Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.Der Bukarester Friede. Nebenbuhlerschaft der beim Ausgange desselben ins Leben gerufenen oder ver¬ Der Bukarester Friede. Nebenbuhlerschaft der beim Ausgange desselben ins Leben gerufenen oder ver¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0539" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/197963"/> <fw type="header" place="top"> Der Bukarester Friede.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1588" prev="#ID_1587" next="#ID_1589"> Nebenbuhlerschaft der beim Ausgange desselben ins Leben gerufenen oder ver¬<lb/> größerten Kleinstaaten gewesen, und die Ereignisse des letzten Krieges am Balkan<lb/> haben diesen Neid und diese Nebenbuhlerschaft nur verstärken können, indem sie<lb/> zu einer Vereinigung der bisher getrennten Bulgare» führten. Enthusiastische<lb/> Gemüter sahe» noch vor kurzen aus den von der Türkei abgetrennten europäischen<lb/> Gebieten sich in naher Zukunft eine Föderation der Staaten Südosteuropas<lb/> entwickeln, die mächtig genug war, sich der Vorstöße der beiden benachbarten<lb/> Großmächte zu erwehren, welche nach Ausbreitung ihrer Herrschaft über die<lb/> Lande zwischen der untern Donau und dem Adriatischen Meere streben. Man<lb/> dachte, es werde hier etwas ähnliches wie die Schweiz entstehen, ein friedfertiger<lb/> neutraler Bund von Mittel- und Kleinstaaten, der als eine Urd Puffer zwischen<lb/> jenen Nachbarn dienen, und dessen Fortexistenz von ihnen selbst im Interesse<lb/> des Friedens möglichst begünstigt werden würde. Der Gedanke ging von der<lb/> Voraussetzung aus, daß der Serbe, der Bulgare, der Numäuier, der Grieche<lb/> und der Albanese, dieser bei derartigen Berechnungen oft übersehene Faktor, nur<lb/> ebensoviele Zahlen von gleicher Art und gleichem Werte seien und leicht dahin<lb/> zu bringen sein würden, einen gemeinsamen Mittelpunkt hinzunehmen und sich<lb/> wie die verschiednen Nationalitäten der eidgenössischen Kantone zu einer gemein¬<lb/> samen Politik zusammenzuschließen. Es war etwas, was man mit Recht wünschte,<lb/> aber mit Unrecht hoffte; denn leider herrscht zwischen den hier verglichenen<lb/> Völkern, denen der Balkanländer und denen des westlichen Gebietes der Alpen,<lb/> nach Herkunft, Geschichte und Charakter äußerst wenig Ähnlichkeit, und die<lb/> geographische Stellung derselben ist gleichfalls sehe verschieden. So gehört denn<lb/> der Plan einer Balkanföderativn in die Welt der politischen Träume, nach<lb/> Wvlkenknkuksheim. Wenigstens gewahren wir im gegenwärtigen Augenblicke<lb/> nicht nur keinerlei Anzeichen einer künftigen Annäherung zum Zusammengehen,<lb/> sondern das stritte Gegenteil, Symptome der Mißgunst, der Furcht vor einander,<lb/> der Rivalität und neuen Anciuauderprallcus der disparaten Elemente. Rumänien<lb/> zwar hielt sich während der jüngsten Streitigkeiten von jeder Beteiligung an<lb/> dem Hader fern und gewann damit in der öffentlichen Achtung; indes ist sicher,<lb/> daß es auch unter den Rumcineu Parteien mit Hoffnungen giebt, welche durchaus<lb/> nicht im Einklange mit denen ihrer Nachbarn stehen. Die Serben gehen deutlich<lb/> mit der Sprache heraus und erklären laut, daß ihnen ihre Stellung durchaus<lb/> nicht behagt und genügt, und daß sie mit ihrem Anteil an der Lcinderbcute,<lb/> welche der Pforte abgenommen wurde, nichts weniger als befriedigt sind.<lb/> Außerdem hegen sie den ehrgeizigen Wunsch, am Balkan die leitende Rolle zu<lb/> spielen, und blicken mit Verdruß auf die Vorteile, welche das Glück den Bulgaren<lb/> zugewiesen hat. Die Schöpfung eines Großbulgaricns, bekanntermaßen von der<lb/> britischen Politik als Schachzug gegen die rassische angeregt und gefördert,<lb/> erfüllte die Serben mit Befürchtungen und Mißgunst. Es sollte das „serbische<lb/> Erbe" in Macedonien bedrohen, auf das es auch die Montenegriner im Stillen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0539]
Der Bukarester Friede.
Nebenbuhlerschaft der beim Ausgange desselben ins Leben gerufenen oder ver¬
größerten Kleinstaaten gewesen, und die Ereignisse des letzten Krieges am Balkan
haben diesen Neid und diese Nebenbuhlerschaft nur verstärken können, indem sie
zu einer Vereinigung der bisher getrennten Bulgare» führten. Enthusiastische
Gemüter sahe» noch vor kurzen aus den von der Türkei abgetrennten europäischen
Gebieten sich in naher Zukunft eine Föderation der Staaten Südosteuropas
entwickeln, die mächtig genug war, sich der Vorstöße der beiden benachbarten
Großmächte zu erwehren, welche nach Ausbreitung ihrer Herrschaft über die
Lande zwischen der untern Donau und dem Adriatischen Meere streben. Man
dachte, es werde hier etwas ähnliches wie die Schweiz entstehen, ein friedfertiger
neutraler Bund von Mittel- und Kleinstaaten, der als eine Urd Puffer zwischen
jenen Nachbarn dienen, und dessen Fortexistenz von ihnen selbst im Interesse
des Friedens möglichst begünstigt werden würde. Der Gedanke ging von der
Voraussetzung aus, daß der Serbe, der Bulgare, der Numäuier, der Grieche
und der Albanese, dieser bei derartigen Berechnungen oft übersehene Faktor, nur
ebensoviele Zahlen von gleicher Art und gleichem Werte seien und leicht dahin
zu bringen sein würden, einen gemeinsamen Mittelpunkt hinzunehmen und sich
wie die verschiednen Nationalitäten der eidgenössischen Kantone zu einer gemein¬
samen Politik zusammenzuschließen. Es war etwas, was man mit Recht wünschte,
aber mit Unrecht hoffte; denn leider herrscht zwischen den hier verglichenen
Völkern, denen der Balkanländer und denen des westlichen Gebietes der Alpen,
nach Herkunft, Geschichte und Charakter äußerst wenig Ähnlichkeit, und die
geographische Stellung derselben ist gleichfalls sehe verschieden. So gehört denn
der Plan einer Balkanföderativn in die Welt der politischen Träume, nach
Wvlkenknkuksheim. Wenigstens gewahren wir im gegenwärtigen Augenblicke
nicht nur keinerlei Anzeichen einer künftigen Annäherung zum Zusammengehen,
sondern das stritte Gegenteil, Symptome der Mißgunst, der Furcht vor einander,
der Rivalität und neuen Anciuauderprallcus der disparaten Elemente. Rumänien
zwar hielt sich während der jüngsten Streitigkeiten von jeder Beteiligung an
dem Hader fern und gewann damit in der öffentlichen Achtung; indes ist sicher,
daß es auch unter den Rumcineu Parteien mit Hoffnungen giebt, welche durchaus
nicht im Einklange mit denen ihrer Nachbarn stehen. Die Serben gehen deutlich
mit der Sprache heraus und erklären laut, daß ihnen ihre Stellung durchaus
nicht behagt und genügt, und daß sie mit ihrem Anteil an der Lcinderbcute,
welche der Pforte abgenommen wurde, nichts weniger als befriedigt sind.
Außerdem hegen sie den ehrgeizigen Wunsch, am Balkan die leitende Rolle zu
spielen, und blicken mit Verdruß auf die Vorteile, welche das Glück den Bulgaren
zugewiesen hat. Die Schöpfung eines Großbulgaricns, bekanntermaßen von der
britischen Politik als Schachzug gegen die rassische angeregt und gefördert,
erfüllte die Serben mit Befürchtungen und Mißgunst. Es sollte das „serbische
Erbe" in Macedonien bedrohen, auf das es auch die Montenegriner im Stillen
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