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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Der Bukarests"' Friede.

Stück türkischen Gebietes zu, und wenn sie sich der Schenkung würdig zeigten,
wenn sie geduldig warteten, bis sich eine gute Gelegenheit faud, wenn sie in
der Zwischenzeit darauf bedacht waren, die Hilfsquellen der neuen Provinzen
zu eröffnen, hier und in den alten eine gute Verwaltung einzuführen, Zivili¬
sation zu verbreite-, und Recht und Gesetz geltend zu macheu, so würden sie
mit der Zeit mehr erlangt haben. Sie schlugen aber eine andre Bahn ein,
den Weg rücksichtslosen, um den Weltfrieden unbekümmerten Ehrgeizes und Land¬
hungers. Sie erhoben sophistische Ansprüche, sammelten mit schweren Kosten
eine starke Armee und schickten sie an die Nordgrenze. Hätte die Pforte nicht
an den bedrohten Stellen ein noch zahlreicheres und tüchtigeres Heer zusammen¬
gezogen, so wäre ohne Zweifel neben dem Kriege an der serbisch-bulgarischen
Grenze ein zweiter im südlichen Mneedonien ausgebrochen. Nur die Übermacht
der Türken ließ die Neuhellenen davon absehen: sie waren keine Marathon¬
kämpfer, sondern hielten es vorläufig mit der Maxime, daß Vorsicht der bessere
Teil der Tapferkeit ist. Indes blieb man auf der Lauer und drohte weiter.
Die panhcllenistischen Demagogen drängten von unten, und oben dachte man
im Hinblick ans die allgemeine Gährung und Verwirrung im Balkanlande wohl
an Micawbers Trost: inzwischen wird sich schon was begeben, womit sich was
machen läßt. Als dann die Großmächte einschritten, erst mehr in der Form
höflichen Rates, dann mit einer Mahnung, der nur die Form fehlte, um ein
Befehl zu sein, zuletzt mit der Entsendung von Kriegsschiffen, neigte sich das
absurde Spiel der Griechen dem Ende zu, ja es war eigentlich damit zu Ende,
soweit Ernst darin lag. Das Kabinet von Athen wußte nunmehr, daß Europa
entschlossen war, einen griechisch-türkischen Krieg nicht zu dulden. Aber es
hatte Geister gerufen, die es jetzt nicht leicht loswerden konnte, und denen es
noch eine Weile ihren Willen thun oder wenigstens zu thun scheinen mußte.
Den Demokraten zu Gefallen, die hier die Minister machen und wegschicken,
wenn sie nicht Pariren, hatte man den Winter hindurch die Rüstungen zu Land
und zur See nach Kräften fortgesetzt. Nur ihnen gehorsam, beantwortete man
die Aufforderung, die einberufenen Mannschaften nach Hause zu entlassen, mit
einer Weigerung. Auch die in der Sudahnese eintreffenden Geschwader bewogen
das Kabinet des Königs Georg nicht, sich zu fügen. Nur Phantasten in Deutsch¬
land und England können das heroisch finden. Wir erblicken darin nichts als
eitle Hoffnung. Windbeutelei nud Furcht vor deu Demagogen, welche die
öffentliche Meinung in Athen beherrschen. Es war die reine Thorheit, daß
Herr Delyannis in der Stunde, wo in Bukarest der Friede zwischen den beiden
Staaten unterzeichnet wurde, es für pnsseud hielt, nochmals zwanzigtausend
Mann unter die Fahnen zu rufen. Was soll's damit? Sie werden gegen den
Willen Europas keinen Schuß zu thu" wagen. Dem griechischen Premierminister
ist von Berlin her deutlich gesagt worden, daß er und seine Landsleute Gefahr
laufen, sich die Sympathien Europas zu verscherzen, und ähnliches ist ihm von


Der Bukarests»' Friede.

Stück türkischen Gebietes zu, und wenn sie sich der Schenkung würdig zeigten,
wenn sie geduldig warteten, bis sich eine gute Gelegenheit faud, wenn sie in
der Zwischenzeit darauf bedacht waren, die Hilfsquellen der neuen Provinzen
zu eröffnen, hier und in den alten eine gute Verwaltung einzuführen, Zivili¬
sation zu verbreite-, und Recht und Gesetz geltend zu macheu, so würden sie
mit der Zeit mehr erlangt haben. Sie schlugen aber eine andre Bahn ein,
den Weg rücksichtslosen, um den Weltfrieden unbekümmerten Ehrgeizes und Land¬
hungers. Sie erhoben sophistische Ansprüche, sammelten mit schweren Kosten
eine starke Armee und schickten sie an die Nordgrenze. Hätte die Pforte nicht
an den bedrohten Stellen ein noch zahlreicheres und tüchtigeres Heer zusammen¬
gezogen, so wäre ohne Zweifel neben dem Kriege an der serbisch-bulgarischen
Grenze ein zweiter im südlichen Mneedonien ausgebrochen. Nur die Übermacht
der Türken ließ die Neuhellenen davon absehen: sie waren keine Marathon¬
kämpfer, sondern hielten es vorläufig mit der Maxime, daß Vorsicht der bessere
Teil der Tapferkeit ist. Indes blieb man auf der Lauer und drohte weiter.
Die panhcllenistischen Demagogen drängten von unten, und oben dachte man
im Hinblick ans die allgemeine Gährung und Verwirrung im Balkanlande wohl
an Micawbers Trost: inzwischen wird sich schon was begeben, womit sich was
machen läßt. Als dann die Großmächte einschritten, erst mehr in der Form
höflichen Rates, dann mit einer Mahnung, der nur die Form fehlte, um ein
Befehl zu sein, zuletzt mit der Entsendung von Kriegsschiffen, neigte sich das
absurde Spiel der Griechen dem Ende zu, ja es war eigentlich damit zu Ende,
soweit Ernst darin lag. Das Kabinet von Athen wußte nunmehr, daß Europa
entschlossen war, einen griechisch-türkischen Krieg nicht zu dulden. Aber es
hatte Geister gerufen, die es jetzt nicht leicht loswerden konnte, und denen es
noch eine Weile ihren Willen thun oder wenigstens zu thun scheinen mußte.
Den Demokraten zu Gefallen, die hier die Minister machen und wegschicken,
wenn sie nicht Pariren, hatte man den Winter hindurch die Rüstungen zu Land
und zur See nach Kräften fortgesetzt. Nur ihnen gehorsam, beantwortete man
die Aufforderung, die einberufenen Mannschaften nach Hause zu entlassen, mit
einer Weigerung. Auch die in der Sudahnese eintreffenden Geschwader bewogen
das Kabinet des Königs Georg nicht, sich zu fügen. Nur Phantasten in Deutsch¬
land und England können das heroisch finden. Wir erblicken darin nichts als
eitle Hoffnung. Windbeutelei nud Furcht vor deu Demagogen, welche die
öffentliche Meinung in Athen beherrschen. Es war die reine Thorheit, daß
Herr Delyannis in der Stunde, wo in Bukarest der Friede zwischen den beiden
Staaten unterzeichnet wurde, es für pnsseud hielt, nochmals zwanzigtausend
Mann unter die Fahnen zu rufen. Was soll's damit? Sie werden gegen den
Willen Europas keinen Schuß zu thu» wagen. Dem griechischen Premierminister
ist von Berlin her deutlich gesagt worden, daß er und seine Landsleute Gefahr
laufen, sich die Sympathien Europas zu verscherzen, und ähnliches ist ihm von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/541>, abgerufen am 05.02.2025.