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Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal.

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Ber Bukarester Friede.

auch seine Feinde zugestehen -- seine Sache gut gemacht und, wie mau zu sagen
pflegt, den Vogel abgeschossen: er hat sich nicht bloß tapfer, sondern auch klug
gezeigt. Sofort nach Unterzeichnung des Friedens schickte er sein Kriegsvolk
uach Hause und bewies damit, daß er politischen Verstand und ein richtiges
Urteil über seine Lage besitzt, was nicht verfehlen kann, ihm das Wohlwollen
derer für die Zukunft zu sichern, an deren guter Meinung ihm vor allem ge¬
legen sein muß. Auch die öffentliche Meinung Europas, die hier so lauge unter
dem Einflüsse störender Befürchtungen und Bedenken litt, wird nicht umhin
können, sich fortan zu erinnern, daß er, nachdem er sich als unerschrockener
Verteidiger seines Landes erwiesen, auch deu moralischen Mut an den Tag
gelegt hat, deu Bulgaren so schleunig als möglich die Früchte des errungenen
Friedens zu sichern. Diese uuverweilte Anerkennung der Obliegenheit eines
Staatsmannes steigert seinen Kredit und wird ihm von allen gutgeschrieben
werdeu, welche mittelbar oder unmittelbar bei der Angelegenheit beteiligt waren.
König Milan aber wird, mag er nun seine Gefühle allmählich freundschaftlicher
werden sehen oder nicht, bald finden, daß sowohl sein eignes Interesse als anch
das wahre Wohl Serbiens ihm gebietet, dem Beispiele seines bisherigen Gegners
zu folgen. Die Hilfsquellen seines Ländchens und Völkchens haben viel her¬
geben müssen. Tausende sind von ihrer Feldarbeit, ihren cumciischcn Beschäf¬
tigungen und ihren Sliwowitz-Brennereien abberufen worden, um monatelang
der Fahne und der Trommel zu folgen und nicht zu Sieg und Beute. Viele
Hunderte davon sind gefallen. Man hat Schulden gemacht, deren Verzinsung
und Tilgung das nichts weniger als wohlhabende Volk mit drückenden Steuern
belastet haben. Alles das geschah ohne eigentlich zwingenden Grund, lediglich
aus Ehrgeiz und aus Mangel an Geduld und Umsicht. Wir stellen nicht in
Abrede, daß der Vorwurf, der hierin liegt, weniger den König als die dema¬
gogischen Parteien trifft, die ihn zum Augriffe drängten. Wir erkennen ferner
an, daß die Versuchung, der er unterlag, nicht klein war, und daß er in ge¬
wissem Maße nur that, was die Bulgaren in Ostrnmelien und der Fürst gethan
hatte, der sich deren Empörung gegen die Satzungen des Berliner Friedens zu
nütze zu machen beeilte. Immerhin aber würde Serbien das bessere Teil er¬
wählt haben, wenn es der Besonnenheit Gehör gegeben, seinen großen Freunden
Vertrauen geschenkt, sein Pulver trocken gehalten lind nicht eher zu deu Waffen
gegriffen hätte, als bis Ehre und unbestreitbares Interesse ihm geboten hätten,
über alle Bedenken hinwegsehend, zur Selbsthilfe zu schreiten und an die ultinnr
rMo rög'nnr zu appelliren. Dieselbe hat nichts bewiesen als die Ohnmacht
Serbiens, und jetzt ist für dasselbe der klügste Weg, diese Ohnmacht still¬
schweigend anzuerkennen und so schleunig, als irgend thunlich ist, sich die frennd-
nachbcirliche Denkart anzuschaffen, die es in Bukarest nicht aussprechen konnte.

Das wird allerdings nicht leicht sein, und wir fürchten, das unausbleibliche
Ergebnis des Krieges von 1877 und 1878 ist bleibender Neid und dauernde


Ber Bukarester Friede.

auch seine Feinde zugestehen — seine Sache gut gemacht und, wie mau zu sagen
pflegt, den Vogel abgeschossen: er hat sich nicht bloß tapfer, sondern auch klug
gezeigt. Sofort nach Unterzeichnung des Friedens schickte er sein Kriegsvolk
uach Hause und bewies damit, daß er politischen Verstand und ein richtiges
Urteil über seine Lage besitzt, was nicht verfehlen kann, ihm das Wohlwollen
derer für die Zukunft zu sichern, an deren guter Meinung ihm vor allem ge¬
legen sein muß. Auch die öffentliche Meinung Europas, die hier so lauge unter
dem Einflüsse störender Befürchtungen und Bedenken litt, wird nicht umhin
können, sich fortan zu erinnern, daß er, nachdem er sich als unerschrockener
Verteidiger seines Landes erwiesen, auch deu moralischen Mut an den Tag
gelegt hat, deu Bulgaren so schleunig als möglich die Früchte des errungenen
Friedens zu sichern. Diese uuverweilte Anerkennung der Obliegenheit eines
Staatsmannes steigert seinen Kredit und wird ihm von allen gutgeschrieben
werdeu, welche mittelbar oder unmittelbar bei der Angelegenheit beteiligt waren.
König Milan aber wird, mag er nun seine Gefühle allmählich freundschaftlicher
werden sehen oder nicht, bald finden, daß sowohl sein eignes Interesse als anch
das wahre Wohl Serbiens ihm gebietet, dem Beispiele seines bisherigen Gegners
zu folgen. Die Hilfsquellen seines Ländchens und Völkchens haben viel her¬
geben müssen. Tausende sind von ihrer Feldarbeit, ihren cumciischcn Beschäf¬
tigungen und ihren Sliwowitz-Brennereien abberufen worden, um monatelang
der Fahne und der Trommel zu folgen und nicht zu Sieg und Beute. Viele
Hunderte davon sind gefallen. Man hat Schulden gemacht, deren Verzinsung
und Tilgung das nichts weniger als wohlhabende Volk mit drückenden Steuern
belastet haben. Alles das geschah ohne eigentlich zwingenden Grund, lediglich
aus Ehrgeiz und aus Mangel an Geduld und Umsicht. Wir stellen nicht in
Abrede, daß der Vorwurf, der hierin liegt, weniger den König als die dema¬
gogischen Parteien trifft, die ihn zum Augriffe drängten. Wir erkennen ferner
an, daß die Versuchung, der er unterlag, nicht klein war, und daß er in ge¬
wissem Maße nur that, was die Bulgaren in Ostrnmelien und der Fürst gethan
hatte, der sich deren Empörung gegen die Satzungen des Berliner Friedens zu
nütze zu machen beeilte. Immerhin aber würde Serbien das bessere Teil er¬
wählt haben, wenn es der Besonnenheit Gehör gegeben, seinen großen Freunden
Vertrauen geschenkt, sein Pulver trocken gehalten lind nicht eher zu deu Waffen
gegriffen hätte, als bis Ehre und unbestreitbares Interesse ihm geboten hätten,
über alle Bedenken hinwegsehend, zur Selbsthilfe zu schreiten und an die ultinnr
rMo rög'nnr zu appelliren. Dieselbe hat nichts bewiesen als die Ohnmacht
Serbiens, und jetzt ist für dasselbe der klügste Weg, diese Ohnmacht still¬
schweigend anzuerkennen und so schleunig, als irgend thunlich ist, sich die frennd-
nachbcirliche Denkart anzuschaffen, die es in Bukarest nicht aussprechen konnte.

Das wird allerdings nicht leicht sein, und wir fürchten, das unausbleibliche
Ergebnis des Krieges von 1877 und 1878 ist bleibender Neid und dauernde


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[0538] Ber Bukarester Friede. auch seine Feinde zugestehen — seine Sache gut gemacht und, wie mau zu sagen pflegt, den Vogel abgeschossen: er hat sich nicht bloß tapfer, sondern auch klug gezeigt. Sofort nach Unterzeichnung des Friedens schickte er sein Kriegsvolk uach Hause und bewies damit, daß er politischen Verstand und ein richtiges Urteil über seine Lage besitzt, was nicht verfehlen kann, ihm das Wohlwollen derer für die Zukunft zu sichern, an deren guter Meinung ihm vor allem ge¬ legen sein muß. Auch die öffentliche Meinung Europas, die hier so lauge unter dem Einflüsse störender Befürchtungen und Bedenken litt, wird nicht umhin können, sich fortan zu erinnern, daß er, nachdem er sich als unerschrockener Verteidiger seines Landes erwiesen, auch deu moralischen Mut an den Tag gelegt hat, deu Bulgaren so schleunig als möglich die Früchte des errungenen Friedens zu sichern. Diese uuverweilte Anerkennung der Obliegenheit eines Staatsmannes steigert seinen Kredit und wird ihm von allen gutgeschrieben werdeu, welche mittelbar oder unmittelbar bei der Angelegenheit beteiligt waren. König Milan aber wird, mag er nun seine Gefühle allmählich freundschaftlicher werden sehen oder nicht, bald finden, daß sowohl sein eignes Interesse als anch das wahre Wohl Serbiens ihm gebietet, dem Beispiele seines bisherigen Gegners zu folgen. Die Hilfsquellen seines Ländchens und Völkchens haben viel her¬ geben müssen. Tausende sind von ihrer Feldarbeit, ihren cumciischcn Beschäf¬ tigungen und ihren Sliwowitz-Brennereien abberufen worden, um monatelang der Fahne und der Trommel zu folgen und nicht zu Sieg und Beute. Viele Hunderte davon sind gefallen. Man hat Schulden gemacht, deren Verzinsung und Tilgung das nichts weniger als wohlhabende Volk mit drückenden Steuern belastet haben. Alles das geschah ohne eigentlich zwingenden Grund, lediglich aus Ehrgeiz und aus Mangel an Geduld und Umsicht. Wir stellen nicht in Abrede, daß der Vorwurf, der hierin liegt, weniger den König als die dema¬ gogischen Parteien trifft, die ihn zum Augriffe drängten. Wir erkennen ferner an, daß die Versuchung, der er unterlag, nicht klein war, und daß er in ge¬ wissem Maße nur that, was die Bulgaren in Ostrnmelien und der Fürst gethan hatte, der sich deren Empörung gegen die Satzungen des Berliner Friedens zu nütze zu machen beeilte. Immerhin aber würde Serbien das bessere Teil er¬ wählt haben, wenn es der Besonnenheit Gehör gegeben, seinen großen Freunden Vertrauen geschenkt, sein Pulver trocken gehalten lind nicht eher zu deu Waffen gegriffen hätte, als bis Ehre und unbestreitbares Interesse ihm geboten hätten, über alle Bedenken hinwegsehend, zur Selbsthilfe zu schreiten und an die ultinnr rMo rög'nnr zu appelliren. Dieselbe hat nichts bewiesen als die Ohnmacht Serbiens, und jetzt ist für dasselbe der klügste Weg, diese Ohnmacht still¬ schweigend anzuerkennen und so schleunig, als irgend thunlich ist, sich die frennd- nachbcirliche Denkart anzuschaffen, die es in Bukarest nicht aussprechen konnte. Das wird allerdings nicht leicht sein, und wir fürchten, das unausbleibliche Ergebnis des Krieges von 1877 und 1878 ist bleibender Neid und dauernde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 45, 1886, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341843_197423/538>, abgerufen am 05.02.2025.