Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Der Lukarester Friede. abgesehen haben, svdciß sich die Bulgaren auch von diesen keines großen Wohl¬ So aber wird diese Gegend Europas wahrscheinlich immer, wenigstens für Der Lukarester Friede. abgesehen haben, svdciß sich die Bulgaren auch von diesen keines großen Wohl¬ So aber wird diese Gegend Europas wahrscheinlich immer, wenigstens für <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0540" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197964"/> <fw type="header" place="top"> Der Lukarester Friede.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1589" prev="#ID_1588"> abgesehen haben, svdciß sich die Bulgaren auch von diesen keines großen Wohl¬<lb/> wollens zu versehen haben. Der Bulgar wieder, der unter der abwechselnden<lb/> Gönnerschaft Rußlands und Englands in den letzten acht Jahren so rasche<lb/> Fortschritte gemacht hat, brennt vor Begierde, seine Herrschaft über das Rhodope-<lb/> gcbirgc nach Macedonien auszudehnen, wo Tausende von seiner Nasse wohnen<lb/> und, von Popen, Schullehrern und Sendboten der nationalen Propaganda<lb/> bearbeitet, diese Ausdehnung ersehnen. Hier aber stößt sein Streben nach mehr<lb/> Besitz und Bedeutung auch auf Widerstand Vonseiten eines andern Strebertnms,<lb/> auf die griechische Ländergier und Großmannssucht, die zunächst nach den<lb/> fruchtbaren Ebnen im Norden Thessaliens die Hände ausstreckt und weiterhin<lb/> von dem Tage träumt, wo Hellas seine weiße Fahne mit dem blauen Kreuze<lb/> auf der Agia Sofia und dem Sultanspcilaste am Goldner Horn flattern sehen<lb/> wird. Abseits von allen diesen Mitgliedern der Familie Gernegroß steht der<lb/> stämmige Albanefe, der sich zu allen Zeiten, von den Tagen Held Skanderbegs<lb/> an bis zu denen Ali Paschas von Janina, und von da an bis auf die neuesten<lb/> Kämpfe einerseits mit dem Vladikci der Czernagorze», anderseits mit den Heeren<lb/> des Sultans Abdul Aziz als schwer zu kränkende Nuß erwiesen hat, und mit<lb/> dem darum sehr ernstlich zu rechnen sein wird, sobald man den Versuch macht,<lb/> ihn und sein Land einem der benachbarten Kleinfürsten zuzuleiten. Überblicken<lb/> wir diese Verhältnisse, diese Gelüste, Bestrebungen und Hindernisse, und denken<lb/> wir dabei an einen noch wichtigern Umstand, an Österreich in Bosnien und der<lb/> Herzegowina, an dessen Interessen und Rechte südlich von Mitroivitza und<lb/> daran, daß es einmal und vielleicht in nicht sehr später Zeit eine Lebensfrage<lb/> für diesen Staat sein wird, den Weitermarsch bis an die Gestade des Ägeischen<lb/> Meeres anzutreten und damit durch alle grvßscrbischen, großbulgarischcn und<lb/> großgriechischen Traumgebilde hindurch zu gehen wie die Erde dnrch die Nebel-<lb/> schweife der Kometen, so erscheint der vielbesprochne Donau- oder Balkcm-<lb/> staatcnbund als ein reiner Widerspruch, und wir müssen, statt eine Einigung<lb/> für erreichbar zu halten, die Zwietracht als chronische Krankheit dieser Lande<lb/> betrachten und annehmen, daß eine dauernde Heilung undenkbar ist, wenn nicht<lb/> ein Wunder geschieht.</p><lb/> <p xml:id="ID_1590" next="#ID_1591"> So aber wird diese Gegend Europas wahrscheinlich immer, wenigstens für<lb/> absehbare Zeit, die Gefahr von Störungen in sich bergen, die, weil zwei Gro߬<lb/> mächte hier divergirende Interessen erblicken und bald mehr, bald minder offen<lb/> verfolgen, auf den Frieden ganz Europas rückwirken. Nichts beleuchtet diese<lb/> Thatsache mit hellerem Lichte, als das Verhalten des griechischen Kabinets im<lb/> letztverflossenen halben Jahre. Diese Politiker von der traurigen Gestalt hatten<lb/> nicht den geringsten plausibeln Grund zu den, Ansprüche, sich in den Streit<lb/> zu mischen, der so verhängnisvoll ans den Verstand König Milans und seiner<lb/> Minister wirkte. Erst vor wenigen Jahren wies ihnen der Rat der europäischen<lb/> Großmächte — man wußte kaum recht, warum und wofür — ein stattliches</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0540]
Der Lukarester Friede.
abgesehen haben, svdciß sich die Bulgaren auch von diesen keines großen Wohl¬
wollens zu versehen haben. Der Bulgar wieder, der unter der abwechselnden
Gönnerschaft Rußlands und Englands in den letzten acht Jahren so rasche
Fortschritte gemacht hat, brennt vor Begierde, seine Herrschaft über das Rhodope-
gcbirgc nach Macedonien auszudehnen, wo Tausende von seiner Nasse wohnen
und, von Popen, Schullehrern und Sendboten der nationalen Propaganda
bearbeitet, diese Ausdehnung ersehnen. Hier aber stößt sein Streben nach mehr
Besitz und Bedeutung auch auf Widerstand Vonseiten eines andern Strebertnms,
auf die griechische Ländergier und Großmannssucht, die zunächst nach den
fruchtbaren Ebnen im Norden Thessaliens die Hände ausstreckt und weiterhin
von dem Tage träumt, wo Hellas seine weiße Fahne mit dem blauen Kreuze
auf der Agia Sofia und dem Sultanspcilaste am Goldner Horn flattern sehen
wird. Abseits von allen diesen Mitgliedern der Familie Gernegroß steht der
stämmige Albanefe, der sich zu allen Zeiten, von den Tagen Held Skanderbegs
an bis zu denen Ali Paschas von Janina, und von da an bis auf die neuesten
Kämpfe einerseits mit dem Vladikci der Czernagorze», anderseits mit den Heeren
des Sultans Abdul Aziz als schwer zu kränkende Nuß erwiesen hat, und mit
dem darum sehr ernstlich zu rechnen sein wird, sobald man den Versuch macht,
ihn und sein Land einem der benachbarten Kleinfürsten zuzuleiten. Überblicken
wir diese Verhältnisse, diese Gelüste, Bestrebungen und Hindernisse, und denken
wir dabei an einen noch wichtigern Umstand, an Österreich in Bosnien und der
Herzegowina, an dessen Interessen und Rechte südlich von Mitroivitza und
daran, daß es einmal und vielleicht in nicht sehr später Zeit eine Lebensfrage
für diesen Staat sein wird, den Weitermarsch bis an die Gestade des Ägeischen
Meeres anzutreten und damit durch alle grvßscrbischen, großbulgarischcn und
großgriechischen Traumgebilde hindurch zu gehen wie die Erde dnrch die Nebel-
schweife der Kometen, so erscheint der vielbesprochne Donau- oder Balkcm-
staatcnbund als ein reiner Widerspruch, und wir müssen, statt eine Einigung
für erreichbar zu halten, die Zwietracht als chronische Krankheit dieser Lande
betrachten und annehmen, daß eine dauernde Heilung undenkbar ist, wenn nicht
ein Wunder geschieht.
So aber wird diese Gegend Europas wahrscheinlich immer, wenigstens für
absehbare Zeit, die Gefahr von Störungen in sich bergen, die, weil zwei Gro߬
mächte hier divergirende Interessen erblicken und bald mehr, bald minder offen
verfolgen, auf den Frieden ganz Europas rückwirken. Nichts beleuchtet diese
Thatsache mit hellerem Lichte, als das Verhalten des griechischen Kabinets im
letztverflossenen halben Jahre. Diese Politiker von der traurigen Gestalt hatten
nicht den geringsten plausibeln Grund zu den, Ansprüche, sich in den Streit
zu mischen, der so verhängnisvoll ans den Verstand König Milans und seiner
Minister wirkte. Erst vor wenigen Jahren wies ihnen der Rat der europäischen
Großmächte — man wußte kaum recht, warum und wofür — ein stattliches
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |