in dem Wellerscheu Pseudonymcnlexikon die richtige Auflösung des
Pseudonyms Hilarius, welches auf dem Titel zweier dieser Stücke erscheint,
auffinden, und sah sogar in den "Annalen" desselben Forschers die persön¬
lichen Verhältnisse des Mannes angedeutet, aber trotzdem blieb die Gestalt des
Schöpfers des "Schelmuffsky" eine dunkle Persönlichkeit, mit der sich keine be¬
stimmte Vorstellung verbinden ließ. Da wurde Professor Friedrich Zarncke in
Leipzig von befreundeter Seite auf einige Aktenstücke des Leipziger Stadtarchives
aufmerksam gemacht, welche erwünschten Ausschluß gewährten und im Verein
mit einer Anzahl authentischer Dokumente in dem Leipziger Universitäts- und im
Dresdner Hauptstaatsarchive auf einmal ein Helles Licht über unsern Dichter
"ut seine Werke verbreiteten.

Nach Zarnckcs in den Abhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft
der Wissenschaften veröffentlichten Untersuchungen (Bd. XXI, S. 457 ff.) steht es
nun ganz sicher fest, daß Christian Reuter der Verfasser des "Schelmuffsky" ist.

Christian Reuter war am 9. Oktober 1665 in Kütten bei Halle geboren.
Seit 1688 studirte er in Leipzig Theologie und später auch Jurisprudenz. Die
damals in dieser Stadt herrschende starre Orthodoxie und ihre Kämpfe gegen
Andersgläubige scheint ihn wenig angezogen zu haben. Wie später Lessing und
Goethe, so meinte auch Reuter seine Ausbildung fürs Leben weniger in den
Vorlesungen der Professoren zu erlangen, als vielmehr dadurch, daß er sich
recht eigentlich in das Leben selbst stürzte und alle Freuden und Leiden des
Studententums gründlich auskostete. Es ist daher kein Wunder, daß man ihm
und seinen Genossen nicht viel Gutes nachsagte; ihre Hauptforce, hieß es, be¬
stehe im Trinken und Spielen; es seien verwilderte Gesellen, vor deren Streichen
niemand sicher sei. So urteilen wenigstens die Gegner Reuters, und wenn sie
auch manches übertrieben und nach Philisterart zu hart geurteilt haben mögen,
so viel steht wohl fest, daß Reuter nicht zu den "akademischen Musterjünglingen"
gehörte.

Dennoch dürfen wir ihm das Interesse für Höheres nicht absprechen. Auch
ihn packte die Leidenschaft für das Theater, welches in jenen Tagen in Leipzig
die aufgeweckteren Geister vorzugsweise beschäftigte. Im Mai des Jahres 1693
war dort das von dem Dresdner Kapellmeister Strungk in Gemeinschaft mit
einem Dr. Glaser erbaute Opernhaus am Brühl eingeweiht worden, in dem regel¬
mäßig zur Zeit der Messe Aufführungen stattfanden. Obwohl nnn bereits
herumziehende Truppen die Hauptschauspieler für die dramatischen Produktionen
stellten, so fühlte man doch noch geraume Zeit hindurch das Bedürfnis, da,
wo sich die Gelegenheit bot, ihre Reihen durch mitwirkende Studenten zu ver-


Gin deutscher Lligenroman und sein Verfasser.

Bis vor kurzer Zeit wußte man so viel wie nichts von ihm. Man ver¬
mutete zwar, daß er ein und dieselbe Person sei mit dem Dichter einer Reihe
von Lustspielen, welche in Anlehnung an die Charakterkomödien Molieres mit
derbem Humor gewisse gesellschaftliche Mißstände und Ausschreitungen geißeln,
man konnte in dem Wellerscheu Pseudonymcnlexikon die richtige Auflösung des
Pseudonyms Hilarius, welches auf dem Titel zweier dieser Stücke erscheint,
auffinden, und sah sogar in den „Annalen" desselben Forschers die persön¬
lichen Verhältnisse des Mannes angedeutet, aber trotzdem blieb die Gestalt des
Schöpfers des „Schelmuffsky" eine dunkle Persönlichkeit, mit der sich keine be¬
stimmte Vorstellung verbinden ließ. Da wurde Professor Friedrich Zarncke in
Leipzig von befreundeter Seite auf einige Aktenstücke des Leipziger Stadtarchives
aufmerksam gemacht, welche erwünschten Ausschluß gewährten und im Verein
mit einer Anzahl authentischer Dokumente in dem Leipziger Universitäts- und im
Dresdner Hauptstaatsarchive auf einmal ein Helles Licht über unsern Dichter
»ut seine Werke verbreiteten.

Nach Zarnckcs in den Abhandlungen der königlich sächsischen Gesellschaft
der Wissenschaften veröffentlichten Untersuchungen (Bd. XXI, S. 457 ff.) steht es
nun ganz sicher fest, daß Christian Reuter der Verfasser des „Schelmuffsky" ist.

Christian Reuter war am 9. Oktober 1665 in Kütten bei Halle geboren.
Seit 1688 studirte er in Leipzig Theologie und später auch Jurisprudenz. Die
damals in dieser Stadt herrschende starre Orthodoxie und ihre Kämpfe gegen
Andersgläubige scheint ihn wenig angezogen zu haben. Wie später Lessing und
Goethe, so meinte auch Reuter seine Ausbildung fürs Leben weniger in den
Vorlesungen der Professoren zu erlangen, als vielmehr dadurch, daß er sich
recht eigentlich in das Leben selbst stürzte und alle Freuden und Leiden des
Studententums gründlich auskostete. Es ist daher kein Wunder, daß man ihm
und seinen Genossen nicht viel Gutes nachsagte; ihre Hauptforce, hieß es, be¬
stehe im Trinken und Spielen; es seien verwilderte Gesellen, vor deren Streichen
niemand sicher sei. So urteilen wenigstens die Gegner Reuters, und wenn sie
auch manches übertrieben und nach Philisterart zu hart geurteilt haben mögen,
so viel steht wohl fest, daß Reuter nicht zu den „akademischen Musterjünglingen"
gehörte.

Dennoch dürfen wir ihm das Interesse für Höheres nicht absprechen. Auch
ihn packte die Leidenschaft für das Theater, welches in jenen Tagen in Leipzig
die aufgeweckteren Geister vorzugsweise beschäftigte. Im Mai des Jahres 1693
war dort das von dem Dresdner Kapellmeister Strungk in Gemeinschaft mit
einem Dr. Glaser erbaute Opernhaus am Brühl eingeweiht worden, in dem regel¬
mäßig zur Zeit der Messe Aufführungen stattfanden. Obwohl nnn bereits
herumziehende Truppen die Hauptschauspieler für die dramatischen Produktionen
stellten, so fühlte man doch noch geraume Zeit hindurch das Bedürfnis, da,
wo sich die Gelegenheit bot, ihre Reihen durch mitwirkende Studenten zu ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/547>, abgerufen am 05.02.2025.